„Wölfe nicht gefährlicher als Hirsche“
Der Wolf im Donau-Ries macht vielen Angst. Experte Ulrich Wotschikowsky erklärt, dass wir lernen müssen mit den Tieren zu leben – und dass die Politik versagt hat
Das Foto einer Wildkamera hat bewiesen: Im Landkreis Donau-Ries war ein Wolf unterwegs. Herr Wotschikowsky, Sie waren im Nationalpark Bayerischer Wald für das Wildtiermanagement zuständig und sind studierter Förster. Überrascht Sie der Fund? Wotschikowsky: Nein.
Wotschikowsky: Wölfe können von allen Seiten Europas zu uns kommen. Das kann täglich passieren. Das Foto bestätigt genau das Bild, das ich habe: Nach Bayern kommen immer mehr Wölfe.
Was vermuten Sie: War der Wolf aus dem Donau-Ries nur auf der Durchreise oder kann es sein, dass er bleibt? Wotschikowsky: Beides ist möglich. Ein Wolf kann mehrere hundert Kilometer weit wandern. Er entfernt sich von seinem Rudel und läuft so lange, bis er sich irgendwo heimisch fühlt. Solche Fälle hatten wir bereits.
Kann es sein, dass der Wolf in der Region ein Rudel gründet? Wotschikowsky: Die Wahrscheinlichkeit ist sehr gering. Der Wolf ist weit weg von einer nächsten Population und es müsste ja zunächst ein passender Geschlechtspartner gefunden werden.
Die Wolfspopulation wächst. Im Bayerischen Wald gab es 2017 sogar erstmals Nachwuchs. Woran liegt das? Wotschikowsky: Wölfe haben in Europa einen anderen Status bekommen: Man will sie nicht ausrotten, sondern ihnen eine Chance geben, sich wieder zu etablieren.
Müssen wir uns vor der steigenden Zahl an Wölfen schützen? Wotschikowsky: Was heißt schützen? Wölfe sind ja nicht gefährlich. Es wird nur von einigen Leuten herbeigeredet. Wir haben ungefähr 15000 Wölfe in Europa, und seit 40 Jahren ist nichts passiert. Man soll sich diese Rotkäppchen-Märchen endlich abschminken und die Wölfe realistisch sehen. Sie sind nicht böse.
Wotschikowsky: Wölfe sind nicht gefährlicher als Wildschweine oder Hirsche.
Eltern müssen somit keine Angst haben, ihre Kinder alleine in den Wald gehen zu lassen? Wotschikowsky: Doch, wenn Kinder in den Wald gehen, kann ihnen ein Ast auf den Kopf fallen. Einem Erwachsenen übrigens auch. Der Ast ist zumindest eine viel größere Gefahr als ein Wolf, der scharf um die Ecke guckt.
Und wenn einem doch ein Wolf im Wald begegnet?
Wotschikowsky: Dann sollte sich der Mensch bewusst sein, dass das ein einmaliges Erlebnis ist. Einem Wolf zu begegnen ist seltener als eine Nadel im Heuhaufen zu finden.
Wer einem Wolf begegnet, sollte sich also freuen?
Wotschikowsky: Ja, er soll sich den Wolf angucken und sich darüber freuen, dass er einen gesehen hat. Sonst braucht er überhaupt nichts tun. Ein Wolf hat viel schärfere Sin- ne als wir – sieht er einen Menschen, wird er ihn einschätzen, sich umdrehen und abhauen.
Was ist, wenn sich der Wolf bedroht fühlt?
Wotschikowsky: Fühlt sich der Wolf bedroht, rennt er davon. Er muss wirklich in die Enge getrieben werden, bis er die Zähne fletscht. Wölfe sind ungeheuer ängstlich gegenüber Menschen, viel ängstlicher als Hunde. Ein Hund ist eigentlich schwerer einzuschätzen als ein Wolf.
Naturschützer freuen sich, Bauern und Weidetierhalter sorgen sich um ihre Tiere. Was leistet die Politik, um beiden Parteien gerecht zu werden? Wotschikowsky: Die Politiker fechten auf Nebenkriegsschauplätzen – machen viel Tamtam um die sogenannten Problemwölfe oder wollen mit der Schusswaffe eingreifen, bevor überhaupt Wölfe da sind. Die Weidetierhalter lassen sie dabei alleine. Ich habe den festen Eindruck, dass sie die Wölfe wieder weghaben wollen. Damit verweigert sich die Politik, den Tieren in Bayern eine Zukunft zu ermöglichen.
Warum ist das in Deutschland besonders tragisch?
Wotschikowsky: Weil wir uns in einem der reichsten Länder der Erde einreden, dass wir es nicht fertigbringen, mit ein paar Wölfen klarzukommen. Die Entscheidung, dass sich Wölfe wieder ausbreiten dürfen, wurde von allen Mitgliedsländern der EU einstimmig beschlossen. Das heißt, es ist unsere Politik, die das so haben wollte.
Wotschikowsky: Die Politik hätte längst einen Managementplan aufstellen müssen, wie mit dem Phänomen, dass Wölfe wieder zu uns kommen und Rudel bilden, umzugehen ist. Der Managementplan Stufe III hängt aber seit Jahren hinterher und wird von landwirtschaftlicher Seite blockiert.
Was brauchen Weidetierhalter, um Wolfsattacken zu verhindern? Wotschikowsky: Eine großzügige Förderung der zusätzlichen Aufwendungen, die mit den Wölfen auf sie zukommen. Beispielsweise für Elektrozäune und dort, wo größere Herden sind, für die Anschaffung von Herdenschutzhunden.
Aber darum kümmert sich die Politik nicht?
Wotschikowsky: Die Politik kümmert sich überwiegend um die Ausschaltung der Problemwölfe. Das sind verzogene Wölfe, die gefüttert wurden, sich dadurch schlechte Manieren angeeignet haben und eine Gefahr darstellen können. Dabei sind die so selten wie ein weißer Hirsch. Wir hatten in 18 Jahren einen einzigen Wolf, der sich krumm benommen hat. Um solche Sonderfälle braucht man sich nicht zu kümmern.