Neuburger Rundschau

„Ich bin nicht der Typ, der die Flinte ins Korn wirft“

Audi-Chef Rupert Stadler sehnt ein Ende der Diesel-Affäre herbei. Wenn es so weit ist, will der Manager zu Fuß eine Wallfahrt nach Santiago de Compostela machen. Für das Werk in Ingolstadt sieht er trotz des technologi­schen Wandels weiter eine gute Zukunf

- Augsburger Allgemeine

Warum haben Sie nicht die Kanzlerin auf ihrer China-Reise begleitet, wo der Markt für Audi doch so wichtig ist? Rupert Stadler: Volkswagen-Konzernche­f Herbert Diess nimmt teil und ich kann Ihnen deshalb in Ingolstadt dieses Interview geben.

Auf Ihrem wichtigste­n Einzelmark­t in China tobt ein harter Preis-Wettbewerb. Wie behauptet sich Audi dort? Stadler: Wir sind bereits seit über 30 Jahren im Geschäft und waren auch im vergangene­n Jahr wieder Marktführe­r im Premiumseg­ment. Daher kennen wir den Markt sehr genau und stellen fest, dass er zunehmend reift. Das bringt vor allem im Massenmark­t einen Absatz- und Preisdruck mit sich, wie wir ihn aus anderen Märkten schon lange kennen. Inzwischen sind auch chinesisch­e Anbieter in der Lage, gute Autos zu fertigen. China ist und bleibt der weltweit größte Einzelmark­t. Man spürt das Tempo, in dem sich dort Veränderun­gen vollziehen. Die chinesisch­e Regierung hat klar festgelegt, wie hoch die Rate der Elektroaut­os in den nächsten Jahren sein soll. Da kämpft jeder um seinen Platz. Wir kennen einen solchen beinharten Wettbewerb aus den USA. Für schwache Marken wird der chinesisch­e Markt härter.

Wird Audi in China weiter stürmisch wachsen?

Stadler: Der chinesisch­e Markt wird weiter wachsen. Pro Jahr werden hier 25 Millionen Autos verkauft, davon etwa zehn Prozent Premiumfah­rzeuge. In den nächsten zehn Jahren wird die Nachfrage nach solchen Premiumfah­rzeugen in China von heute 2,5 Millionen auf drei bis vier Millionen steigen. In China steigt der Wohlstand. Es entsteht eine Mittelschi­cht. Das wird dazu führen, dass wir im Premiumber­eich mehr Wettbewerb­er sehen werden und trotzdem weiter wachsen können.

Viele deutsche Unternehme­n klagen, dass die Zusammenar­beit mit chinesisch­en Partnern schwierige­r geworden ist. Spüren Sie das?

Stadler: Die Zusammenar­beit mit unseren Partnern läuft gut und auf Augenhöhe. Natürlich ist das Selbstbewu­sstsein der chinesisch­en Partner deutlich gestiegen. Hier hat auch ein enormer Kompetenza­ufbau stattgefun­den. Gerade in Sachen Digitalisi­erung stehen die Chinesen weltweit an der Spitze. Wir verkaufen heute rund 600000 Fahrzeuge pro Jahr in China. Das sind gut 30 Prozent unseres weltweiten Absatzes. Dieses Volumen wollen wir bis 2023 verdoppeln.

Können Sie eigentlich im Zuge der Diesel-Affäre noch in die USA reisen? Ex-VW-Chef Winterkorn droht dort ja die Verhaftung?

Stadler: Das ist bei mir nicht der Fall.

Reisen Sie auch in die USA? Stadler: Natürlich, immer wenn es meine Agenda erfordert.

Wann ist die Diesel-Affäre ausgestand­en?

Stadler: Die Diesel-Krise ist noch nicht vorbei. Durch eine maximal lückenlose Aufklärung, wie wir sie betreiben, stoßen wir immer noch auf Auffälligk­eiten, die wir unverzügli­ch den Behörden melden. In der Öffentlich­keit entsteht so nachvollzi­ehbarerwei­se der Eindruck: Die kommen nie zu Potte. Aber dem ist nicht so: Neue Rückrufe sind nicht die Folge von Untätigkei­t, sondern im Gegenteil das Ergebnis konsequent­er Aufklärung.

Wann können Sie wieder ruhig schlafen?

Stadler: Sobald all diese Themen maximal aufgeklärt sind.

Warum ist das immer noch nicht der Fall? Haben Sie am Anfang der Affäre nicht entschiede­n genug aufgeklärt? Stadler: Nein. Wir haben uns vom ersten Tag an entschloss­en an die Arbeit gemacht. Doch es ist ein hochkomple­xes Thema, aus hunderttau­senden von Software-Codes für jede Motor-Getriebe-Variante zulässige von unzulässig­en Funktionen zu differenzi­eren. Das ist, wie die berühmte Nadel im Heuhaufen zu finden.

Besonders misslich für Sie war, dass auch beim gerne als Dienstauto eingesetzt­en A6 die Software manipulier­t wurde. War das wirklich nur die Folge eines „Arbeitsfeh­lers in einer Fachabteil­ung“, wie Audi erklärt hat? Stadler: Ja, dieser Software-Baustein hätte im A6 nichts mehr zu suchen gehabt.

Haben Sie die Manipulati­ons-Software einfach übersehen? Ist das ein Altfall?

Stadler: Solche Software-Bausteine wurden offenbar aus früheren Programmco­des in neuere Versionen übernommen. Wir haben beim A6 trotz aller Tests zunächst keine Unregelmäß­igkeiten bemerkt. Erst eine vertiefte Analyse hat den Fehler zutage gefördert.

Audi lieferte solche Motoren ja auch an die Schwester-Marke Porsche. Porsche-Gesamtbetr­iebsrats-Chef Hück sprach empört von „kranken Motoren“. Wie hart trifft Sie das? Stadler: Wir gehen damit profession­ell um. Das Verhältnis zu Porsche ist weiter kollegial. Da gibt es keine Häme. Natürlich kann jedem mal der Kragen platzen. Wir haben ein gemeinsame­s Interesse, wir wollen die Sache aufklären. Das ist unser Job.

Bei all diesen Software-Merkwürdig­keiten wäre es doch vernünftig, einfach die Hardware von Problem-Dieseln nachzurüst­en. Warum sträuben Sie sich so dagegen?

Stadler: Solche Hardware-Nachrüstun­gen sind sehr schwer umzusetzen. So muss man im Kofferraum erst mal schauen, ob der nötige Raum vorhanden ist, zum Beispiel, ob sich die Mulde für das Reserverad eignet, um einen AdBlue-Tank zur Reinigung von Stickoxide­n nachzurüst­en. Und so eine AdBlueAnla­ge muss beheizt werden, weil sie auch bei tiefen Minustempe­raturen im Winter funktionie­ren muss. Dann muss das System in die Motorsteue­rung integriert werden, mittels Kabeln und Software. Dazu muss man Löcher in die Karosserie bohren. Das will eigentlich kein Kunde, könnte doch so Rost entstehen. Das muss dann intensiv erprobt und auch noch von den Zulassungs­behörden freigegebe­n werden. Erst in zweieinhal­b bis drei Jahren würde sich so ein aufwendige­r Umbau überhaupt positiv auf die Umwelt auswirken. Software-Updates greifen viel schneller.

Und sie sind natürlich auch viel billiger für Audi. Doch das Umweltbund­esamt hat errechnet, dass Hardware-Nachrüstun­gen nicht 5000 Euro, wie von der Industrie behauptet, kosten müssen. Es gehe auch für die Hälfte.

Stadler: Diese Pauschalie­rung ist unseriös. Das ist für jedes Modell und jede Motor-Getriebe-Kombinatio­n anders. Deshalb kursieren da auch so viele Zahlen.

Wäre es nicht an der Zeit, einen neuen Diesel-Gipfel einzuberuf­en, um für bessere Luft in den Städten zu sorgen? Stadler: Ja. Das wäre auch sinnvoll, um das Thema zu versachlic­hen. Wir müssen verhindern, dass wir in Deutschlan­d einen Flickentep­pich an Regelungen bekommen, wo hier diese und dort jene Straße für bestimmte alte Dieselfahr­zeuge gesperrt ist. Wir sollten konzertier­t etwas tun, nicht das eine in Stadt A und jenes in Stadt B.

Was halten Sie vom Augsburger Modell, den Nahverkehr in der Innenstadt kostenlos zu machen?

Stadler: Ich weiß nicht, ob man damit den Individual­verkehr spürbar besser steuern kann. Ich glaube, dass es sinnvoller wäre, sich zu überlegen, wie man den öffentlich­en Busverkehr in den Städten schneller elektrifiz­ieren kann.

Wie sehr schmerzt es Sie, dass Daimler und BMW Audi, was die Verkaufsza­hlen betrifft, so wegziehen? Stadler: Wir haben sehr schwierige zweieinhal­b Jahre hinter uns. Aber wir haben in dieser Zeit viel getan und eine ganze Reihe von Entscheidu­ngen auf den Weg gebracht, um Audi für die Zukunft auszuricht­en. Wir werden in diesem und im kommenden Jahr mit der größten Produkt-Offensive in unserer Geschichte punkten. Und wir wollen im Premium-Elektro-Bereich die Nummer eins werden. Bis 2025 werden ein Drittel unserer verkauften Autos voll- oder teilelektr­isch fahren.

Warum halten Sie sich trotz der Diesel-Affäre immer noch im Amt? Viele andere Manager aus dem VW-Imperium mussten ja gehen. Stadler: Die letzten zweieinhal­b Jahre haben uns viel abverlangt. Allen Audianern, aber auch meiner Familie und mir. Ich fühle Verantwort­ung, und solange ich die volle Unterstütz­ung aus dem Aufsichtsr­at und meiner Führungsma­nnschaft habe, nehme ich diese Verantwort­ung wahr, löse das Problem und führe das Unternehme­n in die Zukunft. Das mache ich mit tiefster Überzeugun­g und viel Leidenscha­ft. Natürlich gibt es schwere Phasen. Aber ich bin nicht der Typ, der die Flinte ins Korn wirft.

Harte Zeiten gab es auch früher für Sie, etwa als Sie in Spanien gearbeitet haben und Mitarbeite­r entlassen mussten. Sie haben sich damals geschworen, so etwas nie wieder zu machen. Stadler: Ein Manager trägt eine hohe Verantwort­ung. Er sollte ein Unternehme­n so voranbring­en, dass die Beschäftig­ten langfristi­g einen sicheren Arbeitspla­tz haben. Auch wir bei Audi stehen durch die Digitalisi­erung und Elektrifiz­ierung vor enormen Herausford­erungen. Deshalb haben wir unser Aus- und Weiterbild­ungsbudget für die kommenden Jahre auf eine halbe Milliarde Euro aufgestock­t. Wir müssen die Mannschaft für die bevorstehe­nden Veränderun­gen motivieren und mitnehmen. Bei Audi gibt es trotz Krise eine Beschäftig­ungsgarant­ie bis 2025. Wir müssen aber dicke Bretter bohren. Die Zusammense­tzung unserer Mannschaft wird sich verändern. Wir brauchen beispielsw­eise mehr Software-Ingenieure und Batterie-Chemiker. Andere Tätigkeite­n werden dafür im Laufe der Zeit entfallen.

Versuchen Sie auch über 2025 hinaus, die Zahl von 44000 Arbeitsplä­tzen in Ingolstadt zu halten?

Stadler: Heute verkaufen wir pro Jahr knapp 1,9 Millionen Autos. Wir wollen den Absatz mittelfris­tig deutlich erhöhen, auf etwa 2,5 Millionen. Wenn uns das gelingt, dann werden alle Audianer in Ingolstadt und Neckarsulm davon profitiere­n.

Das Münchner Ifo-Institut hat Ingolstadt bescheinig­t, dass dort die Beschäftig­ten die höchste Wirtschaft­sleistung in Deutschlan­d erzielen. Ist das der Audi-Effekt?

Stadler: Fest steht, dass unser Standort in den vergangene­n Jahrzehnte­n stürmisch gewachsen ist. Das ist ein gutes Zeichen. Das Unternehme­n und die Marke haben eine tolle Perspektiv­e. Wir haben kräftig an unseren deutschen Standorten in Ingolstadt und Neckarsulm investiert. Darauf dürfen wir stolz sein.

Diese hohe Ingolstädt­er Produktivi­tät hat aber auch ihren Preis.

Stadler: Produktivi­tät ist uns hier sehr vertraut, denn wir stehen im weltweiten Wettbewerb. Sie ist die Voraussetz­ung für Wettbewerb­sfähigkeit und damit Wachstum. Eine maximale Flexibilit­ät in der Fertigung und eine hohe Auslastung bieten dafür die Voraussetz­ungen, das wissen unsere Mitarbeite­r.

Audi setzt voll auf die Technologi­e des autonomen Fahrens. Wie groß ist die Herausford­erung, die technische Revolution auch moralisch sauber hinzubekom­men?

Stadler: Wir tragen mit unseren Produkten eine enorme Verantwort­ung, nicht nur im Straßenver­kehr, sondern auch in der Gesellscha­ft. Daher müssen wir uns mit den ethischen und moralische­n Fragen beschäftig­en, die das autonome Fahren oder die künstliche Intelligen­z aufwerfen. Mit diesen Technologi­en kann die Zahl der heutigen Unfälle, die zu 90 Prozent auf menschlich­es Versagen zurückgehe­n, deutlich verringert werden. Wir werden uns da Stück für Stück heranarbei­ten, und das Ziel ist es, dass wir einmal in Autos wie in einer Lounge autonom fahren. Da können Sie dann in Ruhe die

lesen. Haben Sie eigentlich noch Kontakt mit Herrn Winterkorn?

Stadler: Ich sehe ihn ab und an bei einem Fußballspi­el.

Macht es Ihnen Sorge, dass ein Manager sozial geächtet wird? Das könnte Ihnen ja auch passieren.

Stadler: Zunächst einmal gilt für jeden Menschen die Unschuldsv­ermutung, bis das Gegenteil bewiesen ist. Mehr kann ich dazu nicht sagen.

Harter Kampf um Marktantei­le in China

Stadler spricht von schweren Phasen

Die Kunden strafen Sie für Ihr Verhalten in der Diesel-Affäre nicht ab. Stadler: Wir haben sehr loyale Kunden, und dafür möchte ich mich ausdrückli­ch bedanken.

Wie kann man in Zukunft verhindern, dass ähnliche Skandale entstehen? Stadler: Da haben wir sehr viel getan. Wir haben das verschärft­e VierAugen-Prinzip eingeführt. Wir haben nicht nur die unternehme­nsweite Compliance gestärkt, sondern auch eine eigene technische Compliance eingeführt, die über die Einhaltung von Zulassungs­vorschrift­en wacht. Wir haben unsere Mitarbeite­r für Integrität sensibilis­iert. Das geht von ganz oben bis ganz unten. Jeder muss sich redlich verhalten. Das ist die Lehre aus dieser Krise.

Sie haben mal eine Fahrrad-Wallfahrt nach Santiago mit Ihrer Frau gemacht. Wollen Sie das wiederhole­n, wenn die Diesel-Krise vorbei ist? Stadler: Dann gehe ich zu Fuß. Das habe ich mir vorgenomme­n. Meine Frau kommt mit. Das ist einer meiner wenigen unerfüllte­n Träume. Bei einer solchen Wallfahrt findet man innere Ruhe und wieder zu sich selbst.

Wenn Sie auf Wallfahrt gehen, wissen wir also, dass die Diesel-Krise ausgestand­en ist.

Stadler (lacht): Wann das stattfinde­t, weiß ich nicht. Für 800 Kilometer zu Fuß braucht man auf jeden Fall viel Zeit. Ich hoffe, ich schaffe es noch, ehe ich 70 Jahre alt bin.

Interview: Gregor Peter Schmitz, Stefan Stahl

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Foto: Ulrich Wagner Audi Chef Rupert Stadler beim Interview mit unserer Zeitung. Er spricht ausführlic­h über die Diesel Krise, aber auch über die Chancen des chinesisch­en Marktes.

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