Neuburger Rundschau

An der schönen blauen armen Donau

Eine große EU-Initiative soll die Anrainer-Staaten entlang des Flusses zusammenbr­ingen. In Ulm und Neu-Ulm gelingt das auch mit dem internatio­nalen Donaufest, das am Freitag wieder beginnt. Darüber hinaus jedoch gibt es gewaltige Probleme

- VON MARIELE SCHULZE BERNDT

Bratislava/Budapest Sie ist schön und mancherort­s auch noch richtig blau. Die schöne blaue Donau. Kann es ihr also nicht egal sein, wenn um sie herum die Grenzen dichtgemac­ht werden und der Nationalis­mus wieder auflebt?

„Als Kind konnte ich stundenlan­g aufs Wasser schauen. Die Donau war unser Tor zur Welt“, erzählt der slowakisch­e Autor Michal Hvorecky. „Damals schlossen uns an drei Seiten Stacheldra­htzäune ein. Durch die Schiffe, die an uns vorbeifuhr­en, wenn wir am Ufer saßen, wurde die Donau für uns Kinder im Ostblock zum Sehnsuchts­ort.“Wird sie das jetzt zwangsweis­e wieder, weil Orbán und Pellegrini und andere Regierungs­chefs entlang des Flusses auf Abschottun­g setzen?

Nun mal langsam. Es ist so, dass mit Öffnung des Eisernen Vorhangs und der EU-Osterweite­rung die Länder an der Donau zu einem großen Wirtschaft­s- und Kulturraum zusammenwa­chsen sollen. Zahlreiche Initiative­n sind seit den achtziger Jahren entstanden, 2011 etwa eine eigene EU-Strategie. 115 Millionen Menschen aus 14 Ländern leben heute in der Gegend, die zum Donauraum zählt – auch wenn die Donau tatsächlic­h nur durch zehn Staaten fließt. Aber offiziell gehören dazu: Deutschlan­d, Österreich, Tschechien, die Slowakei, Ungarn, Slowenien, Kroatien, Serbien, Bosnien-Herzegowin­a, Montenegro, Bulgarien, Rumänien, die Republik Moldau und die Ukraine. Ziel ist es, die Staaten zu vernetzen, Verkehrs- wege und Umweltschu­tz zu verbessern, den Wohlstand zwischen Schwarzwal­d und Schwarzem Meer zu erhöhen, ja Menschen zusammenzu­bringen, zu feiern, das gegenseiti­ge Verständni­s zu fördern.

Was das betrifft, sind die Städte Ulm und Neu-Ulm seit vielen Jahren Vorreiter. Am Freitag wird dort schon zum elften Mal das alle zwei Jahre stattfinde­nde Internatio­nale Donaufest eröffnet. Zehn Tage lang präsentier­en Künstler und Handwerker aus praktisch allen Donaurauml­ändern ihre Arbeiten. Dazu gibt es jede Menge Köstlichke­iten. Und über Politik wird auch diskutiert. 2016 kamen rund 350 000 Besucher. Man wolle „bereichern­de Begegnunge­n und bleibende Erinnerung­en“schaffen, sagt Sebastian Rihm, Direktor des Donaubüros Ulm/Neu-Ulm.

Michal Hvorecky, der Schriftste­ller aus Bratislava, hat beim Donaufest in Ulm sein erstes Buch vorgestell­t, als es 2012 auf Deutsch erschien. Es basiert auf seinen Erlebnisse­n als Tourmanage­r auf einem Donaudampf­er für amerikanis­che Touristen. Inzwischen gilt Hvorecky als wichtigste­r slowakisch­er Gegenwarts­autor. Die Donau ist ihm immer noch nah. Er spielt mit seinen Kindern in den Donau-Auen, wo ein Naturschut­zgebiet entstanden ist und damit ein Dschungel mit hunderten Vogel- und Pflanzenar­ten. 172 Kilometer der Donau fließen durch die Slowakei. Insgesamt ist sie 2900 Kilometer lang. Auf Deutsch ist sie weiblich, auf Slowakisch heißt sie „Dunaj“und ist männlich. Die Ungarn nennen sie einfach „Duna“, ohne Geschlecht, und manchmal, sehr selten, sieht sie sogar dort schön blau aus.

Wie leben die Menschen in den östlichen Donaustaat­en, welche Probleme haben sie und warum kann man auf die Idee kommen, dass das mit dem gemeinsame­n Donauraum schwierige­r geworden ist?

In Bratislava, der Hauptstadt der Slowakei, ist das Donauufer zu einer feudalen Location mit teuren, von Oligarchen gebauten Hotels und Appartemen­thäusern geworden. Superreich­e haben an der schönsten Stelle illegal eine luxuriöse Hausbootsi­edlung geschaffen. Das Goethe-Institut wiederum, in dem Hvorecky arbeitet, liegt in einer schmalen Straße neben Häusern mit bröckelnde­m Putz und zerbrochen­en Fenstersch­eiben. Die sozialen Unterschie­de in dem Land, das immer reich an Bodenschät­zen und Industrie war, sind groß. „Alte Menschen wissen oft nicht, wovon sie leben sollen“, erzählt Hvorecky.

Die Slowakei kämpft selbst zwanzig Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs mit dem Übergang zu einer demokratis­chen und sozialen Marktwirts­chaft. Das hat auch die immer noch ausstehend­e Aufklärung des Mordes an einem investigat­iven Journalist­en und seiner Freundin im Februar gezeigt. Das Land unter Ministerpr­äsident Peter Pellegrini ist viel zu sehr mit sich selbst beschäftig­t, da stehen so edle multinatio­nale Projekte wie ein gemeinsame­r Donauraum hintenan.

Das ist im Nachbarlan­d Ungarn nicht viel anders – auch wenn sich das Phänomen dort anders äußert. Höchstens zehn Prozent der Landbevölk­erung sprechen dort eine Fremdsprac­he. Die Zahl der Studenten ist in den vergangene­n zehn Jahren von 250 000 auf 150 000 gesunken. „Bildung gilt unter Orbán nicht als Wert“, kritisiert Andrász Inotai, ein bekannter Ökonom. Das Pflichtsch­ulalter wurde von 18 auf 16 Jahre gesenkt. Die Akademie der Wissenscha­ften mit über hundert Forschungs­gruppen, deren Neorenaiss­ance-Gebäude am Budapester Donauufer liegt, ehemals unabhängig mit eigenem Etat, wurde jetzt der Regierung unterstell­t. Wie soll da ein Donauraum-Projekt gedeihen, mit dem auch Bildung und Forschung in den beteiligte­n Staaten vorangetri­eben werden soll?

Die Farbe der Donau ist hier schmutzigb­raun. Am Ufer reiht sich Schiff an Schiff. Die meisten sind fest vertäute Cafés oder Klubs, in denen Hochzeiten und Geburtstag­e gefeiert werden. Zurzeit steht der Forint, die ungarische Währung, so niedrig wie selten. Deshalb strömen die Touristen nach Budapest und machen günstig Urlaub. Dass Ministerpr­äsident Viktor Orbán das Land zu einer autoritär geführten Republik macht, stört die wenigsten Ausländer. „Wenn 100000 Menschen hier demonstrie­ren, weil Orbán die amerikanis­che Central European University vertreiben will, steht das in Deutschlan­d nicht einmal in der Zeitung“, sagt eine Akademiker­in, die ihren Namen nicht verraten will. Ihre drei Kinder sind längst nach Wien und Berlin gezogen, weil sie unter Orbán nicht leben wollen.

Wilhelm Droste aus dem Sauerland wohnt seit 1970 in Budapest. Er hat Germanisti­k an der Universitä­t unterricht­et und, weil er allein von der Lehre nicht leben konnte, Kaf- feehäuser betrieben. Gerade hat der zwei Meter große und gefühlt 200 Kilo schwere Mann ein 500 Quadratmet­er großes Kulturcafé eröffnet. „Die Zahl der Germanisti­kstudenten hat sich halbiert. Vielen wird es politisch zu eng“, sagt er.

Dazu kommen noch ganz andere Dinge. Wie in Zeiten Maria Theresias haben die Ungarn Angst, auszusterb­en. Um der schrumpfen­den Bevölkerun­g entgegenzu­wirken, sollen ungarische Paare mindestens zwei Kinder bekommen. Orbán will die Einwohnerz­ahl wieder auf zehn Millionen steigern. Besonders bei der Landbevölk­erung findet er Anklang. Zumal er gekonnt mit Ängsten spielt. „Unsere Nachbarn fragen uns ernsthaft, ob wir keine Angst haben, nach Westeuropa zu reisen. Sie halten es dort für gefährlich, weil die Medien es ihnen eintrichte­rn“, sagt die Akademiker­in.

Droste wiederum hält viele Orbán-Anhänger einfach für frustriert. „Sie haben 1989 geglaubt, in fünf Jahren sind sie so weit wie Westdeutsc­hland“, erklärt er. „Jetzt merken sie, dass sie sich immer weiter weg entwickeln.“

Und die Donau? Ökonomie-Professor Inotai sieht für ihre Zukunft schwarz. Für das Kernkraftw­erk Paks ist ein zweiter Block geplant. Es drohe eine ökologisch­e Katastroph­e, sagt er, da der Unterboden an der Donau schon jetzt viel zu dünn sei. Steht nicht der Umweltschu­tz ganz weit oben bei den Zielen der Donauraum-Strategie?

Neulich war Orbán an der Andrassy-Universitä­t in Budapest zu Gast, die von Deutschlan­d und Österreich finanziert wird. Er hielt eine Rede bei der Konrad-Adenauer-Stiftung aus Anlass des ersten Todestages von Helmut Kohl. Eine seiner zentralen Aussagen lautete: Es gehe in der Europäisch­en Union nicht um die Einigung auf Gemeinsame­s, sondern um Toleranz, damit jedes Land seinen eigenen Weg gehen könne.

Die EU-Donauraum-Strategie ist noch lange nicht tot. Dafür gibt es zu viele engagierte Menschen, die das Projekt mit Leben füllen. Und dass in vielen Ländern der Nationalis­mus auflebt, bedeutet nicht, dass gerade im kulturelle­n Bereich kein Austausch mehr stattfinde­t – siehe Donaufest in Ulm und Neu-Ulm. Fakt ist aber auch: Sichtbare Fortschrit­te halten sich im Donauraum bisher in Grenzen. Vielerorts gibt es sogar Rückschrit­te, etwa im Umweltschu­tz. Die Lebensverh­ältnisse entlang des Flusses sind noch immer sehr unterschie­dlich. Und dann hat die Flüchtling­skrise die Zusammenar­beit der Länder an der Balkanrout­e zusätzlich belastet.

Ungarn und die Slowakei sind zwei der zehn Staaten, die durch die Donau verbunden sind. Wer mit dem Schiff von Sulina am Donaudelta in Rumänien nach Regensburg fährt, passiert viele Landschaft­en und Städte. Budapest und Bratislava liegen direkt am Fluss, während Wien den Strom umgelenkt hat und nur den Donaukanal im Zentrum duldet. Es bleibt der abendliche Blick von der Brücke auf den Leopoldsbe­rg, vor dem die Donau silbern schimmert.

In der Donaumündu­ng finden sich die letzten Bestände des legendären Störs. Die vielen Begradigun­gen, Staustufen und Kraftwerke ha-

„Alte Menschen wissen oft nicht, wovon sie leben sollen.“Michal Hvorecky

„Vielen Studenten in Ungarn wird es politisch zu eng.“Wilhelm Droste

ben seine Laichgründ­e großteils zerstört. Auch in der Wachau hinter Wien wird kaum noch ein Fisch aus dem Wasser gezogen. Der Strom kämpft mit den Begleiters­cheinungen der modernen Gesellscha­ft.

In Regensburg hat gerade erst die Internatio­nale Kommission zum Schutz der Donau getagt, in der Deutschlan­d 2018 den Vorsitz hat. Im Gegensatz zu anderen DonauIniti­ativen funktionie­rt sie vergleichs­weise gut. Doch insgesamt wächst die Kritik – nicht nur an einzelnen Staaten, sondern auch an der EU-Kommission.

Vor einigen Jahren, unter dem österreich­ischen Regionalko­mmissar Johannes Hahn, zeigte die Behörde noch großes Interesse an der Umsetzung von Donauraum-Projekten. 2011 wurde eine neue Strategie verabschie­det, mit der große Hoffnungen verbunden waren. Der Wandel kam, so berichten deutsche Insider, als die Rumänin Corina Cretu 2014 die Aufgabe übernahm. Jetzt fehlt das Geld und es gibt keine neuen Initiative­n. Es scheint, als sei das große Donauraum-Projekt an einem toten Punkt angekommen.

Wenigstens kommen die Menschen aus den Anrainer-Staaten noch zusammen. Ab Freitag in Ulm und Neu-Ulm.

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Foto: Alexander Kaya Ulm und Neu Ulm: Alle zwei Jahre findet in den Partnerstä­dten das Internatio­nale Donaufest statt, hier ein Foto aus dem Jahr 2012. Die zehntätige Kulturvera­nstaltung gehört zu den Highlights der Donauraum Projekte.
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Fotos: Dimitar Dilkoff/afp, Bratislava Tourist Board/dpa Vidin und Bratislava: Links in Bulgarien kann der Mann sogar sein Fahrrad durch den Fluss schieben, so niedrig ist der Wasser stand. In der slowakisch­en Hauptstadt dagegen fahren Schiffe.
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Foto: Robert Seitz/Imagebroke­r, Imago Budapest: einfach ein schöner Anblick.
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