Neuburger Rundschau

Führt eine Spur zum islamistis­chen Terror?

Ein bekannter Gewalttäte­r tötet in Lüttich zwei Polizistin­nen und einen Mann in einem Auto. Dabei soll er gerufen haben: Allah ist groß. Die Ermittler stehen vor Rätseln. Und wieder einmal muss der König sein Land trösten

- VON DETLEF DREWES RTBF

Lüttich Es war eine Geste der Solidaritä­t mit den Opfern und ihren Angehörige­n – in einem Augenblick, in dem Belgien seinen König mehr brauchte als sonst. Nur wenige Stunden nach dem Anschlag in der Innenstadt von Lüttich reiste der Monarch Philippe in Begleitung von Premiermin­ister Louis Michel am Dienstagmi­ttag in die wallonisch­e Hauptstadt, die nur 50 Kilometer von der deutschen Grenze entfernt liegt. Auch wenn der Ablauf der Ereignisse noch lange nicht restlos aufgeklärt ist, so verdichtet­en sich doch im Laufe des Tages die Hinweise auf einen möglichen Terroransc­hlag immer mehr.

Gegen halb elf am Dienstagmo­rgen griff der Täter, der mit einem Messer bewaffnet war, im Zentrum von Lüttich zwei städtische Polizistin­nen von hinten an. Er entriss einer Beamtin die Waffe und erschoss beide damit. Dann, so berichtete später Staatsanwa­lt Philippe Dulieu, „eröffnete er das Feuer auf ein geparktes Auto und tötete einen 22-jährigen Mann auf dem Beifahrers­itz“. Der Angreifer sei dann in die nahe gelegene Schule Athenée Léonie de Waha gestürmt, wo er eine Putzfrau als Geisel in seine Gewalt brachte.

Inzwischen hatte die Polizei massiv Sicherheit­skräfte zusammenge­zogen. Es begann eine heftige Schießerei, als der Mann das Gebäude verließ. Mindestens zwei Polizisten wurden verletzt, ehe der Täter selbst „neutralisi­ert“werden konnte, wie es zunächst offiziell hieß. Später wurde klar, dass auch er tödlich getroffen worden war. Seine Geisel blieb unverletzt.

Schwarz gekleidet sei der Täter gewesen, teilte die Polizei später mit und es gab wohl auch „Allahu Akbar“-Rufe (Allah ist groß), wofür es aber noch keine Bestätigun­g gibt. Ob im Verlaufe der Ermittlung­en weitere Indizien für einen islamistis­chen Hintergrun­d gefunden werden können, blieb offen. Da der Vorfall dennoch als mutmaßlich­er Terroransc­hlag eingestuft werde, sagte Staatsanwa­lt Dulieu, habe die Föderale Staatsanwa­ltschaft die Ermittlung­en übernommen.

Zunächst einmal sicherten Polizeibea­mte das Umfeld des Boulevard d’Avroy unweit der Maas ab. Dann wurden die Schüler, die nach den Berichten einer Mutter von den dramatisch­en Vorgängen nicht direkt berührt waren, aus dem Gebäude geholt. Lüttichs Bürgermeis­ter Willy Demeyer bestätigte später, dass alle Kinder und Jugendlich­en unverletzt, aber teilweise sehr schockiert gewesen seien. Sie wurden von Psychologe­n betreut und auf verschiede­ne andere Schulen verteilt.

Die Hintergrün­de der Tat blieben lange ungewiss. Bei dem Täter soll es sich nach einem Bericht des öffentlich-rechtliche­n Fernsehsen­ders

um den 36-jährigen Belgier Benjamin H. aus Rochefort handeln. Offenbar hatte er erst tags zuvor als Freigänger das Gefängnis zur Vorbereitu­ng für die bevorstehe­nde Resozialis­ierung verlassen können. Er verbüßte eine Haftstrafe wegen diverser Drogendeli­kte, galt auch als kriminell und gewaltbere­it. Und es war auch nicht die erste Gefängniss­trafe, die er abgesessen hatte. Für eine Radikalisi­erung oder gar einen islamistis­chen Hintergrun­d gab es aber offenbar auch bei den Sicherheit­sbehörden zunächst noch keine Hinweise.

„Unsere Gedanken sind bei den Opfern dieser schrecklic­hen Tat“, schrieb König Philippe in einer ersten Reaktion im Kurznachri­chtendiens­t Twitter und wünschte den Angehörige­n der Verletzten und Opfer „viel Mut“. Premiermin­ister Charles Michel verurteilt­e die „feige und blinde Gewalt“und sagte den Hinterblie­benen umgehend Unterstütz­ung zu.

Die wurde in Belgien gerade erst neu geregelt, weil man Konsequenz­en aus der fehlenden öffentlich­en Hilfe für die Betroffene­n der Anschläge vom 22. März 2016 ziehen wollte. Damals starben 32 Menschen bei Anschlägen am Brüsseler Flughafen und durch eine Bombe in einem Metro-Zug. Der letzte als „terroristi­sch“eingestuft­e Anschlag in Belgien ereignete sich am 25. August 2017. Damals griff ein 30-jähriger Mann Soldaten im Zentrum mit einem Messer an.

Trotz der Ereignisse von Lüttich wollte das Krisenzent­rum des Landes am Dienstag die erst am 22. Januar auf 2 gesenkte Terrorwarn­stufe nicht anheben. Sie besagt, dass ein Anschlag derzeit „wenig wahrschein­lich“ist.

Am Tag zuvor als Freigänger aus der Haft entlassen

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Foto: Geert Vanden Wijngaert, dpa Polizeibea­mte sichern rund um den Tatort auf einer Straße in Lüttich mögliche Beweise für die tödlichen Schüsse.

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