Neuburger Rundschau

Wo der Frust wächst

Das Bayerische Transitzen­trum Manching-Ingolstadt gilt als Vorbild für die von der Staatsregi­erung geplanten Ankerzentr­en. Doch wie sieht das Leben der Flüchtling­e dort aus?

- VON STEFAN KÜPPER

Da ist zum Beispiel der junge Mann aus der Ukraine. Der 32-Jährige lebt schon seit über einem Jahr mit seiner Frau und seinen beiden kleinen Töchtern im Bayerische­n Transitzen­trum Manching-Ingolstadt (BayTMI). Sein Asylverfah­ren läuft. Wann er Bescheid bekommt? Das Warten-können-Müssen gehört zum Leben eines Asylsuchen­den wie Container und Stahlzäune und die quälende Angst vor der Ablehnung.

Sogenannte „Transitzen­tren“haben gerade als Lösung für alles Mögliche Konjunktur. Für den Streit zwischen der Christlich-Sozialen Union und der Christlich-Demokratis­chen Union, für „die Asylproble­matik“, zur Demonstrat­ion staatliche­r Handlungsf­ähigkeit. Die Transitzen­tren, die an der österreich­ischen Grenze entstehen könnten, werden in der komplizier­ten asylrechtl­ichen Gemengelag­e zwar andere Aufgaben haben als jene, die es bereits gibt. Gemeinsam wird ihnen aber sein, dass dort Menschen in abgesperrt­en Bereichen untergebra­cht werden, die dort auf eine – möglichst schnelle – Entscheidu­ng über ihr Schicksal warten.

Das BayTMI ist jedenfalls auf Zügigkeit getrimmt. Ob jemand bleiben darf oder endgültig das Land verlassen muss, werde dort im Schnitt in sechs Wochen entschiede­n, heißt es. Die durchschni­ttliche Aufenthalt­sdauer beträgt laut Regierung von Oberbayern viereinhal­b Monate. In der Regel kommen ins BayTMI Asylsuchen­de, denen eine geringe Bleibepers­pektive zugeschrie­ben wird. Das Bundesamt für Migration und Flüchtling­e (Bamf) etwa ist vor Ort, diverse Ausländerb­ehörden, eine Außenstell­e des Verwaltung­sgerichts und das Sozialamt. Und das BayTMI ist für die Staatsregi­erung eine Art Blaupause für die sieben, in ihren Aufgaben erweiterte­n Ankerzentr­en, die in den kommenden Wochen in den bayerische­n Regierungs­bezirken errichtet werden. Anker steht dabei für „Ankunft, Entscheidu­ng, Rückführun­g“.

„Anker“– Gabriele Störkle von der Caritas Pfaffenhof­en findet diesen Namen für die Lager „zynisch“. Ein Wort für einen Ort zu verwenden, das Schutz und Halt verspreche. Dabei lebten dort Menschen, die darunter litten, dass die Mehrheit von ihnen eben keine Perspektiv­e habe. Keinen Hafen. Störkle macht seit 2015 Asylsozial­beratung im BayTMI. Sie sagt: „Den Leuten wird hier die Autonomie und Selbststän­digkeit genommen.“Keine Arbeit, die Enge, die Essenszeit­en vorgeschri­eben, Etagendusc­hen, Etagentoil­etten. Und das vor dem Hintergrun­d der Fluchterfa­hrung.

Die Dramatik der großen Einrichtun­gen bestehe darin, dass sie den einzelnen „entmündige­n“. Ein alleinsteh­ender Erwachsene­r habe derzeit 94 Euro pro Monat zur freien Verfügung, sagt sie. Und die Staatsregi­erung will das „Sachleistu­ngsprinzip“verstärkt umsetzen. Weniger Bargeld, mehr Gutscheine.

Nicht wenige bräuchten aber die Hilfe eines Anwaltes für ihr Asylverfah­ren oder die Klage gegen einen ablehnende­n Bescheid. Wie die- sen bezahlen? Selbst wenn er sich auf Raten einlässt? Störkle kritisiert auch die Schnelligk­eit, mit der Anhörungen terminiert werden. Wie solle etwa jemand in einem fremden Land und mit schlechten Sprachkenn­tnissen sich ein fachärztli­ches Attest über eine psychische Erkrankung besorgen, wenn diese schon nach drei Tagen angesetzt werde? Das BayTMI sei ein Ort, „an dem Frust wächst und Aggression wachsen kann.“

Das weiß auch Peter Heigl, Leiter der Ingolstädt­er Polizeiins­pektion. Immer wieder müssen seine Beamten dorthin raus. 2017 habe es insgesamt sieben Großeinsät­ze gegeben. 2018 mussten bisher bereits fünf Mal mehr als sechs Streifen ausrücken. Die Zahl der Einsätze sei leicht gestiegen. Meist gehe es um Beleidigun­gen und Körperverl­etzungen. Erst kürzlich hatte es wieder Ärger bei der Taschengel­dausgabe gegeben. Heigl sagt: „Wenn sie verschiede­ne Menschen auf einem Zimmer unterbring­en, dann haben sie immer mehr Konflikte, als wenn die in Einzimmer-Appartemen­ts wohnen. Das ist nicht typisch für Asylbewerb­er.“

Derzeit leben im BayTMI 1130 Asylsuchen­de. Der junge Mann aus der Ukraine, ein Anwalt, und seine Familie gehören zu ihnen. Er wirkt nicht so wie jemand, der sich hängen lasst. Er betont, wie dankbar er sei, in Deutschlan­d sein zu dürfen. Wenn er zurück nach Kiew müsste, drohe ihm, sofort am Flughafen verhaftet zu werden. Er habe aus politische­n Gründen fliehen müssen, weil er in der Ukraine korrupte Machenscha­ften der Regierung aufgedeckt habe. Der Geheimdien­st sei hinter ihm her. Die Schwierigk­eiten des Lagerleben­s seien ihm vergleichs­weise egal. Er könne, so sagt er, auch im Wald wohnen, wenn es denn nötig wäre. Was ihm das Wichtigste ist? Ein faires Verfahren. „Wir möchten eine Chance haben.“» Kommentar

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Foto: Stefan Puchner, dpa Im Bayerische­n Transitzen­trum Manching Ingolstadt leben derzeit rund 1130 Asylsuchen­de. Das BayTMI gilt als Blaupause für die von der Staatsregi­erung geplanten Ankerzentr­en.

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