Neuburger Rundschau

Angriff auf den Smartphone Thron

Der Preis ist heiß: Mit einem pfiffigen 400-Euro-Gerät will ein chinesisch­er Hersteller den Luxusmodel­len von Apple und Co. Konkurrenz machen. Warum die Chancen für das „Honor 10“gar nicht so schlecht stehen

- VON STEFFEN HAUBNER

Die Zahl ist wohl kein Zufall. Als Honor-Chef George Zhao das neue Honor 10 kürzlich in London vorstellte, zog er immer wieder Vergleiche zum iPhone X. Bislang trat Honor vor allem mit günstigen Varianten der Modelle des Mutterkonz­erns Huawei in Erscheinun­g.

Das scheint sich gründlich geändert zu haben. Ab sofort wollen die Chinesen offenbar in der Champions League mitspielen. Wichtigste­s Argument: Mit rund 400 Euro kostet das Honor 10 gerade mal ein Drittel dessen, was man für das AppleFlagg­schiff ausgeben muss. Doch selbst die Premium-Marke aus dem eigenen Hause setzt Honor mit jüngsten Coup unter Druck: Für das fast baugleiche Huawei P20 muss man aktuell rund 650 Euro ausgeben, für die Pro-Version sogar noch einmal 200 Euro mehr.

Der kleine Preis freut vor allem die erklärte Zielgruppe von Honor. 80 Prozent der Nutzer gehören zur Gruppe der 18- bis 34-Jährigen. Statt auf teure Werbekampa­gnen setzt das Marketing auf den Austausch mit der „Community“. „Wir sind sehr präsent in den sozialen Netzwerken, sprechen mit unseren Fans und hören uns an, was sie zu sagen haben“, erklärt Deutschlan­dChef Marco Eberlein.

„#YourTurnTo­StandOut“lautet das auf Twitter & Co. verbreitet­e Motto, sinngemäß übersetzt: „Deine Gelegenhei­t, aus der Masse herauszust­echen“. Optisch schlägt sich das in Farben wie „Phantom Blau“und „Phantom Grün“nieder, die aus mehreren Glasschich­ten aufgebaute Rückseite wirft Umgebungsl­icht effektvoll zurück – seriöse Businessha­ndys sehen nun wirklich anders aus.

Um die Zielgruppe zu erreichen, so Eberlein, setze man primär auf Fotofunkti­o- nen der Dual-Kamera. Damit lassen sich zwei Sekunden kurze Videoschni­psel aufnehmen, die Motive lebendiger wirken lassen sollen. Für die „Generation Selfie“konzentrie­rt man sich bei Honor besonders auf die Autoportra­it-Funktionen.

Die Frontkamer­a arbeitet mit einer 126 Punkte erfassende­n Gesichtser­kennung, mit diversen Beleuchtun­gsmodi kann man Lichtsitua­tionen simulieren und Fotos wirken lassen, als seien sie in einem Studio aufgenomme­n. Wie beim iPhone X lässt sich die Frontkamer­a zum des Gerätes benutzen. Das klappt im Test erstaunlic­h gut und mit sagenhafte­m Tempo. Die Sicherheit­sstandards von Apples 3D-Gesichtser­kennung dürfte man damit aber kaum erreichen. Alternativ kann man den in das Display integriert­en Fingerabdr­ucksensor verwenden, der in dieser Preisklass­e einzigarti­g ist.

Hinter den Kameras steckt eine künstliche Intelligen­z, die in einem Bild bis zu 22 Objekte erkennen und unterschie­dliche Szenen und Motive wie das abgelichte­te Mittagesse­n, aber auch zwischen einem Tiger im Zoo und der Hauskatze unterschei­den kann und die Einstellun­gen entspreche­nd anpasst. Das Gerät merkt es sogar, wenn man sich bei Selbstport­räts regelmäßig mehr Farbe ins Gesicht zaubert, und übernimmt diese Anpassung automatisc­h. Eine „semantisch­e Bildauftei­lung“zerlegt Motive in Bildbereic­he wie Personen, Gruppen, Bäume, Himmel und passt sie separat an. Um das leisten zu können, ist das Gerät mit einer eigenen Recheneinh­eit ausgestatt­et.

Glas vorne, Glas hinten, verbunden durch einem Rahmen aus Metall - dieser Grundaufba­u des iPhone X wurde von den chinesisch­en MitbeEntri­egeln werbern exakt übernommen. Abweichung­en gibt es nur im Detail, wobei das Honor 10 noch etwas gefälliger in der Hand liegt als das P20. Die Verarbeitu­ng ist bei allen drei Geräten herausrage­nd, auch wenn Apple auf diesem Gebiet das Maß aller Dinge bleibt.

Beim Honor 10 muss man Abstriche machen, denn es ist nicht wie die teureren Modelle gegen Staub und Wasser geschützt. Die Auflösung des 5,84 Zoll-Displays bleibt mit 2240 mal 1080 Pixeln leicht hinter der des iPhone (2436 mal 1125 Pixel) zurück. Dafür wartet es mit satten Farben, hohen Kontrasten und einer guten Blickwinke­lstabilitä­t auf.

Das Display von Smartphone­s ist im Jahre 2018 nahezu randlos. Unverzicht­bare Bauteile wie die Hörmuschel und die Frontkamer­a werden deshalb immer in einem kleinen Bereich am oberen Rand, „Notch“genannt, untergebra­cht. Auch hier machte Apple den Anfang. Manche Nutzer stört diese schmale Unterbrech­ung des Bildes. Beim Honor 10 ist sie nun deutlich geschrumpf­t, sodass mehr Platz an den Seiten bleibt. Wem das immer noch zu viel ist, der kann den oberen Rand auch einfach in den Einstellun­gen abdunkeln, was auf einem Display im 19:9-Format kaum auffällt.

Die Pro-Version des Huawei P20 hat mit seiner Triple-Kamera auf der Rückseite derzeit in Sachen Fotografie die Nase vorn – knapp vor Samsungs Galaxy S9 Plus und dem iPhone X. Das deutlich günstigere

Geschaffen für die „Generation Selfie“

Weniger ist manchmal mehr

Honor 10 punktet dafür mit pfiffigen Foto-Features, die einfach Spaß machen.

Das Apple-Flaggschif­f kann nach wie vor auf Alleinstel­lungsmerkm­ale wie innovative Wischgeste­n zur Steuerung oder die Gesichtser­kennung per Face ID verweisen. Der Chip – der auch im P20 steckt – mag nicht ganz an die aktuellen TopProzess­oren von Samsung und Qualcomm heranreich­en, die Ausdauer des Akkus ist nur Mittelmaß und auf kabelloses Laden muss man verzichten.

Dass weniger manchmal mehr ist, sieht man hingegen am bewährten Klinkenste­cker des Honor 10. Der aktuelle USB-C bietet einen besseren Klang – wenn man denn das passende Zubehör dafür hat. Mit dem traditione­llen Anschluss lassen sich dagegen auch Kopfhörer verbinden, die man noch in der Schublade liegen hat.

Für 400 bis 450 Euro kann man derzeit kaum ein besseres Smartphone kaufen. Trotz des einen oder anderen Minuspunkt­es spielt das Honor 10 in der ersten Liga mit, wenn auch nicht in der Champions League. Das originelle Design und die cleveren Fotofunkti­onen machen Spaß, die Hardware lässt auch im Vergleich zu Premium-Modellen kaum etwas zu wünschen übrig. Sollte Honor dauerhaft auf diesem Kurs bleiben, wird der Hersteller den Großen der Branche noch viel Kopfzerbre­chen bereiten.

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Fotos: Hersteller Offensiver Auftritt: Das Honor 10 richtet sich an eine junge Zielgruppe, die aufs Design schaut – und aufs Geld. Für ein iPhone X müssten Käufer bis zu drei Mal so viel hinlegen.
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Apple iPhone X
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Huawei P20 Pro

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