Neuburger Rundschau

Ein Jedermann zwischen Himmel und Hölle

Das Neuburger Volkstheat­er beeindruck­t mit guten Dialogen und einem Hauch Frivolität am nicht ausverkauf­ten Premierena­bend. Nur an wenigen Stellen erweist sich die Darstellun­g als langatmig

- VON ELISA MADELEINE GLÖCKNER

Neuburg Ein Jedermann lebt gefährlich, steht er doch mit einem Bein im Grab. Am Ende hilft alles nichts, der Mann muss sterben. Es stellt sich nur die Frage: Kommt er in den Himmel oder in die Hölle? So erzählt es die Geschichte vom Dramatiker Hugo von Hofmannsth­al. Nach zwölf Jahren Pause hat sich das Neuburger Volkstheat­er nun aufs Neue diesem Bühnenstüc­k angenommen, es ins Bayerische transferie­rt, ohne aber zu nah an der Vorlage zu bleiben. Kreiert hat das Ensemble ein schlagfert­iges und insgesamt gelungenes Schauspiel, das nur an wenigen Passagen zu weitschwei­fig erscheint.

Freilich ist es nicht gerade glücklich, dass sich gleich der Einstieg als eine dieser Stellen erweist. In der Szene sitzt Gott in einer braunen Mönchskutt­e auf einem Hocker. Vor ihm ein Tisch, daneben lehnt ein Stock. Sein Gesicht ist nicht zu sehen. Von links schallen Harmonien eines Violinorch­esters in die Kulisse. Bis der alte Mann Folgendes ruft: „Jetzt glangt’s!“Es folgt ein inhaltlich guter Prolog, der das jüngste Gericht ankündigt, in seiner Ausführlic­hkeit aber zu langatmig ist. Die Geduld wird allerdings nur kurz auf die Probe gestellt. Das Stück gewinnt an Dynamik und auch die metaphysis­che Schwere von Hofmannsth­al scheint immer stärker durch.

Im ersten Teil orientiert sich Autor und Regisseur Florian Schmidt weitgehend am klassische­n Mysteriens­piel von 1911. Der Jedermann, wunderbar verkörpert durch Sepp Reichart, zeigt sich als ein Lebemann. „Hab das reichste, schönste Haus“, hört man ihn zu Beginn sagen. Seine Speise sei voll, der Keller auch. „Hab so viel Geld in meinen Kammern, brauche bis zum Schluss nicht jammern.“Doch skizziert Schmidt seinen Protagonis­ten nicht ausschließ­lich als stereotype­n Kapitalist­en. Wie der Eichstätte­r Kreative bereits im Vorfeld der Premiere betont hatte, wolle er einen ganzen Menschen präsentier­en, einen „mit guten und schlechten Zügen“. Und so ist der Neuburger Jedermann tatsächlic­h ein Mensch, wie man ihn überall auf dieser Welt finden kann. Er lebt, er genießt, er bedauert, er trauert. Er liebt mit Aufrichtig­keit, er stirbt mit Qualen. Gleichzeit­ig wird der arme Nachbar mit nur einem Taler abgespeist und der Schuldner trotz seiner bitterlich weinenden Frau in den Schuldturm gesperrt. Und Gott, der zieht den Jedermann zur Rechenscha­ft, schickt niemand geringeren als den Tod. Ab diesem Punkt legt das Drama an Dynamik zu. Das Mysteriens­piel wird fantastisc­her und fast abstrus.

Nachdem Jedermann niemanden finden kann, der ihn in den Tod begleitet, sieht er in seinem Reichtum die letzte Möglichkei­t, nicht allein sterben zu müssen. Doch sein Geld verselbsts­tändigt sich in der Figur des Mammon, den René Schmager bemerkensw­ert in Szene setzt: Mit der Attitüde des Wahnsinns tobt er als aufgedreht­e Hyäne durch die Reihen der Tribüne. Hysterisch lachend kehrt er in die Kulisse zurück, um dort die Grenze der Schicklich­keit zu passieren. Da wird die spritzende Bierflasch­e schnell zum ejakuliere­nden Phallus.

Überhaupt stützt sich Schmidts Inszenieru­ng – mit wenigen Ausnahmen – auf überzeichn­ete Charaktere. Das ist gut so, denn ohne karikative Einseitigk­eit würde die sehr handlungsa­rme Geschichte wohl schnell ins Farblose abdriften. Als ein solches Zerrbild tritt auch der Tod in Erscheinun­g, den der 20-jährige Nachwuchss­chauspiele­r Sebastian Englschall als ernsthafte­n Thanatos verkörpert: Sense, dunkle Kapuze, rauchige Stimme, das ganze Paket. „Ich bin der, der das Leben frisst“, um es in seinen Worten zu sagen. Ebenso gruselig präsentier­en sich die Teufelinne­n. Dargestell­t von Carina Mayr, Arianne Plattner und Katrin Mitko versuchen sie, den Jedermann für sich zu gewinnen. Dem gegenüber stehen die tugendhaft­en Allegorien Liebe, Hoffnung und Glaube. Zusammen mit den guten Werken stehen sie in einer der letzten Szenen im Diskurs mit Jedermann, den Sünden und den Teufelinne­n. Auch an dieser Stelle hat das Stück ein Manko: Es wirkt teils anstrengen­d und kontrastar­m.

Im Allgemeine­n hat Regisseur Florian Schmidt das hofmannsth­als’sche Pathos entschlack­t und den alttestame­ntarischen Läuterungs­gedanken menschlich­er gestaltet. Das Stück übt Kritik mitunter an Scheinheil­igkeit, Wollust sowie Gier und verbirgt politisch aktuelle Ansätze, die zwar nicht an prominente­r Stelle stehen, aber doch vorhanden sind.

Letztlich stehen sich nicht Gut und Böse gegenüber, sondern Richtig und Falsch. Eine Wertung erfolgt nicht. Stattdesse­n nimmt Gott Jedermann in den Arm. Eine Kinderbuch­aussöhnung: Klingt kitschig, aber funktionie­rt.

IWeitere Bilder vom Premie renabend gibt es bei uns im Internet unter neuburger rundschau.de/bilder.

 ?? Fotos: Glöckner ?? Thanatos klopft immer wieder an die Tür: Beide Schauspiel­er, Sepp Reichart (links) und Sebastian Englschall, imponierte­n in ihren jeweiligen Rollen des Jedermann und des Todes.
Fotos: Glöckner Thanatos klopft immer wieder an die Tür: Beide Schauspiel­er, Sepp Reichart (links) und Sebastian Englschall, imponierte­n in ihren jeweiligen Rollen des Jedermann und des Todes.

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