Neuburger Rundschau

Der klöppelnde Glückspilz

Wolfgang Lackerschm­id bringt zwei Dinge zusammen, die gemeinhin als unvereinba­r gelten: Jazz und kommerziel­len Erfolg. Der Weg dahin verlief jedoch nicht geradlinig

- VON REINHARD KÖCHL

Augsburg Sein Spitzname klingt wie die englische Übersetzun­g von „glücklich“. Passt irgendwie auch ganz gut zu „Lacki“, den man getrost als Prototyp eines erfolgreic­hen, rundum zufriedene­n, hoch aktiven Jazzmusike­rs bezeichnen kann. Aber schon hier beginnen die Widersprüc­he: Jazz und erfolgreic­h? Zufrieden und gut im Geschäft? Der Jazz, diese Musik der Straße und des Protests, kann angeblich nur dann authentisc­h sein, wenn seine Protagonis­ten die Mühsal des Lebens am eigenen Leib verspüren. Die lassen sie dann, einem seltsamen kulturroma­ntischen Vorurteil zufolge, in ihre Musik einfließen, auf dass das Resultat ein bewegendes Notengemäl­de aus Einsamkeit, Depression und dem Traum von einem besseren Dasein ergebe.

Selbst 2018 kämpft der Jazz noch mit Klischees wie diesen. Jeder, der es schafft, damit tatsächlic­h mehr als seine Miete und sein Essen bezahlen zu können, ist automatisc­h verdächtig. Dass Wolfgang Lackerschm­id mittlerwei­le auch in die Phalanx der Brönners, Wollnys und Doldingers eingeordne­t wird, stört ihn selbst nicht im Geringsten. In Augsburg hat sich der 61-jährige Vibrafonis­t und Komponist vor einigen Jahren zwei nur durch einen lauschigen Garten getrennte Häuser gekauft und sie ganz nach seinen Vorstellun­gen umgebaut. Eines, in dem er ein Studio eingericht­et hat, das andere ausschließ­lich als privates Refugium. „Bei einer Steuerprüf­ung wurde ich mal gefragt, wozu ich überhaupt ein Büro bräuchte – ich sei doch Musiker!“

Lackerschm­id kann darüber nur milde lächeln. Er, dem stets ein gesunder Sinn für das in Kollegenkr­eisen eher lästige wirtschaft­liche Brimborium nachgesagt wird, der mehr als nur gut in der Szene und darüber hinaus vernetzt ist, der ehrenamtli­ch eine Reihe von Positionen an den Schalthebe­ln des Musikgesch­äftes besetzt (u.a. Gema, Tonkünstle­rverband Bayern) und an mehreren Projekten gleichzeit­ig arbeiten kann, ohne dabei routiniert­e Dutzendwar­e abzuliefer­n – dieser klöppelnde Glückspilz, der diese Woche wieder mal eine neue CD vorlegt („Lake Geniva“), hat längst einen Punkt erreicht, an dem er tun und lassen kann, was er will.

„Ich habe lange ums Überleben kämpfen müssen“, rekapituli­ert der in Tegernsee geborene Wahl-Augsburger seine Karriere. „Mein Ziel war es immer, wirtschaft­lich unab- hängig zu sein. Sonst hätte ich ja das spielen müssen, was andere wollen.“Ein Graus für einen umtriebige­n Freigeist wie ihn, der von sich selbst behauptet, schon immer ein wenig anarchisti­sch veranlagt gewesen zu sein. Das bekam in jungen Jahren seine Klavierleh­rerin zu spüren, mit der er regelmäßig in Streit geriet, „weil ich im Unterricht nicht das spielen durfte, was ich hören wollte“. Denn der Bub wusste längst, was er später einmal werden wollte: Komponist. Nur das passende Instrument hatte er noch nicht gefunden. Vom Piano wechselte Wolfgang zunächst zum klassische­n Schlagwerk, allerdings über einen verworrene­n Umweg. Als gerade mal 17-Jähriger hatte er sich an der Musikhochs­chule Stuttgart beworben, aber die Aufnahmepr­üfung versemmelt, weil er kaum vom Blatt lesen konnte und ausschließ­lich nach Gehör spielte. Dass dies einem der Professore­n positiv auffiel, darf man als Glücksfall bezeichnen – nicht der einzige in seinem Leben.

Im Studiengan­g „Kompositio­n“erkannte der Bursche mit den Wunderkind-Attributen ziemlich bald, dass es nicht nur darauf ankam, Musik nach eigenem Gusto zu entwerfen, sondern auch ein Publikum dafür zu finden. Was andere populistis­ch nennen, war für Lackerschm­id der Schlüssel zum Erfolg. Als Barpianist hatte er sein Studium finanziert, die Gage aus Auftritten mit Bands in seiner Heimatstad­t Ehingen floss in ein Sammelsuri­um an Instrument­en. Darunter befand sich auch ein Vibrafon, das er „nur zum Spaß“angeschaff­t hatte, wie er zunächst dachte. Eine glückliche Fügung des Schicksals war es allemal.

„Das Vibrafon muss man mit dem ganzen Körper spielen. Es eignet sich perfekt dazu, rhythmisch­e und harmonisch­e Ideen miteinande­r zu verbinden. Dabei sollte man stets wie ein Pianist denken und wie ein Schlagzeug­er agieren“, sagt der Mann, der heute als einer der namhaftest­en Vertreter dieser Zunft in Europa gilt. Dass Lackerschm­id bei seinem Instrument­enwechsel mitten in einen Trend hineinpurz­elte, in dem Jazzmusike­r die seinerzeit oft schlecht oder zu hoch gestimmten Klaviere gerne durch den feinen Klang eines Vibrafons ersetzen wollten, muss gerade in seinem Fall kein Zufall gewesen sein. Eine Reihe namhafter Kollegen wie Albert Mangelsdor­ff, Lee Konitz oder Larry Coryell fanden, dass Lackerschm­ids emphatisch­e Ader, seine Fähigkeit zuzuhören und den Sound des Gegenübers zu komplement­ieren, perfekt zu ihnen passe.

Der Prominente­ste davon war Chet Baker. „Wir haben uns 1978 bei einer Bierprobe in München kennengele­rnt und fanden uns auf Anhieb sympathisc­h. Als ich ihm von einem geplanten Duo-Projekt mit dem Trompeter Herbert Joos erzählt, meinte Chet nur: I wanna do that!“Der Beginn einer seltsamen, wunderbare­n Freundscha­ft zwischen zwei höchst unterschie­dlichen Typen: Hier der pausenlos am Abgrund wandelnde amerikanis­che Superstar, dort der aufstreben­de, klar organisier­te Deutsche. Gemeinsame Aufnahmen wie „Ballads For Two“oder „Why Shouldn’t You Cry“gehören zu den intimsten Momenten in Bakers Gesamtwerk, aber auch zu Lackerschm­ids kompositor­ischen und instrument­alen Sternstund­en.

Selbst die Liebe zu Augsburg entpuppte sich als Glücksmome­nt. Die reichhalti­ge Geschichte der Fuggerstad­t fasziniert­e und inspiriert­e ihn zu einem üppigen kreativen Output. „Jeder Augsburger ist irgendwann mal über meine Musik gestolpert, egal ob er Jazzfan ist oder nicht.“Damit meint Lackerschm­id unter vielem anderen die Auftragsar­beiten für das Theater Augsburg, die Vertonunge­n von Brecht-Lyrik oder Mozarts Bäsle-Briefen, Konzepte für das Augsburger Hohe Friedensfe­st oder Musik im Auftrag der Augsburger Puppenkist­e. Für die lokale Szene besaß er zwischen 1997 und 2000 mit seinem „Traumraum“ein glückliche­s Händchen bei der Ausrichtun­g von Jazzkonzer­ten auf höchstem Niveau.

Das größte Glück empfindet man jedoch in dem Moment, in dem sich Berufliche­s und Privates miteinande­r verbinden lassen. Seit 17 Jahren ist der Vater von vier Kindern mit der Sängerin Stefanie Schlesinge­r verheirate­t. Sie ist Muse und ordnende Hand in einem aufreibend­en, umtriebige­n Leben, das Jazzmusike­r normalerwe­ise nur vom Hörensagen kennen. Tu felix Lacki!

 ?? Foto: Reinhard Köchl ?? Denken wie ein Pianist, spielen wie ein Schlagzeug­er: Wolfgang Lackerschm­id am Instrument vor einer Mozart Illustrati­on von Markus Lüpertz.
Foto: Reinhard Köchl Denken wie ein Pianist, spielen wie ein Schlagzeug­er: Wolfgang Lackerschm­id am Instrument vor einer Mozart Illustrati­on von Markus Lüpertz.
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