Neuburger Rundschau

Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (53)

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Seien Sie doch einen Augenblick still!“ruft Kufalt aufgeregt und verbietet Beerboom das Wort. „Herein, bitte.“

Ja, sie hatte geklopft, ausgerechn­et, da Beerboom da war, kam sie. Sie blieb auf der Türschwell­e, Beerboom stand zögernd auf, sah nach ihr hin.

„Darf ich Ihrem Freund und Ihnen noch etwas Tee bringen?“

Oh, sie war gnädig heute, irgendwas saß ihr im Kopf, vielleicht war ihr etwas schiefgega­ngen am Tage, sie besann sich auf den Mieter ihrer Mutter, sie bot ihm und seinem Freunde Tee an.

Beerboom sagte rasch: „Für mich bitte nicht. Ich muß gleich weg. Ich muß um zehn Uhr im Heim sein.“

Und Kufalt wütend: „Beerboom, ich habe Ihnen doch gesagt, wenn Sie je wieder…“

Liese Behn stand auf der Schwelle, sie sah von einem zum andern.

Beerboom wollte hastig wiedergutm­achen: „Ich bin übrigens gar nicht sein Freund. Herr Kufalt

nimmt mich hier nur manchmal so auf.“Beteuernd: „Er hat gar nichts mit mir zu tun.“

Sie trug ein bläuliches, sehr helles Kleid, ohne Ärmel, mit einem kleinen viereckige­n Ausschnitt. Wohl wegen der Hitze hing ihr Haar lose und leicht um ihr Gesicht, ihr Mund, halb geöffnet, sah kindlich aus.

„Also ich mache Ihnen dann Tee“, sagte sie. „Das Wasser kocht gleich.“

Aber sie ging nicht. Sie zog vielmehr die Tür hinter sich zu und sagte: „Wollen Sie mir nicht Ihren Freund vorstellen?“

„Beerboom“, sagte „Fräulein Behn.“

„In was für einem Heim leben Sie denn, Herr Beerboom?“fragte sie. Sie sah Kufalt nicht an.

„Ja, wie soll ich sagen?“sagte Beerboom verwirrt. „Ich weiß nicht…“Und als habe er plötzlich eine Erleuchtun­g: „Ne richtige Klappsmühl­e ist es nicht, aber ein bißchen meschugge bin ich schon.“ Kufalt. Er war sehr stolz auf diesen Ausweg, er setzte erklärend hinzu: „Darum darf ich ja auch manchmal zu Herrn Kufalt kommen.“

Kufalt spürte – vor lauter Verzweiflu­ng – einen fast unwiderste­hlichen Lachreiz, aber Liese lachte nicht. Sie hatte sich auf den Rand eines Plüschsess­els gesetzt und sah Beerboom freundlich an: „Wieso sind Sie denn meschugge? Ein bißchen meine ich.“

„Ach, wissen Sie“, sagte Beerboom. „Das ist eine lange Geschichte und ich muß wirklich gleich weg.“Er dachte nach, er gab sich Mühe, Kufalt nicht zu schaden: „Wissen Sie, Fräulein, es ist was mit Frauen. So was kann ich Ihnen nicht erzählen, nicht wahr?“

„So“, sagte Liese. „Ich glaube, ich weiß mehr davon, als Sie denken.“

Nachdenkli­ch betrachtet­e sie Beerboom, dann Kufalt. Kufalt zitterte, es war ja so leicht, alles zu kapieren, wenn man sie beide so vor sich hatte. Sie hatte es in den Nächten gespürt, wie er sie begehrte und sich verkroch, begehrte und verkroch. Gelähmte Männer, beschädigt­e Männer, Männer mit einem Wurm im Hirn – leicht zu kapieren.

Sie sagte plötzlich lächelnd: „Also erzählen Sie schon, ein ganz klein bißchen. Ich sage bestimmt halt, wenn es zu schlimm wird.“

,Quälerin‘, denkt Kufalt. Und dann laut: „Übrigens kocht das Teewasser sicher längst, Fräulein Behn. Ich meine nur… Sie wollten doch Tee …“

Er verwirrt sich unter ihrem Blick, hält inne.

„Ja, was ich noch sagen wollte, Herr Kufalt“, sagt sie. „Mutter erzählt, neulich war einer da, einer in Zivil mit der Marke, verstehen Sie, und hat sich nach Ihnen erkundigt. Ob Sie abends lange ausgehen, ob Sie viel Geld haben, mit wem Sie verkehren und all so was.“

Sie macht eine Pause, sie sieht nicht mehr Kufalt, sie sieht Beerboom an.

„Ich versteh’ nicht, wieso …“, Kufalt ist wie vor den Kopf geschlagen.

„Nur, daß Sie Bescheid wissen“, sagt Liese. „Mutter und mich stört’s nicht. Also, was ist mit Ihnen, Herr Beerboom?“Kufalt steht da. Er ist zerschmett­ert und glücklich, er darf wohnen bleiben und schämt sich, sie hat alles verstanden, vielleicht lange schon – und was nun?

Er sieht auf sie, aber sie ist längst nicht mehr bei ihm, sie spricht mit Beerboom, sieh doch, ihre Wangen sind ganz rosig, ihre Augen glänzen, so eifrig ist sie. Nun steht sie auf von ihrem Sessel, sie geht zu Beerboom, sie setzt sich zu ihm auf das Sofa, die beiden flüstern – wie alt ist sie? Einundzwan­zig? Zweiundzwa­nzig? Mehr sicher nicht.

„Es ist“, sagt Beerboom, „ich kann keine einzige Frau ansehen, ich muß immer daran denken. Verstehen Sie. Immer nur daran. Und wenn ich mit einer sprechen möchte, mit einer ausgehen, muß ich immer an alle andern denken. Ich entschließ­e mich nicht. Es ist so lange her …“

„Wie lange her?“

„Elf Jahre. Alle elf Jahre ist es immer nur das eine gewesen, und nun ist es so vieles, so vielerlei, verstehen Sie …“

Er betrachtet sie hilflos. „Und nun ist es immer noch so wie… wie im Gefängnis?“Sie hat die Unterlippe vorgeschob­en, sie sieht ihn unverwandt an. Wie der sachte Flügel eines Vogels steht weiches, loses Haar über ihrer Stirn.

„Gefängnis, nein“, verbessert Beerboom eifrig. „Ich bin Zet, Zuchthaus, Kufalt ist Kittchen…“Er sieht schuldbewu­ßt auf: „Es macht Ihnen doch nichts, Kufalt? Fräulein weiß doch alles.“Kufalt sieht zu, antwortet nicht. „Nein“, sagt Beerboom. „Oder doch. Bis ganz vor kurzem. Aber jetzt ist alles anders geworden…“

Er hält inne. Sie sitzen, warten lautlos, alle zwei, ob er es sagen wird. Es ist wie ein schwüler Dunst im Zimmer, eine heiße, trockene Luft… Sie sehen vor sich hin, keines sieht das andere an.

„Wissen Sie…“, fängt Beerboom wieder an und stockt von neuem.

Kufalt wagt einen Blick. Das verkniffen­e, gelbe Gesicht ist hell geworden, sieht glatt aus, es glänzt, strahlt. Wie eine Landschaft ist es, Berge und Täler und weite Flächen… Ist es Glück, kann so etwas das Glück sein?

„Ich hab’ ’ne Schwester“, sagt Beerboom langsam. „Wie ich weg kam von Haus – dahin, war sie noch ganz klein, zehn Jahre, zwölf Jahre?“Er schweigt, fängt neu an: „Ich weiß alles von den Kindern, wissen Sie, von den kleinen Mädchen, ich hab’ doch die Schwester. Ich hab’ im Zet schon damit angefangen, daß ich immer an die denke. Und nun …“

Wieder Pause, Schweigen. Der Beerboom steht auf, geht hin und her, schnell, setzt sich wieder, sagt: „Die Kinder, die kleinen Mädchen, in den Anlagen, verstehen Sie …“Pause, Vorsichhin­sehen. Wenn man sich rühren könnte, das Fenster weiter aufstoßen, Luft, Nachtwind, daß der Spuk verblasen wird. Es ist Spuk, Hexerei, aber sie, sie sitzt da, sie ist eine Hexe, Quälerin…

„Ich steh’ da so und sehe zu, immer, wenn ich fortkommen kann aus dem Heim, sehe ich zu.

 ??  ?? Willi Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch....
Willi Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch....

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