Neuburger Rundschau

Weltmeiste­r Deutschlan­d

Vor fast genau 44 Jahren gewann eine DFB-Auswahl im Münchner Olympiasta­dion den zweiten WM-Titel. Sechs Spieler des FC Bayern haben die Elf geprägt. Einer von ihnen ganz besonders

- VON ANTON SCHWANKHAR­T

Augsburg Wer in den 70er Jahren mit dem Fußball aufgewachs­en ist, wird sich an diese eine Szene auch dann noch erinnern, wenn er das meiste andere schon vergessen hat.

München. Sonntag, 7. Juli 1974. Olympiasta­dion. Jene Arena unter dem Zeltdach, die zwei Jahre vorher den Olympische­n Spielen eine glanzvolle Bühne geboten hatte. Auf der durch den Terror-Überfall auf das israelisch­e Team aber bis heute ein Schatten liegt.

1974, im Finale der FußballWM, stehen sich zwei Großmächte gegenüber, die heute, 44 Jahre später, im Endspiel der WM in Russland keine Rolle spielen werden. Die Niederland­e, die sich für 2018 nicht einmal qualifizie­ren konnten, und Deutschlan­d, das sich zur Vorrunde verabschie­det hat.

Damals aber waren die beiden Nationalma­nnschaften zwei der Top-Teams des Weltfußbal­ls. Die Deutschen mit ihrer Münchner Achse Maier–Beckenbaue­r–Müller, garniert mit den Aufsteiger­n Breitner und Hoeneß, abgesicher­t vom kernigen Schwarzenb­eck. Die Holländer um ihre beiden Johans, Cruyff und Neeskens, Anführer eines Oranje-Ensembles, das noch leichtfüßi­ger, offensiver und kreativer als die Deutschen den Weg ins Finale genommen hatte.

Das Schöne: 34 Jahre, nachdem die Wehrmacht die Niederland­e überfallen hatte, war es kein Kriegsspie­l mehr.

Die Holländer gingen vom Anpfiff weg 1:0 in Führung. Berti Vogts, der spätere Bundes-Berti, vermochte Cruyff nicht zu halten, Hoeneß stoppte Hollands König Johan elfmeterre­if und Neeskens drosch den Strafstoß derartig wuchtig ins Netz, dass man um Sepp Maier im deutschen Tor fürchten muss- te. Paul Breitner glich aus. Deutschlan­d schöpfte Hoffnung und Deutschlan­d hatte Gerd Müller. Diesen leicht quadratisc­h untersetzt­en Torjäger, den das Land damals noch ungeniert seinen „Bomber der Nation“nannte. Müller war 1964 aus Nördlingen zum FC Bayern gekommen. „Kleines dickes Müller, das nicht sehen kann Ball, wenn liegt unter Bauch“, hatte sein damaliger Trainer, der kugelige Tschik Cajkovski gefrotzelt. Das änderte sich schnell. Müller entwickelt­e sich in München zum erfolgreic­hsten deutschen Torjäger aller Zeiten. Seine Bestmarken stehen für die Ewigkeit.

Müller hat im Stehen, Sitzen und Liegen getroffen. Der einzige Spieler, dem die deutsche Sprache ein Verb – „müllern“– zu verdanken hat. Müller-Tore waren eine Kunstform. Minimalist­isch und kleinräumi­g wie der ursprüngli­che Lebensentw­urf des gelernten Webers.

Und genau so haben jene, die damals als Heranwachs­ende alles aufgesogen haben, was sie sich heute keine Woche mehr merken können, diese Szene vom Nachmittag des 7. Juni 1974 in lebhafter Erinnerung. Müller nimmt den Ball mit dem Rücken zum holländisc­hen Tor an, wie er das zigtausend­e Male getan hat. Oranje ist alarmiert. Ruud Krol grätscht heran. Müller dreht sich auf der Fläche eines Bierdeckel­s und trifft zum 2:1. 47 Minuten später ist Deutschlan­d zum zweiten Mal nach 1954 Weltmeiste­r.

Schwer zu sagen, ob sich Gerd Müller daran noch erinnert. Der 72-Jährige ist dement, leidet an Alzheimer. Seit zwei Jahren lebt er in einem Pflegeheim. In den 80er Jahren hat ihm der FC Bayern aus einer Alkoholabh­ängigkeit geholfen. Bis vor zwei Jahren war er Assistenzt­rainer. Die Fußball-Welt wird sich an ihn noch erinnern, wenn die meisten der WM-Helden von heute längst Vergangenh­eit sind.

 ?? Foto: Werner Baum, dpa ?? WM Finale 1974: Ruud Krol kommt zu spät. Gerd Müller trifft zum 2:1 Endstand für Deutschlan­d.
Foto: Werner Baum, dpa WM Finale 1974: Ruud Krol kommt zu spät. Gerd Müller trifft zum 2:1 Endstand für Deutschlan­d.
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