König Fußball regiert
In Neuburg grassiert seit dem WM-Auftakt wieder das Flaggenfieber. Flaggen an Autos, Flaggen an Fenstern, Flaggen auf Backen. Fußball ist eben mehr als Sport, denkt der Grantler, selbst ein glühender Fan. Es ist ein königliches Fest für Menschen – aber auch für Herrscher.
Die Macht und der Sport ziehen sich seit jeher magisch an. Das zeigt nicht erst die WM in Russland, die offenbar nicht nur Lenin gefallen hätte Kritiker werden nicht müde und bezeichnen auch die aktuelle WM als Spiele Putins. Eine Demonstration der Macht und Mittel zur Selbstinszenierung. Das sah das römische Kaiserhaus nicht anders, die Spiele im Kolosseum waren ein probates Mittel, das Volk in die richtige Richtung zu lenken. Ob Merkel bei ihren Besuchen in der Kabine von Jogis Jungs Ähnliches im Schilde führt, fragt sich der Grantler nachdenklich.
Egal, jetzt nur nicht gesellschaftskritisch werden. Lieber ablenken und den Termin zum Public Viewing mit Freunden am Sonntang festzurren. Eine Leinwand plus Bier und die Welt ist wieder in Ordnung – wenn schon nicht im Großen, dann wenigstens im Kleinen, sagt er sich und flüchtet sich in die seichten Gefilde der Wochenendunterhaltung. Aber halt, da war doch was: Sonntagsdienst! Das hatte er vor lauter Flaggentaumel ganz übersehen...
Da winkt der König einmal zur Audienz, und dann das. Der Grantler in seiner Verzweiflung macht, was Menschen immer machen, wenn sie Dinge nicht erreichen: sie schlechtreden. Die Mannschaft wird gegen Mexiko mit wehenden Fahnen untergehen, elf Mann, die einem Ball hinterherrennen waren schon immer peinlich, und überhaupt: Es wird aus Eimern schütten. Allen Vorhersagen zum Trotz faltet er die Hände und schickt ein Stoßgebet zum Wettergott. Die Schleusen soll er öffnen und allen Freiluftfans am Sonntag gehörig das Spiel verhageln. Vergangenes Wochenende ging es ja auch. Von seiner eigenen Bösartigkeit überrascht, nahm er den Gedanken sofort zurück und öffnete erschrocken die Augen. Fußball ist zwar wichtig, aber so wichtig nun auch wieder nicht. Wieder bei Sinnen, fiel ihm Feuerbach ein, der nannte Religion einst das Opium fürs Volk. In einer Zeit, in der den Kirchen reihenweise die Schäfchen davonlaufen, sind Fußballstadien die neuen Weideflächen. Der Sport als letzter Kitt, der eine zum Zerreißen gespannte Gesellschaft noch zusammenhält – und deswegen bei den Mächtigen so beliebt ist. Es kann nicht schaden, die schwarz-rot-goldene Brille ab und an zu lüften, denkt der Grantler. Am Sonntag wird er sie trotzdem aufsetzen und ein kleines Fähnchen schwenken: Am Arbeitsplatz, während im Radio die Übertragung läuft.