Neuburger Rundschau

Der Schatten des Selbstmord­s Linkin Park waren die erfolgreic­hste Rockband – bis vor einem Jahr Chester Bennington starb. Jetzt spricht sein Freund und Co-Frontmann

- Ihr Leben lang? Interview: Steffen Rüth

Gerade ist „Post Traumatic“erschienen, Ihr erstes Soloalbum, das sich mit dem Schock vor einem Jahr und den Folgen beschäftig­t. Wann haben Sie beschlosse­n, Chesters Tod künstleris­ch aufzuarbei­ten?

Mike Shinoda: Sehr bald. Mir war vollkommen klar, dass ich das tun musste. Für mich kam keine andere Option infrage, mich mit dem, was passiert ist, auseinande­rzusetzen. Kunst war immer schon der Ort, an den ich ging, wenn ich Probleme hatte oder schwierige Situatione­n durchmacht­e.

Shinoda: Ja. Beim Malen, Zeichnen und Songschrei­ben fühle ich mich sicher – in diese Welt habe ich mich bereits als Kind sehr gern geflüchtet. Für mich funktionie­rte diese Art des Eskapismus immer schon besser, als zum Beispiel einen Film zu gucken. Wenn du selbst etwas machst und kreativ bist, dann ist das ein wirklich wertvolles Ventil. Ich würde mir wünschen, dass sich alle Menschen zutrauen würden, etwas zu malen oder mit den eigenen Händen zu erschaffen. Du musst kein Rembrandt sein, um dich gut und stärker zu fühlen, nachdem du irgendetwa­s zu Papier gebracht hast.

Haben Sie nach Chesters Selbstmord auch eine klassische Psychother­apie gemacht?

Shinoda: Nein. Ich habe darüber nachgedach­t, aber dann keinen profession­ellen Therapeute­n besucht. Ich habe ein sehr gutes Netzwerk von Freunden, einige von ihnen sind tatsächlic­h Psychiater von Beruf, die haben mich natürlich unterstütz­t. Viele meiner Freunde sind sehr einfühlsam und klug und haben mir sehr geholfen.

Können Sie Namen nennen? Shinoda: Zum Beispiel Rick Rubin. Er hat in seinem Leben alles gesehen, besitzt einen wundervoll­en Geist und hält sich in Gesprächen nicht mit Unsinn auf. Rick hat ein paar unserer Platten aufgenomme­n, er kannte Chester gut. Und er wusste natürlich, dass er lange schon unter Depression­en litt. Wir sprachen darüber, dass du den meisten Menschen mit schweren Depression­en ansehen kannst, wie extrem unwohl sie sich in ihrer eigenen Haut fühlen. Und dass es bei Chester eben nicht so war. Er kam ganz gut mit sich selbst zurecht. Chester hatte immer einen Draht zu seinem Inneren. Wir kamen zu der Einsicht, dass wir keine Antworten bekommen werden. Natürlich, auch ich frage mich „Warum?“. Aber niemand kann diese Frage beantworte­n. Ich gehörte zu den Menschen, die ihn sehr gut und sehr lange kannten, aber ich werde es nie verstehen.

Wenige Monate vor seinem Tod haben wir noch in Berlin über das damals neue Linkin-Park-Album „One More Light“gesprochen. Chester war gut drauf, sehr reflektier­t, und er sprach offen über seine Probleme, seinen Alkoholrüc­kfall, seine Wut und seine seelischen Nöte.

Shinoda: Ich weiß. Er hat sich so sehr geöffnet, wie sich Menschen mit dieser Krankheit nur selten öffnen. Er zeigte sich so ehrlich und so verletzlic­h. Chester hatte seit vielen Jahren mit Süchten zu kämpfen, es war ein Auf und Ab. Während der Arbeit an „One More Light“hatte er eine schlechte Phase, aber wir dachten, es ginge bergauf. Viele Menschen unterstütz­ten ihn, viele haben ihn aber auch regelrecht fertig gemacht, weil sie nicht einverstan­den waren mit den klangliche­n Entscheidu­ngen, die wir auf „One More Light“getroffen hatten. Er war sauer, weil die Leute so widerlich zu ihm waren. Die Verrisse des Albums haben ihn sehr verletzt.

Hatten Sie Angst um ihn?

Shinoda: Wir haben immer versucht, so gut es geht, aufeinande­r aufzupasse­n. Im Hinterkopf ist die Sorge immer da, man schaut schon hin. Doch manches, was in einem Menschen vorgeht, bekommst du nicht zu Gesicht.

Im Song „Place To Start“hört man, wie Freunde auf den Anrufbeant­worter sprechen, um sich nach Ihnen zu erkundigen.

Shinoda: Ja, es haben sich unheimlich viele Menschen gemeldet. Die Fragen waren immer „Was ist passiert?“und „Wie geht es dir?“Wenn ein Familienmi­tglied oder enger Freund stirbt, dann erkundigt sich normalerwe­ise ein enger Kreis nach dir. Wenn du in der Öffentlich­keit stehst und die ganze Welt Bescheid weiß, dann ist dieser Kreis ungleich größer. Ich habe diese Fragen also sehr, sehr oft beantworte­t. Meist online.

Wie wichtig ist Humor bei der Trauer? Shinoda: Viel wichtiger, als ich dachte. Wir saßen und sitzen oft zusammen, Chesters Frau Talinda, meine Frau Anna und ich. Manche Gespräche waren sehr düster, aber viele waren auch ziemlich lustig. Innerhalb dieses „Was machen wir eigentlich hier?“-Gefühls haben wir sehr viel zusammen gelacht. Chester konnte so witzig sein. Er war ein Mensch, der gern auf andere zuging. Er liebte es, sich mit wildfremde­n Leuten zu unterhalte­n.

Ob und wie es mit dir und Linkin Park weitergeht, ist weiter unklar, oder? Shinoda: Ja. Wir haben keine Pläne. Ab und zu treffen wir uns zum Essen oder im Studio, wir machen dann auch Musik, aber nur für uns, ohne das Ziel, etwas zu veröffentl­ichen. Wir müssen uns noch an die Situation gewöhnen, eine neue Stabilität finden und neue Versionen von dem kreieren, was unser Leben war. Das braucht Zeit. Und egal, wie es mit Linkin Park weitergeht, als Gemeinscha­ft werden wir immer eng verbunden bleiben. Ich liebe diese Jungs, und ich glaube, sie lieben mich auch.

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Am 20. Juli 2017 nahm sich Chester Bennington (oben) das Leben. Er war 41, und Sänger von Linkin Park, der mit über 100 Millionen verkauften Alben erfolgreic­hs ten Rockband des 21. Jahrhunder­ts – beginnend mit dem...
Bennington, Shinoda – Linkin Park Am 20. Juli 2017 nahm sich Chester Bennington (oben) das Leben. Er war 41, und Sänger von Linkin Park, der mit über 100 Millionen verkauften Alben erfolgreic­hs ten Rockband des 21. Jahrhunder­ts – beginnend mit dem...

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