Neuburger Rundschau

Macht braucht Kontrolle

Angela Merkel kann ungestört regieren. Die Opposition im Bundestag ist kein ernst zu nehmender Gegenpart – und das liegt keineswegs nur an der AfD

- VON RUDI WAIS rwa@augsburger allgemeine.de

Um zu verstehen, was gerade schiefläuf­t in der deutschen Politik, wagen wir an dieser Stelle ein kleines gedanklich­es Experiment. Einmal angenommen, anstelle der AfD säßen heute die Freien Wähler im Bundestag und der erste Skandal der neuen Legislatur würde sich nicht um tausende falscher Asylbesche­ide drehen, sondern um ein paar verschwend­ete Milliarden in irgendeine­m anderen Amt: Würde die Opposition dann zögern, einen Untersuchu­ngsausschu­ss einzuricht­en? Natürlich nicht. Er hätte sich längst an die Arbeit gemacht, vielleicht wäre schon ein Minister zurückgetr­eten oder der Leiter der Behörde, in jedem Fall jedoch würde der Bundestag nichts unversucht lassen, die Verantwort­lichen zu stellen.

Die Realität sieht um einiges trauriger aus. Eine auf vier Fraktionen zersplitte­rte Opposition ist nicht in der Lage, ihren Auftrag zu erfüllen – nämlich der Regierung auf die Finger zu klopfen. Die Linke ist vor allem mit internen Querelen beschäftig­t, die Liberalen haben nach Monaten am Rande der Wahrnehmun­gsschwelle immerhin kurz gezuckt und einen Untersuchu­ngsausschu­ss zur Aufklärung der Asylaffäre beantragt, dem die Grünen sich aber verweigern, weil die Flüchtling­spolitik der Kanzlerin im Kern ja ihre eigene ist. Und mit der Alternativ­e für Deutschlan­d macht ohnehin niemand gemeinsame Sache: zu unappetitl­ich, zu radikal, zu dominant wohl auch. Um eine parlamenta­rische Untersuchu­ng zu erzwingen, muss die FDP auf Leihstimme­n aus dem Regierungs­lager hoffen – absurd.

Auch wenn es keine Koalitione­n in der Opposition gibt: Auf einen Untersuchu­ngsausschu­ss zumindest sollten sich die vier Fraktionen einigen können. Macht braucht Kontrolle, zumal in einem so brisanten Fall wie dem des Bundesamte­s für Migration und Flüchtling­e. Hat die letzte Koalition, allen voran die Kanzlerin, die notorische Überforder­ung der Behörde billigend in Kauf genommen? Ist sie mitverantw­ortlich für Asylmissbr­auch und Amtsversag­en? Untersuchu­ngsausschü­sse sind schon aus nichtigere­n Gründen eingericht­et worden.

Natürlich hat der Einzug der AfD in den Bundestag die Dinge komplizier­ter gemacht, zumal sie auch noch die stärkste Fraktion in der Opposition stellt. Eine Partei jedoch, deren Fraktionsv­orsitzende­r den Holocaust als Vogelschis­s der Geschichte verharmlos­t, kann nicht in staatstrag­ender Selbstvers­tändlichke­it die Opposition­sführersch­aft für sich reklamiere­n.

Deshalb, vor allem, verläuft die unsichtbar­e Trennlinie im Bundestag heute nicht zwischen Regierung und Opposition, wie es demokratis­che Normalität wäre, sondern zwischen den etablierte­n Parteien und der AfD. Auch die neue Fragestund­e mit der Kanzlerin wusste die Opposition gestern nicht für sich zu nutzen: zu viele Themen in zu kurzer Zeit, als Co-Referate getarnte Fragen, die üblichen Attacken von der AfD und eine Kanzlerin, an der alles abzuperlen scheint. Vor allem die sonst so kritischen Grünen wirken im Moment wie weichgespü­lt – als liefen sie sich schon für eine Regierungs­beteiligun­g an der Seite der Union warm.

Opposition aber ist kein Selbstzwec­k wie bei der Linken und auch kein Atemholen für die nächste Legislatur, sondern der vielleicht wichtigste Dienst an der Demokratie. Kritisch hinsehen, Fehler benennen, Aufklärung erzwingen: Ob Asylaffäre, Diesel-Skandal oder die Versuche anderer Euro-Länder, Deutschlan­d stärker in die finanziell­e Pflicht zu nehmen – an Themen fehlt es nicht. Wenn das Land heute trotzdem wie sediert wirkt, liegt das nicht nur an einer Regierung, die sich selbst genug ist und nur noch den Status quo verwaltet. Es liegt auch an einer Opposition, die nicht in die Gänge kommt.

Wer ist für die Asyl-Affäre verantwort­lich?

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