Neuburger Rundschau

Aus Hitlers Autofabrik wurde ein Welt Konzern

Der Diktator hatte den Grundstein für das Werk in Wolfsburg gelegt. Die Volkswagen-Geburt ist ein düsteres Kapitel

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Wolfsburg Die Idee: Autofahren für alle erschwingl­ich machen. Das Problem: Auch die Nationalso­zialisten erkannten einst die Strahlkraf­t dieser populären Idee und instrument­alisierten sie für ihre Zwecke. Das Ergebnis: Am 26. Mai 1938, einem sonnigen Himmelfahr­tstag, legte Adolf Hitler den Grundstein für das Herz des heutigen Autogigant­en Volkswagen – das Werk in Wolfsburg. Bis der erste „Käfer“vom Band lief – eine automobile Legende, die den Aufstieg von Volkswagen erst ermöglicht­e – sollte noch viel Zeit vergehen. 80 Jahre später und trotz aller Krisen, darunter der milliarden­teure Abgas-Skandal, ist der Riesen-Konzern der weltgrößte Autobauer.

Dabei entpuppte sich das hehre Ziel, möglichst allen Menschen das Autofahren nahezubrin­gen und bezahlbar zu machen, in der Nazi-Zeit schnell als Lüge und Utopie – die Stunde des ersten Volkswagen­s, des später liebevoll „Käfer“genannten Typs 1, schlug erst nach dem Zweiten Weltkrieg. Und für 990 Reichsmark, wie die Nazis warben, war er nie zu haben. „Andere preisgünst­ige Autos waren mindestens um ein Drittel teurer“, wie VW-Sprecher Dieter Landenberg­er sagte. Doch selbst die 990 Reichsmark der NSPropagan­da seien für viele Menschen unerschwin­glich gewesen.

Statt des von Ferdinand Porsche konstruier­ten „Käfers“rollten zunächst Kübel- und Schwimmwag­en aus den Wolfsburge­r Werkshalle­n an die Fronten, auch Flugzeugte­ile oder Panzerfäus­te wurden hergestell­t. Ein düsteres Kapitel: Die VW-Geburt hängt zusammen mit dem Schicksal von Zwangsarbe­itern, die in den Kriegsjahr­en 1943/44 zeitweise etwa 80 Prozent der Belegschaf­t stellten, wie Lan- sagte. Insgesamt seien es nahezu 20000 Zwangsarbe­iter gewesen. Im deutschen Durchschni­tt habe der Anteil der Zwangsarbe­iter an den Belegschaf­ten bei etwa 30 Prozent gelegen – der höhere Anteil bei Volkswagen erkläre sich mit der Entstehung des Werks „auf der grünen Wiese“: Es habe schlicht zu wenig Arbeitskrä­fte gegeben.

Volkswagen gab 1986 den Auftrag, die eigene NS-Geschichte zu untersuche­n, der Konzern beteiligte sich zudem an der im Jahr 2000 gegründete­n Stiftung Erinnerung, Verantwort­ung und Zukunft (EVZ), die nach eigenen Angaben insgesamt etwa 4,4 Milliarden Euro an fast 1,7 Millionen ehemalige Zwangsarbe­iter der NS-Diktatur auszahlte.

Hitler, der Porsche bewunderte, nahm zwischenze­itlich selbst regen Anteil an der Entwicklun­g des Volkswagen­s, des damals sogenannte­n Kdf-Wagens – nach dem Namen der NS-Organisati­on Kraft durch Freude (KdF). Nach „Verwertung der Kriegserfa­hrungen mit diesem Fahrzeug“werde dem deutschen Volk ein Automobil beschert, das „unübertref­fbar“sei, sagte der Diktator einst in seinen Tischgespr­ächen. Doch an zivilen Fahrzeugen verließen bis Kriegsende laut Landenberg­er nur rund 600 Stück die Werkshalle­n – vor allem für Staatsstel­len und Privilegie­rte, die dem Regime nahestande­n.

Dass schon die Nazis in Wolfsburg – auch die Stadt entstand damals – von Anfang an groß gedacht hatten, zeigen die Ausmaße der noch heute einschücht­ernd wirkenden Fabrik am Mittelland­kanal, deren mit enteignete­m Gewerkscha­ftsvermöge­n finanziert­er Bau schon kurz vor der Grundstein­ledenberge­r gung begonnen hatte. Eigentlich begann die VW-Geschichte aber noch früher: Am 28. Mai 1937 wurde die „Gesellscha­ft zur Vorbereitu­ng des Deutschen Volkswagen­s mbH“gegründet, und schon 1934 hatte der Reichsverb­and der Automobili­ndustrie Ferdinand Porsche damit beauftragt, den ersten Volkswagen zu konstruier­en.

Landenberg­er betonte, bei der Grundstein­legung habe es sich weder um den Gründungsa­kt des Unternehme­ns noch der Stadt Wolfsburg gehandelt. Dass die Grundstein­legung aber als moderner Mythos in der kollektive­n Erinnerung bis heute eine große Rolle spiele, sei der Tatsache geschuldet, dass sie mit etwa 50000 Teilnehmer­n als Großereign­is von der Nazi-Propaganda inszeniert worden sei. Vorgesehen war für das Volkswagen­Werk nach Vorstellun­gen der Nazis eine theoretisc­he Jahresprod­uktion von bis zu 1,5 Millionen Autos – zu einer Zeit, als die gesamte deutsche Autobranch­e pro Jahr 380 000 Wagen fertigte. Dass VW dereinst noch wesentlich größer werden sollte – das war Zukunftsmu­sik.

Und nach dem Krieg sah zunächst auch wenig nach Größe aus: Die Briten stellten die Weichen für den Aufstieg von Volkswagen, und mit ganzen 55 Fahrzeugen startete im Dezember 1945 die Produktion des Typs 1. 1947 begann der Export. Genau genommen handelte es sich um fünf Fahrzeuge für die Niederland­e.

Aber damit begann es, das Wirtschaft­swunder rund um Volkswagen und den beliebten „Käfer“. Von Anfang an war Volkswagen ein besonderer Konzern mit besonders starkem Einfluss der Arbeitnehm­erseite und des Landes Niedersach­sen – das umstritten­e VW-Gesetz, das den Sonderstat­us des Landes und seine Sperrminor­ität bei einem Stimmrecht­santeil von 20 Prozent sichert.

Was dann folgte, war ein Aufstieg ohnegleich­en: In den acht Jahrzehnte­n seit der Grundstein­legung entwickelt­e sich Volkswagen zum größten Autobauer der Welt. Der Konzern umfasst heute zwölf Marken – darunter die Stammmarke VW, aber auch Audi, Porsche oder Skoda. Die Unternehme­nsgruppe beschäftig­t mehr als 640000 Mitarbeite­r und liefert jährlich mehr als zehn Millionen Fahrzeuge aus.

Außerdem ist die Geschichte des Weltkonzer­ns reich an Affären und Konflikten: die existenzbe­drohende Krise Anfang der 1990er Jahre, der Skandal um Schmiergel­der und Lustreisen auf Firmenkost­en, die Übernahmes­chlacht mit Porsche, der Machtkampf des schließlic­h doch entthronte­n Ex-Konzernche­fs Martin Winterkorn mit dem langjährig­en Mentor und Chefaufseh­er Ferdinand Piëch. Alles in den Schatten stellte aber „Dieselgate“.

Statt Käfer Autos wurden Kübel Wagen gebaut

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Foto: dpa Das Bild von 1938 zeigt, wie Adolf Hitler einen „Käfer“betrachtet.

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