Neuburger Rundschau

Deutscher Meister Neuburg

-

Endlich: Wir sind Deutscher Meister! Was dem VfR seit 1926 versagt bleibt, gelingt der Feuerwehr schon im neunten Anlauf. Bei den Deutschen Meistersch­aften im Unfallrett­en hat sie alle Mitbewerbe­r nass gemacht und bewiesen: Niemand bringt Menschen und damit den Pokal sicherer nach Hause. Da staunt sogar der Grantler, der sich seit Jahrzehnte­n an der Seitenlini­e des Brandlstad­ions vergebens die Beine in den Bierbauch steht.

Abgesehen vom jüngsten Ausreißer der Feuerwehr sieht es in Neuburg nämlich wenig meisterlic­h aus, denkt er und runzelt die Stirn. Meister im Brückenbau­en? Will vor allem einer werden – und auch das bleibt abzuwarten. Meister im Sparen? Angesichts der vielen Schulden eher eine Notwendigk­eit denn eine Tugend. Höchstens Meister im Sanierungs­stau, denkt der alte Mann, der täglich im Glasscherb­enviertel rund um die Schießhaus­straße spazieren geht. Nüchtern lässt sich dieser Anblick kaum ertragen, murmelt er. Dabei war die Verwandlun­g einer Betonwüste in blühende Landschaft­en zum Greifen nah, ein von Städteplan­ern ausgetüfte­ltes Konzept lag auf dem Tisch. Bis es die Stadträte in einer Sondersitz­ung beiseite fegten – eine Meisterlei­stung.

Der Grantler sieht sich bestätigt: Wer in Neuburg wahre Kompetenz sucht, hat es schwer – von Meistersch­aft ganz zu schweigen. In solchen Fällen hält er es mit der Flucht ins Kollektiv. Immer wenn die Enttäuschu­ng und der Kleinstadt­blues zu schmerzlic­h an ihm nagen, expandiert er sein Selbstvers­tändnis und wird wahlweise zum Bayern, Deutschen oder Europäer – das ist Balsam auf seine geschunden­e Patriotens­eele. Denn eine Ebene höher bekommt er, was er in den Donauniede­rungen vermisst: Dem FC Bayern ist die Deutsche Meistersch­aft so gewiss wie dem VfR unmöglich, Mario Draghi als Präsident der Europäisch­en Zentralban­k lehrt einem ganzen Kontinent das Sparen und Deutschlan­d, ja Deutschlan­d ist sowieso in allem top. Wohin das allerdings führen kann, weiß der Grantler nur zu gut aus seiner Nachkriegs­kindheit. Darum ist ihm auf dem Feld der Politik die nationale Führungsro­lle suspekt, auf einem anderen Feld dagegen kann sie ihm nicht klar genug sein – es ist grün und von weißen Linien umgeben.

Denn das Spielfeld entscheide­t über den Gemütszust­and einer Nation. Erst recht, wenn am Donnerstag in Russland die WM beginnt, Deutschlan­d zusammen rückt und allein „Die Mannschaft“zählt. Geht alles gut, sind einen Monat später Identitäts­traumata auf Jahre geheilt und Neuburg ist nicht nur Deutscher, sondern Weltmeiste­r. Oder wir sind einmal mehr weltmeiste­rlich gescheiter­t.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany