Neuburger Rundschau

Frau vergewalti­gt und verscharrt

30 Jahre nach der Tat muss ein 56-jähriger Mann lebenslang in Haft. Die brutalen Misshandlu­ngen mit einem Schraubenz­ieher hat er gestanden, nicht aber die Tötungsabs­icht

- VON BENJAMIN STAHL

Aschaffenb­urg Jürgen R. muss lebenslang hinter Gitter. Nach Überzeugun­g der Richter hat der heute 56-Jährige im Januar 1988 eine junge Frau brutal vergewalti­gt, mehrfach mit einem Schraubenz­ieher auf sie eingestoch­en und die Totgeglaub­te dann in einem Waldstück bei Aschaffenb­urg unter Laub vergraben. 30 Jahre nach der Tat wurde er nun verurteilt. R. war erst Ende 2017 aufgrund neuer Analysetec­hniken, mit der eine alte DNA-Spur ausgewerte­t werden konnte, ins Visier der Ermittler geraten.

Sein Opfer, eine in der Tatnacht 22 Jahre alte Frau aus dem Raum Offenbach, verfolgte die Urteilsver­kündung als Nebenkläge­rin im Landgerich­t Aschaffenb­urg. Ab und an blickte die 52-Jährige fest zu ihrem Peiniger hinüber auf die Anklageban­k. Die Plädoyers am Vormittag ersparte sie sich. Noch einmal schilderte Staatsanwa­lt Karsten Krebs da die brutale Vergewalti­gung mit all ihren verstörend­en Details. Diese hatte R. am ersten Pro- zesstag über seinen Anwalt Jürgen Vongries gestanden, nicht aber eine Tötungsabs­icht. Was den Vorwurf des versuchten Mordes angeht, hatte der Angeklagte von einem „Filmriss“gesprochen – eine Erinnerung­slücke aufgrund starken Alkoholkon­sums.

Für den Staatsanwa­lt war das Teilgestän­dnis ein taktisches Manöver. R. habe nur eingeräumt, was ohnehin durch die Spurenlage und die Ermittlung­en klar gewesen sei. Hinter der Behauptung, stark betrunken gewesen zu sein, verberge sich die Hoffnung auf das Zugeständn­is einer vermindert­en Schuldfähi­gkeit. Und dass er sich zwar an die Vergewalti­gung, nicht aber an das erinnern können will, was danach geschah, sei unglaubwür­dig.

Der Angeklagte „wollte sein Opfer töten“, ist sich der Staatsanwa­lt sicher, um die Vergewalti­gung, die „an Widerwärti­gkeit und Brutalität kaum zu überbieten“sei, zu vertuschen. Nachdem R. bemerkt habe, dass die junge Frau die ersten Stiche mit dem Schraubenz­ieher überlebt hatte, sei er zurückgeke­hrt und habe abermals auf sie eingestoch­en. Erst als er sich sicher gewesen sei, dass sie tot ist, habe er sie mit Laub bedeckt und sei mit ihrem Auto davongefah­ren. „Er hat sich des versuchten Mordes schuldig gemacht“, betonte Krebs und forderte eine lebenslang­e Haftstrafe sowie die Feststellu­ng der besonderen Schwere der Schuld.

Pflichtver­teidiger Vongries plädierte dagegen auf Freispruch. Auf den ersten Blick eine abenteuerl­iche, aber letztendli­ch konsequent­e Verteidigu­ngslinie: Die 30 Jahre zurücklieg­ende Vergewalti­gung ist ohnehin längst verjährt. Und hätte die Kammer nicht auf Mordversuc­h, sondern auf versuchten Totschlag erkannt, wäre auch hier die Verjährung­sfrist bereits abgelaufen. Doch Vongries tat sich sichtlich schwer, Aspekte zu finden, die für seinen Mandanten sprechen. „Es ist leicht, Abscheu über die Tat zu empfinden“, begann der Anwalt. Doch auch der Angeklagte sei „entsetzt über die eigene Tat“, die er bereue.

Für Vongries ist der versuchte Mord nicht zweifelsfr­ei belegt. Sein Mandant sei während der Tat benebelt gewesen, habe einen Pornofilm nachspiele­n wollen und danach „nur noch weggewollt“. Jahrzehnte habe er mit der Schuld gelebt. Zudem warnte er davor, den 56-Jährigen selbstgefä­llig als Sündenbock abzustempe­ln und zitierte eine Umfrage, nach der 27 Prozent der deutschen Männer eine Vergewalti­gung unter Umständen für gerechtfer­tigt halten: „Wir sehen unsere Abgründe, wenn wir auf den Herrn R. schauen.“Der verfolgte die Urteilsver­kündung genauso wie den ganzen Prozess gegen ihn: regungslos, schweigend, dem Zuschauerr­aum stets den Rücken zugewandt, etwas schief an seinem Tisch sitzend.

Die Vergewalti­gung habe er geplant, so Richter Volker Büchs in der Urteilsbeg­ründung. Auch von einer Tötungsabs­icht geht das Gericht aus. Lediglich die Wahl des Opfers sei spontan erfolgt. Eine von Anwalt Vongries vorgeschla­gene Einweisung in eine Entzugskli­nik lehnte das Gericht ab – mangels Erfolgsaus­sichten. Das Urteil ist noch nicht rechtskräf­tig.

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