„Früher war Satan lebendiger“
Den großen Kirchen laufen die Schäfchen davon und dennoch wird fleißig gesegnet – zum Beispiel Autos. Warum Menschen auch heute noch Wert auf den „Beistand von oben“legen und welche Rolle die Angst vor dem Bösen spielt
Neuburg Schrobenhausen Häuser, Autos, Pferde – es gibt kaum etwas, das die Kirche nicht segnet. Nicht nur ab und an und irgendwo, sondern regelmäßig auch bei uns, in Bayern, in direkter Umgebung. Ob private Häuser im Landkreis Neuburg-Schrobenhausen, Geschäfte wie die Bäckerei Göbel in Neuburg oder Pferde in Laisacker traditionell zu Leonhardi. Wie passt das in eine Zeit, in der die Menschen der Kirche zunehmend den Rücken kehren, Religion auf dem Rückzug scheint und alles vermeintlich immer weltlicher wird?
Einer, der darauf eine Antwort hat, ist Klinikseelsorger Dr. Anton Tischinger aus Neuburg. Über Jahrzehnte hat der inzwischen 70-jährige Geistliche in verschiedenen Funktionen das Verhältnis der Menschen zur Religion und Kirche verfolgt und begleitet. Bis heute erteilt auch er auf Wunsch weltlichen Dingen den kirchlichen Segen. Und dieser Wunsch ist nach wie vor da. „Die Kirche segnet viel“, sagt er. Das sei zum einen Tradition, zum anderen hänge es auch direkt mit unserem modernen Lebensstil zusammen, in dem den Menschen sicherer Halt immer mehr abhanden kommt.
Himmel und Hölle, Gut und Böse, Gott und Teufel – die Kirche hat seit jeher Orientierung geliefert, die Welt erklärt und dabei gern Gegensätze aufgemacht. Mit diesem dualistischen Weltbild hat sie sich an der Schnittstelle zwischen Heil und Unheil über Jahrhunderte gut eingerichtet: Sie hat nicht nur einer Heerschar von ehrfürchtigen Gläubigen Sakramente, Segnungen und den Ablasshandel schmackhaft gemacht, sondern auch die eigene Deutungshoheit zementiert. Wer nicht folgte, musste mindestens mit einem heilsamen Erschrecken oder gleich mit der ewigen Verdammnis rechnen. Dieses Risiko wollten nur wenige eingehen.
Zu fromm das Volk, zu groß dessen Angst vor der Sünde und dem ewigen Widersacher. „Früher war Satan lebendiger“, betont Tischinger. Der Teufel habe in jeder Ecke gelauert, in jedem Gemäuer versteckten sich Dämonen. Die Alltagsspiritualität der Menschen war geprägt vom andauernden Kampf zwischen Gut und Böse, Priester waren Figuren, die sich dem Bösen mit aller Macht und einiger Magie entgegenstellten. „Die Kirche hat damals alles aufgefahren, was zur Verfügung stand: Gebete, Weihrauch, Weihwasser“, weiß der Theologe.
Ursula Göbel von der gleichnamigen Bäckerei in Neuburg hat mit der Kirche nicht viel am Hut. Zumindest nicht mehr, seit sie der Institution vor vielen Jahren den Rücken gekehrt hat. Die Familienbäckerei erhielt vor ein paar Wochen dennoch den kirchlichen Segen – zur Wiedereröffnung nach dem großen Umbau. Es sei der Wunsch des Sohnes und der Schwiegertochter gewesen. Pfarrer Tischinger rückte an, besprengte das Café samt Backstube mit Weihwasser und sprach ein Gebet – so wie es sich für eine Segnung gehört. An magische Kräfte hinter dem Ritual glaubt Göbel nicht. „Das ist veraltet“, sagt sie.
Mit ihrer Meinung hat sie einen prominenten Unterstützer: Martin Luther. Er habe als erster in großem Stil mit den magischen Ängsten und Praktiken aufgeräumt, erklärt Tischinger bei einem kleinen Ausflug in die Kirchengeschichte. In den 1960er Jahren habe dann die Katholische Kirche mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil nachgezogen. Gleichzeitig schwand mit der zunehmenden Befreiung der Menschen aus den Fesseln der Irrationalität die Deutungshoheit der Kirche. Und heute? Werden Konfessionen nach Belieben gewechselt oder die Religion gleich ganz zum Teufel geschickt.
Offiziell gilt Weihwasser unter Katholiken bis heute dennoch als ein Segenszeichen mit heilsamer Wirkung. Der Schutz vor dem Bösen spiele aber kaum mehr eine Rolle, sagt Tischinger. Höchstens bei Autosegnungen wie der am Südpark vielleicht: „Da schwingt wohl schon noch der Wunsch nach Engelschutz im Straßenverkehr mit.“Das sei jedoch ein Irrglaube. „Gott lässt sich nicht erpressen“, sagt der Pfarrer. Wer meint, mit Gott einen Tauschhandel eingehen zu können – nach dem Prinzip „ich tue das, dann gibt er mir jenes“– liege falsch. Eine vorsintflutliche, archaische Religiosität, die mit der Moderne nichts zu tun habe, sei das. Ein Blick auf die Erfahrung lehre das Gegenteil. Tischinger erinnert sich an eine Pferdesegnung, bei der die Tiere durchgingen und mehrere Beteiligte in den Tod rissen. „Ein Vorfall, der nach der Tauschlogik nie hätte passieren dürfen.“Dennoch meine es Gott gut mit den Menschen, betont er. Dies herauszustellen, sei der eigentliche Sinn von Segnungen: Das Gute bestätigen anstatt vor dem Bösen zu schützen.
„Wenn ich ein Haus segne, ist das Haus schon da und gut“, sagt er – wie im Fall der renovierten Bäckerei Göbel. Die Segnung schaffe idealerweise ein Bewusstsein dafür, dass das Haus nicht nur Menschenwerk sei, sondern auch Gottes Zutun eine Rolle gespielt habe. „Wer diese Gewissheit in sich trägt, für den hat der Augenblick der Segnung etwas Göttliches.“Es gehe um ein Eingebundensein in einen größeren Zusammenhang, das den Einzelnen mit Dankbarkeit erfüllt. Wer dagegen ständig aus Angst vor drohendem Unheil bittet „Herr, lass mein Leben glücklich sein“, der verstelle sich den Blick für das bereits existierende Glück.
Manfred Hoffmann hat die Geschäftsräume der Hoffmann Mineral GmbH in Neuburg aus Traditionsbewusstsein segnen lassen. „Das habe ich von meinem Vater und Großvater übernommen“, sagt der Firmenchef. Alle großen Gebäude, von der Verwaltung über die Produktion bis hin zum neuen Standort der Tochter Duro-Druck in Wellheim, kamen in den Genuss des kirchlichen Ritus. Der Einwand, das sei nicht mehr zeitgemäß, sei ihm nie begegnet. „Viele unserer Mitarbeiter sind religiös und die Segnung ein Zeichen des Respekts.“Ob er
Der Teufel lauerte in jeder Ecke
Spiritualität muss angstfrei sein
sich vom Weihwasser irgendeinen Schutz verspricht? „Das spielt überhaupt keine Rolle“, sagt er. Für ihn persönlich schon gar nicht. „Ich bin nicht der allergläubigste Mensch.“
Die Sehnsucht nach einem sinnstiftenden Zusammenhang hätten auch Menschen, die nichts mehr mit der Kirche anfangen könnten, sagt Tischinger. Eine Welt, in der alles auseinanderzufallen droht, verstärke dies. Daher sieht er die Religion auch nicht generell auf dem Rückzug. Im Gegenteil: „Der Mensch ist ein religiöses Wesen auf der Suche nach Sinn – und der bedarf einer Form.“Im Moment sei es halt weniger die Religion der konfessionellen Theologen, die sich breitmache, sondern eher die des Volkes.
„Würde Neuburg morgen eine Esoterikmesse veranstalten, sie wäre der Renner“, sagt er. Auf dem Markt der Spiritualität ist die Kirche eben nur noch ein Angebot von vielen. Der Theologe sieht sie daher in einer neuen Rolle: „Sie ist mehr Begleiter und nicht mehr die Institution, die vorschreibt, was zu tun ist.“Dabei wenden sich ihr Menschen auch aus freien Stücken zu und suchen etwa Segen. Das sei der richtige Weg. Denn: „Spiritualität muss angstfrei sein“, sagt Tischinger.