Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (69)
Kameraden“, sagt Maack und seine Stimme wird frischer, „gleich werden wir anfangen zu schreiben, was wir seit Jahr und Tag geschrieben haben: Adressen. Und doch gehen wir heute an eine neue hoffnungsvolle Arbeit: wir arbeiten allein für uns selbst!“Er macht eine Pause. Er sagt: „Wenn wir erfüllen wollen, was wir übernommen haben, muß jeder von uns bei der Stange bleiben. Jeder von uns kann in diesem Monat viel Geld verdienen. Kameraden, spart es euch auf. Keine Mädchen, kein Kino, keine Trinkerei, diesen einen Monat lang. Vielleicht gelingt es uns dann.“Wieder eine Pause… Maack hält inne, lächelt, er sagt: „Wir haben gewissermaßen einen Monat Bewährungsfrist, es wird mit uns noch einmal versucht, wir versuchen es mit uns noch einmal…“
Er steht da und lächelt noch immer. Dann vergeht das Lächeln langsam, er sieht sich um, er sagt: „Ich denke, wir können mit Arbeiten anfangen.“
„Einen Augenblick bitte“, ruft Jänsch. „Ich will einen Antrag stellen.“
„Ja?“
„Ich beantrage, daß wir für die eigentliche Arbeitszeit ein Sprechverbot einführen. Jede Übertretung wird mit einem Groschen Strafe zugunsten einer Gemeinschaftskasse belegt.“
Maack sieht sich fragend um. „Ich denke, das ist ein vernünftiger Vorschlag. Ist jemand dagegen?“„Aber …“, sagt Monte.
„Du hältst den Mund, Monte, du hast hier gar nichts mitzureden“, sagt Jänsch.
„Wenn ich hier mitarbeiten soll, will ich auch mitreden“, sagt Monte trotzig.
„Klappe! sage ich dir“, sagt Jänsch drohend. „Oder…“
Er hebt seine Hände.
„Ich stelle fest, daß der Antrag angenommen ist“, sagt Maack. „Noch etwas?“
„Ja“, sagt Deutschmann, „ich beantrage, daß unter denselben Be- dingungen ein Rauchverbot erlassen wird.“
Betretenes Schweigen, denn fast alle sind leidenschaftliche Raucher.
„Rauchen kostet nur Geld“, sagt Deutschmann überredend, „hält in der Arbeit auf, und so groß ist der Raum auch nicht, daß acht Mann ununterbrochen qualmen können.“
„Das wird ja hier das reine Kittchen“, sagt Oeser unzufrieden.
„Wenn ich nicht qualmen darf, macht mir der ganze Krempel keinen Spaß“, erklärt Fasse. „Aber vernünftig ist es“, sagt Deutschmann.
„Finde ich auch“, sagt Maack. „Schließlich kann jeder, der will, eine auf dem Lokus stoßen.“
„Dann geht’s von der Arbeitszeit ab“, widerspricht Sager. „So kann man während der Arbeit rauchen.“Verdrossenes Schweigen. „Soll ich abstimmen lassen?“fragt Maack zögernd.
„Ich hab’ einen andern Vorschlag“, sagt Kufalt eifrig, „alle zwei Stunden oder meinetwegen alle anderthalb Stunden darf jeder eine Zigarette rauchen. Maack gibt das Signal. Dann freut man sich immer drauf und arbeitet um so schneller.“
„Gut, der Mann! Sehr gut!“lobt einer.
„Das ist vernünftig.“„Besser noch alle Stunde!“„Alle halbe Stunde!“
„Warum nicht alle zehn Minuten, du Dussel?“
„Ich denke also: alle anderthalb Stunden“, sagt Maack. „Wer dagegen ist, hebe die Hand. Keiner. Der Vorschlag Deutschmann-Kufalt ist angenommen. Noch ein Vorschlag?“
Einen Augenblick Stille, dann sagt Jänsch: „Ich schlag’ vor, daß wir endlich mit der Arbeit anfangen. Es ist schon zehn Uhr zwanzig.“
„Los!“sagt Maack scharf. „An die Arbeit, Kameraden, an unsere Arbeit.“
Und im gleichen Augenblick ist der Raum erfüllt von dem scharfen, schmetternden Klappern der Maschinen, die Glöckchen klingeln, die Wagen rasseln, Umschlag um Umschlag, das fliegt!
Kufalt falzt und falzt. ,Beste deutsche Qualitätsware aus der Firma Emil Gnutzmann – Stielings Nachfolger, Textil-Versand‘ liest er auf dem Prospekt.
,Ob ich je dazu kommen werde, den Inhalt zu lesen? Der Monte falzt nicht schlecht, er macht es mindestens ebenso schnell wie ich – man muß eben erst warm werden und den Dreh heraushaben. Fein habe ich das hingekriegt, eigentlich ist alles mein Werk, der Auftrag und die Maschinen. Na, im schlimmsten Falle gebe ich die in einem Monat zurück …‘
Monte neigt sich zu ihm und flüstert: „Der hat aber angegeben, der Maack, für so ’ne Mistarbeit so ’ne Rede!“
„Maack“, sagt Kufalt laut, „der Monte will dir einen Groschen geben, wegen Flüstern…“
Monte will protestieren, aber Jänsch sagt: „Schnauze, du Aas!“
Worauf Maack sagt: „Jänsch, bitte auch einen Groschen.“
Gelächter. Weiter. Weiter. Die ersten Hundert sind fertig. Kufalt holt sie, notiert sie für jeden (sie arbeiten jeder für sich im Akkord), das Einstecken der gefalzten Druckbogen fängt an. Erst liegt nur ein kleiner Haufen in der Zimmerecke, dann wächst er, wächst, breitet sich aus, türmt sich höher …
„Elf Uhr fünfzig“, sagt Maack. „Eine Zigarette.“
Und dann wieder Schmettern, Falzen, Schmettern, Einstecken. Draußen ist der Himmel blau. Und so viel Sonne… Sie sitzen in einer großen Dachkammer, es wird heiß und heißer. Wortlos macht Maack das Fenster auf, später öffnet Deutschmann die Tür. Jänsch zieht zuerst die Jacke aus, dann folgen ihm die andern. Jänsch zieht zuerst Kragen und Schlips ab, dann folgen ihm die andern. Jänsch zieht zuerst die Jacke aus, dann folgen ihm die andern. Jänsch zieht das Hemd aus und schreibt mit bloßem Oberkörper – brüllendes Gelächter. Dann folgen ihm die andern.
Und Schmettern, Falzen, Schmettern, Einstecken.
„Ein Uhr zwanzig“, sagt Maack. „Eine halbe Stunde Mittagspause. Sprechpause.“
Sie sind sehr aufgeregt, sie rechnen, wieviel sie geschafft haben, wie lange sie werden arbeiten müssen, um heute zehntausend zu schaffen.
„Zwölf wird’s wohl werden“, sagt Maack sorgenvoll.
„I wo“, antwortet Jänsch. „Man muß nur erst richtig reinkommen. Nicht später als elf.“
„Feine Bude“, lacht Deutschmann. „Das sollte Jauch sehen, uns nackte Männer.“„Bekommt aber der Arbeit gut.“„Kieks, Puppenjunge“, schreit Fasse.
„Ich verbitte mir das“, kreischt Monte.
„An die Arbeit“, ruft Maack. „Sprechsperre.“
Um neun Uhr zwanzig sagt Kufalt feierlich: „Zehntausend Stück, meine Herren, die ersten Zehntausend.“
„Hurra!“
„Heil!“
Und die kreischende Stimme Montes: „Kufalt zahlt einen Groschen!“
„Tu’ ich, mach’ ich“, sagt Kufalt.