Aufruhr in Nantes
Bei einer Polizeikontrolle stirbt ein junger Mann durch den Schuss eines Beamten. Daraufhin kommt es zu Ausschreitungen in mehreren Vierteln der Stadt. Der Vorfall weckt dramatische Erinnerungen in Frankreich
Nantes Eigentlich sollte es eine simple Fahrzeugkontrolle sein. Am Dienstagabend halten Polizisten im westfranzösischen Nantes den Fahrer eines Autos an, der weder angeschnallt ist noch seine Ausweispapiere bei sich trägt. Bei der Überprüfung des Nummernschildes stellen die Beamten fest, dass das Auto von der Kriminalpolizei im Rahmen von Ermittlungen rund um Drogenhandel überwacht wurde. Der Fahrer versucht zu flüchten, fährt rückwärts und verletzt dabei einen Polizisten leicht am Bein. Einer seiner Kollegen eröffnet das Feuer auf den jungen Mann am Steuer und trifft ihn dabei an der Halsschlagader. Der Mann wird ins Krankenhaus eingeliefert. Kurz darauf stirbt er.
Noch in der Nacht, als sich der Vorfall unter den Jugendlichen in der Stadt herumspricht, kommt es zu schweren Ausschreitungen in mehreren Vierteln von Nantes, die als soziale Brennpunkte gelten. Die aufgebrachten jungen Leute liefern sich Straßenschlachten mit Sicherheits- und Einsatzkräften, werfen Steine und Molotowcocktails. Autos und mehrere Gebäude werden angezündet, darunter ein Friseursalon und eine Bäckerei.
Auch beschädigen die Krawallmacher ein Teilgebäude des Rathauses. Fast 200 Sicherheits- und Sonderbeamte werden in der Nacht in die betroffenen Gegenden in den Einsatz geschickt. Teilweise versuchen sogar die Mütter der Aufständischen, beruhigend auf diese einzuwirken, wie ein Zeuge anonym gegenüber französischen Medien berichtet: „Alle Mamas sind draußen. Die Jungen sind vermummt, sie wollen nicht ablassen.“Erst gegen drei Uhr morgens beruhigt sich die Lage.
Bereits im Mai und Juni war es zu Schüssen in dem betroffenen Viertel von Nantes gekommen, in dem sich der Vorfall ereignet hatte und von dem Unruhen ausgingen. Seit einigen Tagen hatte sich der Stadtteil unter verstärkter Überwachung be- funden. Der getötete 22-Jährige, Aboubakar F., war der Polizei bekannt unter anderem wegen Diebstahl und Einbruch sowie Todesdrohungen. Sogar ein Haftbefehl gegen ihn lag vor. Ursprünglich stammt er aus einem Vorort nördlich von Paris, hatte aber Verwandte in Nantes.
Frankreich reagiert alarmiert auf diese Ereignisse, weil sie dramati- sche Erinnerungen wecken. So war der Tod zweier Jugendlicher in einem Pariser Vorort, die sich auf der Flucht vor der Polizei in einem Transformatorenhaus versteckt und die Lebensgefahr unterschätzt hatten, Auslöser wochenlanger Straßenkrawalle im Herbst 2005. Sie griffen von den Banlieues, den Vorstädten, auf weite Teil ähnlicher Problemviertel in ganz Frankreich über. So wie es sich damals um zwei Jugendliche mit Migrationshintergrund in einem sozialen Brennpunkt gehandelt hatte, so identifizieren sich auch diesmal viele junge Leute mit dem 22-Jährigen.
Noch in der Nacht appellierte die Bürgermeisterin von Nantes, Johanna Rolland, an alle, die Ruhe zu bewahren. „Meine ersten Gedanken gelten dem getöteten jungen Mann, seiner Familie, allen Bewohnern des Viertels, unserer Viertel“, sagte sie.
Ein angeblicher Zeuge macht der Polizei schwere Vorwürfe
„Die Polizei und die Justiz in ihrer Unabhängigkeit müssen Klarheit und vollständige Transparenz über das, was passiert ist, bringen.“
Das erscheint umso notwendiger, als mehrere Zeugen eine andere Version der Ereignisse als die offizielle der Behörden erzählen. Sie wirft die Frage auf, ob die Reaktion des Todesschützen unverhältnismäßig war. Demnach wollte der 22-Jährige zwar der Polizeikontrolle entkommen, sei aber einfach nur ein Stück mit dem Auto zurückgesetzt, ohne die Beamten zu bedrohen.
Ein Mann, der angeblich als Augenzeuge vor Ort war, sagte in einem Video-Interview, das im Internet kursiert: „Der hat versucht, rückwärts zu fahren, das Auto ist gegen die Mauer gekracht. Er war bewegungslos, konnte nichts mehr machen, der Polizist ist gekommen und hat aus nächster Nähe auf ihn geschossen.“Nun hat der Staatsanwalt von Nantes eine Untersuchung angekündigt, die den genauen Ablauf der Ereignisse klären soll.