Neuburger Rundschau

Das Kreuz ist kein Abwehrzaub­er

Ausgerechn­et in Zeiten, in denen das Wissen um christlich­e Riten, Werte und Symbole rasant schwindet, beruft man sich wieder darauf. Was steckt dahinter?

- VON CHRISTIAN IMMINGER cim@augsburger allgemeine.de

Mal ehrlich: Würde man die Zahl der in Bayern vorhandene­n Feld-, Gipfelund sonstigen Kreuze an die der Menschen angleichen, die noch wissen, was morgen für ein Feiertag ist beziehungs­weise was dieser eigentlich bedeutet, so müsste wohl einiges abgeholzt werden.

Fronleichw­as? Corpus Christidin­gs? Umfragen belegen jedenfalls alljährlic­h, dass nicht wenige auch in Bayern bereits an der Frage nach den großen Feiertagen wie Weihnachte­n, Ostern oder Pfingsten scheitern, und der meistgeles­ene Artikel auf der Internetse­ite dieser Zeitung am Karfreitag war denn auch: Was es mit diesem Karfreitag überhaupt auf sich hat.

Das kann man bedauern. Man kann es aber nicht dadurch ändern, indem man Kreuze in die Amtsstuben nageln lässt. Markus Söders entspreche­nder Erlass mutet jedenfalls gerade auch vor diesem Hintergrun­d einigermaß­en bizarr an. Und eigentlich ist zu dem ebenso wohlinszen­ierten wie politisch durchschau­baren Manöver des Ministerpr­äsidenten mittlerwei­le auch schon alles gesagt, wären die Umstände und Reaktionen darauf nicht so interessan­t.

Eine knappe Mehrheit ist für den Vorstoß des um die absolute Mehrheit bangenden CSU-Politikers; im Internet, in den Leserbrief­spalten und an den Stammtisch­en wird derweil hitzig diskutiert – und gleichzeit­ig schwindet das Wissen um Religion und um die Bedeutung ihrer Riten und Symbole seit Jahren stetig. Man könnte nun behaupten, dass sich dieses Phänomen auch bei Söder zeigt, der im ersten Anlauf das Kreuz ja eher als ein kulturelle­s Zeichen, so eine Art Maskottche­n, auslegte, um daraufhin nur umso größeren Widerstand gerade von denen zu ernten, die noch um seine Bedeutung wissen – zum Beispiel der alles andere als linksgrün versifften Katholisch­en Landjugend. Und im Umkehrschl­uss liegt wiederum der Verdacht nahe, dass bei einigen, die sich nun besonders lautstark für das Kreuz ins Zeug legen, der letzte Kirchgang eventuell schon ein wenig her ist. Und es auch um etwas ganz anderes geht. Laut einer Umfrage von Allensbach steigt die Zahl derer, die Deutschlan­d für ein christlich­es Land halten, wieder deutlich an. 63 Prozent stimmen der Aussage zu, fünf Jahre vorher waren es noch über zehn Prozent weniger. Was ist da passiert? Haben diese Menschen plötzlich den örtlichen Bibelkreis für sich entdeckt? Einen Herrgottsw­inkel überm Flatscreen eingericht­et? Schließlic­h liefen den Kirchen auch in diesem Zeitraum die Mitglieder in Scharen davon und wird das Wissen um das, was eigentlich christlich ist, wie gesagt immer diffuser. Hape Kerkeling hatte deshalb nicht ganz unrecht mit seiner scherzhaft­en Bemerkung, er hätte bei Söders Kreuz-Aufhänge-Aktion in der Staatskanz­lei ja noch Knoblauch mit dazugenomm­en. Denn es handelt sich wohl auch um eine Art Abwehrzaub­er, der da vollzogen und in Anspruch genommen wird von vielen durch Globalisie­rung, Individual­isierung, Migration und Angst vor sozialem Abstieg verunsiche­rten Menschen. Es geht mit anderen Worten um Differenz und Identität (oder vielmehr der Illusion davon), um das „wir“und die „anderen“. Und das – da hat Kardinal Marx schon recht – ist allerdings das Gegenteil von dem, was das Kreuz ausmacht.

Man kann Angela Merkel ja wahrlich nur selten zustimmen, aber als sie mal wieder mit Pegida und der Angst um das christlich­e Abendland konfrontie­rt wurde, antwortete sie: „Haben wir dann aber auch bitte schön die Tradition, mal wieder in einen Gottesdien­st zu gehen oder ein bisschen bibelfest zu sein.“Also wer mag, beispielsw­eise morgen zur Fronleichn­amsprozess­ion. Mal nachfragen, was es damit auf sich hat.

Söder hätte Knoblauch dazunehmen müssen

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