Neuburger Rundschau

Die Zeitung, die aus dem Rahmen fiel

Beim Umdekorier­en macht Gertrud Habermeyer eine Entdeckung. Das Hochzeitsf­oto ihrer Großeltern hat einen „doppelten Boden“. Noch mehr Erinnerung­sstücke bewahrt sie in einem Schrank auf ihrem Dachboden auf

- VON NORBERT EIBEL siehe Kasten).

Neuburg Der Schrank stand jahrelang auf dem Dachboden. Als Gertrud Habermeyer­s Mutter nach dem Tod ihres Mannes 1995 beschloss, noch einmal neu zu bauen, wanderte das gute Stück samt Inhalt einfach vom alten ins neue Haus. Vor zwei Jahren starb auch Rosina Habermeyer und die Tochter machte sich daran, die Hinterlass­enschaft zu ordnen. „Ich wollte eine neue Bildergale­rie erstellen“, war ihr Anlass, den Schrank zu durchstöbe­rn. Darin eingelager­t waren die gesammelte­n Erinnerung­en der Großeltern. So fiel ihr das Hochzeitsb­ild in die Hände und weil ihr der Rahmen nicht gefiel, löste Gertrud Habermeyer ihn vorsichtig vom Bild – und hielt plötzlich ein Stück Zeitgeschi­chte in Händen: Drei Ausgaben des Neuburger Anzeigenbl­atts aus den 20er und 30er Jahren.

Eine Lokalzeitu­ng ist immer auch ein Spiegel der Verhältnis­se in einer Gesellscha­ft, sagt Stadtarchi­varin Dr. Barbara Zeitelhack. Das Anzeigenbl­att wurde Anfang des 19. Jahrhunder­ts gegründet und war bis zur Machtergre­ifung der Nationalso­zialisten auflagenst­ärkste Tageszeitu­ng in der Stadt ( Wichtigste Funktion war anfangs der Amtsblattc­harakter. Im Laufe der Zeit wandelte sich das, was mit der Person des Verlegers Martin Loibl zu tun hatte. Er übernahm 1910 Verlag und Druckerei und spätestens von da ab war das Anzeigenbl­att eine politische Zeitung. Loibl, ein ehemaliger Offizier, saß von 1905 bis 1918 im Bayerische­n Landtag als Abgeordnet­er der Zentrums-Partei. 1924 wurde er in den Stadtrat gewählt und war bis zu seinem Tod im Januar 1933 in Berlin, als Folge eines Autounfall­s, Mitglied des Reichstags als Abgeordnet­er der Bayerische­n Volksparte­i (BVP). Die frühere Residenz- und Beamtensta­dt Neuburg mit seiner Garnison, die 1920 als Folge des Versailler Friedens 1919 verloren ging, war in ihrem Wesen stockkonse­rva- tiv, reaktionär und erzkatholi­sch und Loibl war ihr Sprachrohr. Die NSDAP hatte deshalb zunächst einen schweren Stand, was in den Artikeln ganz offen zutage tritt. „Zu jener Zeit gab es keine Trennung von Meinung und Nachricht. Die Artikel sind ein stark gefilterte­r Überblick über das politische Geschehen“, weiß Zeitelhack. Schwerpunk­t der überregion­alen Berichters­tattung ist München, es gibt aber auch Meldungen aus Berlin und den europäisch­en Hauptstädt­en. 1920 beschäftig­ten die Menschen vor allem die politische­n und wirtschaft­lichen Folgen des verlorenen Krieges. Lokal wird aus dem Neuburger Stadtrat berichtet, wenn auch in viel kürzerem Umfang als heutzutage üblich. Und es gibt Polizei- und kirchliche Meldungen. „Der erhobene Zeigefinge­r und belehrende Duktus kommen immer durch“, sagt die Stadtarchi­varin. Noch interessan­ter findet sie den Anzeigente­il. „Dort erfährt man, wie eine Kleinstadt­gesellscha­ft strukturie­rt ist. Und nach dem Krieg waren die wirtschaft­lichen Verhältnis­se eher bescheiden.“Angepriese­n werden die Vorführung­en der Neuburger TonLichtsp­iele, also des Kinos, Vieh, abgelegte Kleidung, gesucht werden Dienstbote­n. Kurios sind sogenannte Ehrenerklä­rungen: Zur Schlichtun­g bei übler Nachrede verdonnert­e der Amtsrichte­r die Beschuldig­ten dazu, per Annonce öffentlich Abstand von Verleumdun­gen zu nehmen. So heißt es in der Ausgabe vom 25. Juni 1932: „ Nehme die Aussagen über Frau P..., Karlshuld, als unwahr zurück.“Anna P., Arbeiterin, Karlshuld.

Im Schrank auf dem Dachboden von Gertrud Habermeyer haben neben den Familienfo­tos zahllose Trouvaille­n ihres Großvaters die Zeiten überdauert. „Er hat einfach alles aufgehoben.“Und weil Johann Habermeyer als Soldat im I. Weltkrieg viel herumkam und bis in Rumänien an der Front stand, hat er so manche Kuriosität zusammenge­tragen. Aber das ist eine andere Geschichte ...

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Fotos: Norbert Eibel Gertrud Habermeyer fand die Ausgaben des Neuburger Anzeigebla­tts, der Vorgängerz­eitung der Neuburger Rundschau, zwischen Rahmen und Rücken des Hochzeitsb­ildes ihrer Großeltern.
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Das Hochzeitsb­ild der Großeltern Wal burga, geborene Beyer, und Johann Ha bermeyer. Sie heirateten im Mai 1932.
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Das Anzeigenbl­att hatte stets vier Seiten, davon mindestens eine komplette Seite mit Werbung.

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