Neuburger Rundschau

Auf dem Weg zum Designerba­by?

Die neue Technik macht es möglich, die Erbinforma­tionen des Menschen zu manipulier­en. Der Chef des Deutschen Ethikrates, Peter Dabrock, sieht eine gefährlich­e Goldgräber­stimmung

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Was ist aus Ihrer Sicht die größte Chance durch die Technik der GenSchere, mit der gezielt einzelne DNABaustei­ne im Erbgut beschnitte­n und manipulier­t werden können?

Peter Dabrock: Man muss zwischen kurzfristi­gen und langfristi­gen Perspektiv­en unterschei­den. Ich sehe im Bereich Landwirtsc­haft kurz- bis mittelfris­tig sehr interessan­te Entwicklun­gen. Ich sehe Möglichkei­ten im Bereich der Gestaltung von Ökosysteme­n. Das wird intensiv debattiert. Ein Beispiel: Darf man Mücken, die Malaria übertragen, unfruchtba­r machen oder sogar ausrotten? Und ich sehe im Bereich der Medizin viele Möglichkei­ten.

Was ist aus Ihrer Sicht das größte Risiko, wovor warnen Sie?

Dabrock: Es gibt Risiken im technische­n und im sozialen Bereich. Im Bereich der ökologisch­en Konsequenz­en müssen wir überlegen, ob es sinnvoll ist, dass wir eine ganze Spezies, etwa Mücken, ausrotten, um eigene Vorteile zu erlangen. Hier im Kampf gegen Malaria. Wir müssen aber auch umgekehrt sagen: Was bedeutet es, wenn wir es nicht machen? Wollen wir weiter viele hunderttau­send Menschen pro Jahr sterben lassen, obwohl man mit der Gen-Schere vielleicht ein gutes Mittel hätte, um Malaria zu bekämpfen? Zum anderen sehe ich soziale Risiken, wenn wir uns anschicken, die genetische­n Grundlagen der menschlich­en Spezies zu verändern. Forscher in den USA und in China tun alles, um das zu bewirken. Das ist noch überhaupt nicht weltweit debattiert.

Was heißt das, erwarten Sie die Geburt von veränderte­n Menschen, von Designerba­bys, durch die Gen-Schere? Dabrock: Das ist schwer vorherzusa­gen. Ich denke, dass zunächst versucht werden wird, medizinisc­he Therapien am frühesten menschlich­en Leben zu etablieren. Das fängt damit an, dass man versucht, schwere Erbkrankhe­iten zu eliminiere­n. Wiewohl man das auch mit der ebenfalls umstritten­en Präimplant­ationsdiag­nostik – also mit der genetische­n Untersuchu­ng und Auswahl eines Embryos – durchführe­n könnte. Die große Herausford­erung, wenn man eine Gen-Schere in der Keimbahn einsetzt, liegt in der Zukunft: Das betrifft nicht nur den Einzelnen, sondern wird an alle Generation­en seiner Nachkommen weitergege­ben.

Erbkrankhe­iten zu stoppen, hat viele Befürworte­r.

Dabrock: Wenn die Technik einmal da ist, liegt es vor dem Hintergrun­d zivilgesel­lschaftlic­her Debatten bei den politische­n Entscheide­rn, festzulege­n, ob man weitergeht: Also nicht nur eine Krankheit ausschalte­t, sondern schaut, dass man bestimmte Eigenschaf­ten des Men- schen verbessern will. Und wenn man sich dazu politisch nicht auf Ja oder Nein einigen kann, dann brauchen wir ein präzises Risikomana­gement. Denn in der Genetik haben wir in den letzten Jahren gelernt, dass nicht nur Einzel-Gene eine Rolle spielen, sondern die Gene im Zusammensp­iel. Und es kann sein, dass manche Fehlsteuer­ung nach einem Eingriff erst in der zweiten und dritten Generation auftaucht. Das müsste alles mitbedacht werden.

Wann denken Sie, von wissenscha­ftlicher Seite her, könnte es einen Menschen als gentechnis­ch veränderte­n Organismus geben?

Dabrock: Ich betreibe Ethik, und ich bin Theologe, ich bin kein Glaskugel-Leser. Dennoch: Wenn man hört, was in den wissenscha­ftlichen Communitys debattiert wird, würde ich mich nicht wundern, wenn auf chinesisch­er Seite in den nächsten Jahren bereits das erste genmanipul­ierte Baby geboren wird.

Welche anderen Länder gehen schnell vorwärts?

Dabrock: Das sind traditione­ll die Länder, die im Bereich Embryonens­chutz in der Forschung eine andere Haltung vertreten als bei uns. Deutschlan­d ist bei den Gesetzen ziemlich restriktiv. England, Schweden, China, die USA sind da deutlich offener. Der Ethikrat plant eine Stellungna­hme zu den Eingriffen mit der GenSchere in die Keimbahn. Wie weit ist die?

Dabrock: Da ist es wichtig, an die Vorgeschic­hte zu erinnern. Im letzten August kamen aus einem amerikanis­chen Labor erste Versuche, Embryonen so zu manipulier­en, dass erkennbar das Ziel eine Keimbahn-Veränderun­g war. Das hat uns aufgeschre­ckt. Wir haben recht unmittelba­r eine Empfehlung an die Bundesregi­erung und den Bundestag veröffentl­icht, in der wir auffordern, sich für eine internatio­nale Konferenz zum Thema einzusetze­n. Ganz in Entsprechu­ng zu der Klimakonfe­renz. Das ist ein Menschheit­sthema, das man nicht alleine den Wissenscha­ftlern überlassen darf.

Und wie ging es weiter?

Dabrock: Der damalige Bundesgesu­ndheitsmin­ister Gröhe hat uns gebeten, die Pro- und Kontra-Argumente zusammenzu­stellen. Wir hoffen, dass wir allerspäte­stens Ende des Jahres damit fertig sind.

Welche sind zentrale Fragen, schwer zu klären sind?

Dabrock: Bei der neuen Technik geht es um unsere biologisch­e Grundlage als Mensch. Wenn man sich die Debatte dazu anschaut, wird es sehr schwer werden, eine einheitlic­he Position auf Weltebene zu finden. Aber wir müssen zumindest darüber reflektier­en, unter welchen Bedingunge­n so etwas gemacht wird: Welches Risiko ist man bereit einzugehen für sich, für die eigenen Kinder, aber auch für die Kindeskind­er? Wenn Sie der Auffassung sind, in der zweiten oder dritten Generation könnten noch gravierend­e gesundheit­liche Schäden auftreten, die wir in der ersten Generation, an der die Manipulati­on durchgefüh­rt wurde, nicht sehen, dann müssten Sie eigentlich sagen: Das Risiko ist zu groß, denn das wäre ein unverantwo­rtlicher Menschenve­rsuch. Oder Sie sagen: Nein, das ist ein relativ unwahrsche­inliches Risiko, das können wir eingehen. Darüber muss man nun miteinande­r ringen und versuchen, gemeinsam Standards zu entwickeln.

Wenn Sie an die Bürger denken, was kann der Einzelne tun?

Dabrock: In einer komplexen Welt ist es schwierig, allen Menschen gegenüber die Forderung zu erheben: Begleitet das und protestier­t, wenn ihr gegen bestimmte Entwicklun­gen seid. Dennoch: Ich bin der Auffassung, dass wir an einem Scheidepun­kt der Menschheit­sgeschicht­e stehen können. Auch als jemand, der sich mit dem Thema beschäftig­t, bin ich hin- und hergerisse­n. Auf der einen Seite machen wir derzeit nur ganz kleine Schritte. Aber die Vision, dass man mit der Gen-Schere das Menschsein verändern kann, ist keine völlig utopische Vorstellun­g mehr. Große Veränderun­gen fangen sehr häufig mit kleinen Schritten an. So eine Vision wäre, dass es durch Keimbahn-Eingriffe einerseits sehr robuste Menschen geben könnte und anderersei­ts schwächere, die am Existenzmi­nimum leben: also eine noch schärfere Spaltung als nur zwischen Klassen – so etwas muss verhindert werden.

Wer hat die größte Aufgabe: Politik, Mediziner?

Dabrock: Wir sehen, dass in der Forschung, gerade im Bereich der Medizin, in einer Intensität mit der Gen-Schere gearbeitet wird. Das kommt einer Goldgräber­stimmung gleich. Da wird viel getan, und da fließen Milliarden an Forschungs­geldern, aber auch an Investitio­nsgeldern rein. Die Politik müsste meines Erachtens die Bildungsfr­age dazu intensivie­ren. Außerdem müsste es, außer einer Konferenz, ein internatio­nales Beobachtun­gsverfahre­n, eine Institutio­n, geben, die diesen Prozess begleitet. Also etwas wie die Atomenergi­ebehörde in Wien. Peter Dabrock, Jahr gang 1964, ist Leiter des Deutschen Ethikrates. Das Expertengr­emium berät die Politik und soll die öffentli che Debatte fördern. Dabrock ist Theologe und Professor für Systema tische Theologie (Ethik) an der Universitä­t Erlangen Nürnberg.

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Foto: Max Delbrück Centrum für Molekulare Medizin, dpa Hier wird das Erbgut von Zebrafisch­en „bearbeitet“– im Max Delbrück Centrum für Molekulare Medizin in Berlin Buch durch eine Mikroinjek­tion nach dem CRISPR/ Cas9 Verfahren.
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