Vom Klarinettisten zum Dirigenten
Karl-Heinz Steffens initiierte im Jahr 2002 als ein Berliner Philharmoniker den Friedberger Musiksommer. Heute ist er ein viel gefragter Dirigent
Augsburg Erstklassige Instrumentalisten, die sich zum Dirigenten und Orchestererzieher weiterentwickeln, gibt es immer wieder: Neben Andris Nelsons (ehemals Trompeter) und Nikolaus Harnoncourt (ehemals Cellist) gehört dazu auch Karl-Heinz Steffens, der zunächst aufgrund seines beseelten, kostbar schönen Tons der gefeierte SoloKlarinettist im Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks war, dann der gefeierte Solo-Klarinettist bei den Berliner Philharmonikern. Seit 2008 aber steht er in festen Engagements auf dem Pult vor den Musikern kleinerer und großer Orchester und Opernhäuser in ganz Europa.
Heute kehrt Steffens zumindest einmal im Jahr ins bayerische Schwaben zurück, nach Friedberg nahe Augsburg, wo er einst, eben als herausragender Instrumentalist des Bayerischen Rundfunks, mit seiner ersten Familie bis zum Jahr 2000 lebte. Hier war er zwei Jahre später Mitbegründer des kleinen Festivals Friedberger Musiksommer, bei dem er in den letzten Jahren unter anderem etliche Bruckner-Sinfonien erstaufführte – nicht unbedingt Regelfall in einer Stadt von deutlich weniger als 50000 Einwohnern. Dazu später mehr.
Die Karriere des 1961 in Trier geborenen Steffens ist außergewöhnlich – und attraktiv wiederzugeben. Denn der Maestro sagt: „Dirigierunterricht habe ich nie gehabt, aber immer den sehnsüchtigen Gedanken: Wann darf ich meinen ersten Brahms, meine erste Oper dirigieren?“Das ist längst geschehen; mittlerweile war Steffens Musikdirektor der Norwegischen Nationaloper Oslo und Generalmusikdirektor der deutschen Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz, wo er vor kurzem seine letzten Konzerte gab.
Freilich hat der erklärte „Autodidakt“Neues in Aussicht, was aber erst noch unterschrieben werden muss, bevor es an die Öffentlichkeit gegeben wird. Auch ohne dies ist Steffens’ Kalender „voll von Gastdirigaten“, wie er sagt, etwa an der Staatsoper Berlin, beim Concertgebouw Orchestra Amsterdam, bei der Royal Stockholm Philharmonic. Und eben erst, ganz frisch, ist ein Ruf aus Tel Aviv vom Israel Philharmonic Orchestra gekommen, wo Steffens bis zum Saisonende bei sieben Konzerten für den weiter rekonvaleszenten Zubin Mehta einspringen wird (15. bis 23. Juli).
Wie das geht, Dirigent zu werden ohne Dirigierunterricht? Zufall gehört dazu, Glück, Begabung und Überzeugungskraft. Steffens tiefstapelnd im Gespräch: „Orchestermusiker müssen gespürt haben, dass bei mir die Erfahrung von innen heraus kommt.“Diese Orchestermusiker kamen zum Beispiel von der heutigen Staatskapelle Halle, die 2006 auf Schloss Neuschwanstein ein Konzert gab, bei dem Steffens als SoloKlarinettist verpflichtet worden war – und sich unversehens auch noch in der Rolle des einspringenden Dirigenten sehen musste. Und dann eskalierte ein Streit zwischen dem Orchester und seinem Chefdirigenten, und Steffens wurde im Jahr darauf angetragen, in Halle den Chefdirigenten-Posten zu übernehmen. Zwar funkte der Intendant seinerzeit noch dazwischen, aber nach einem Probedirigat von Puccinis „Tosca“wurde der Vertrag geschlossen. Laufzeit 2008 bis 2013. Steffens war nun nicht mehr amtierender Klarinettist und amtierender Klarinetten-Professor in Hannover, er war amtierender Dirigent.
Plastisch schildert er heute, wie er binnen 14 Tagen die „Tosca“auswendig lernte und Daniel Baren- boim bat, ihn dabei mit Rat zu unterstützen. Barenboim aber, den Steffens in Bayreuth kennengelernt hatte, winkte ab, weil er die „Tosca“nie dirigiert habe. Jedoch verwies er auf Zubin Mehta, der gerade in Deutschland war, und der berühmte Inder half dann Steffens mit sachdienlichen Hinweisen zu Schlüsselstellen der Partitur. Damit sind zwei wichtige Namen gefallen, denen Karl-Heinz Steffens viel zu verdanken hat: Barenboim, dem er einst auch bei „Fidelio“assistierte, sowie Zubin Mehta.
Aber noch nicht geklärt ist, wie der ehemalige Solo-Klarinettist vom Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks einst nach Friedberg kam, wo er dann den Musiksommer mitbegründete und seitdem künstlerisch leitet. Steffens ganz prosaisch: „Es war ein Zufall.“Mit seiner ersten Familie (zwei Töchter) habe er zunächst in Gröbenzell bei München gewohnt – „dort, wo alle wohnen“. Und als die Gegend dann auch noch „unfassbar teuer“geworden sei, habe man sich anderweitig umgeschaut und im Jahr 2000 eben per Zufall ein neues Häuschen in Wiffertshausen/Friedberg entdeckt. Und zwei Jahre später kam es mit der Vereinigung „Bürger für Friedberg“zum ersten Musiksommer, den Steffens insofern als etwas ganz Besonderes betrachtet, weil dieses kleine Festival ohne vorhandene Strukturen von den Bürgern der Stadt selbst aufgebaut wurde – und getragen wird. In den ersten Jahren fuhr Steffens noch zweigleisig, also mit der Klarinette einerseits und dem Dirigierstab andererseits.
„Später ist dann eine Zeit der privaten Eruptionen gekommen“, berichtet Steffens, aber „ich wollte weiter für meine Töchter da sein und als Vater nicht einfach verschwinden“. So kehrte er immer wieder nach Friedberg zurück und leitete auch weiter den Musiksommer. Heute ist der Dirigent mit einer Israelin wieder verheiratet und hat noch zwei Söhne.
Dieses Jahr übrigens wird Steffens beim Friedberger Musiksommer (29. August bis 2. September) die letzten drei Sinfonien Mozarts dirigieren.