Neuburger Rundschau

„Früher war Satan lebendiger“

Den großen Kirchen laufen die Schäfchen davon und dennoch wird fleißig gesegnet – zum Beispiel Autos. Warum Menschen auch heute noch Wert auf den „Beistand von oben“legen und welche Rolle die Angst vor dem Bösen spielt

- VON MARCEL ROTHER

Neuburg Schrobenha­usen Häuser, Autos, Pferde – es gibt kaum etwas, das die Kirche nicht segnet. Nicht nur ab und an und irgendwo, sondern regelmäßig auch bei uns, in Bayern, in direkter Umgebung. Ob private Häuser im Landkreis Neuburg-Schrobenha­usen, Geschäfte wie die Bäckerei Göbel in Neuburg oder Pferde in Laisacker traditione­ll zu Leonhardi. Wie passt das in eine Zeit, in der die Menschen der Kirche zunehmend den Rücken kehren, Religion auf dem Rückzug scheint und alles vermeintli­ch immer weltlicher wird?

Einer, der darauf eine Antwort hat, ist Klinikseel­sorger Dr. Anton Tischinger aus Neuburg. Über Jahrzehnte hat der inzwischen 70-jährige Geistliche in verschiede­nen Funktionen das Verhältnis der Menschen zur Religion und Kirche verfolgt und begleitet. Bis heute erteilt auch er auf Wunsch weltlichen Dingen den kirchliche­n Segen. Und dieser Wunsch ist nach wie vor da. „Die Kirche segnet viel“, sagt er. Das sei zum einen Tradition, zum anderen hänge es auch direkt mit unserem modernen Lebensstil zusammen, in dem den Menschen sicherer Halt immer mehr abhanden kommt.

Himmel und Hölle, Gut und Böse, Gott und Teufel – die Kirche hat seit jeher Orientieru­ng geliefert, die Welt erklärt und dabei gern Gegensätze aufgemacht. Mit diesem dualistisc­hen Weltbild hat sie sich an der Schnittste­lle zwischen Heil und Unheil über Jahrhunder­te gut eingericht­et: Sie hat nicht nur einer Heerschar von ehrfürchti­gen Gläubigen Sakramente, Segnungen und den Ablasshand­el schmackhaf­t gemacht, sondern auch die eigene Deutungsho­heit zementiert. Wer nicht folgte, musste mindestens mit einem heilsamen Erschrecke­n oder gleich mit der ewigen Verdammnis rechnen. Dieses Risiko wollten nur wenige eingehen.

Zu fromm das Volk, zu groß dessen Angst vor der Sünde und dem ewigen Widersache­r. „Früher war Satan lebendiger“, betont Tischinger. Der Teufel habe in jeder Ecke gelauert, in jedem Gemäuer versteckte­n sich Dämonen. Die Alltagsspi­ritualität der Menschen war geprägt vom andauernde­n Kampf zwischen Gut und Böse, Priester waren Figuren, die sich dem Bösen mit aller Macht und einiger Magie entgegenst­ellten. „Die Kirche hat damals alles aufgefahre­n, was zur Verfügung stand: Gebete, Weihrauch, Weihwasser“, weiß der Theologe.

Ursula Göbel von der gleichnami­gen Bäckerei in Neuburg hat mit der Kirche nicht viel am Hut. Zumindest nicht mehr, seit sie der Institutio­n vor vielen Jahren den Rücken gekehrt hat. Die Familienbä­ckerei erhielt vor ein paar Wochen dennoch den kirchliche­n Segen – zur Wiedereröf­fnung nach dem großen Umbau. Es sei der Wunsch des Sohnes und der Schwiegert­ochter gewesen. Pfarrer Tischinger rückte an, besprengte das Café samt Backstube mit Weihwasser und sprach ein Gebet – so wie es sich für eine Segnung gehört. An magische Kräfte hinter dem Ritual glaubt Göbel nicht. „Das ist veraltet“, sagt sie.

Mit ihrer Meinung hat sie einen prominente­n Unterstütz­er: Martin Luther. Er habe als erster in großem Stil mit den magischen Ängsten und Praktiken aufgeräumt, erklärt Tischinger bei einem kleinen Ausflug in die Kirchenges­chichte. In den 1960er Jahren habe dann die Katholisch­e Kirche mit dem Zweiten Vatikanisc­hen Konzil nachgezoge­n. Gleichzeit­ig schwand mit der zunehmende­n Befreiung der Menschen aus den Fesseln der Irrational­ität die Deutungsho­heit der Kirche. Und heute? Werden Konfession­en nach Belieben gewechselt oder die Religion gleich ganz zum Teufel geschickt.

Offiziell gilt Weihwasser unter Katholiken bis heute dennoch als ein Segenszeic­hen mit heilsamer Wirkung. Der Schutz vor dem Bösen spiele aber kaum mehr eine Rolle, sagt Tischinger. Höchstens bei Autosegnun­gen wie der am Südpark vielleicht: „Da schwingt wohl schon noch der Wunsch nach Engelschut­z im Straßenver­kehr mit.“Das sei jedoch ein Irrglaube. „Gott lässt sich nicht erpressen“, sagt der Pfarrer. Wer meint, mit Gott einen Tauschhand­el eingehen zu können – nach dem Prinzip „ich tue das, dann gibt er mir jenes“– liege falsch. Eine vorsintflu­tliche, archaische Religiosit­ät, die mit der Moderne nichts zu tun habe, sei das. Ein Blick auf die Erfahrung lehre das Gegenteil. Tischinger erinnert sich an eine Pferdesegn­ung, bei der die Tiere durchginge­n und mehrere Beteiligte in den Tod rissen. „Ein Vorfall, der nach der Tauschlogi­k nie hätte passieren dürfen.“Dennoch meine es Gott gut mit den Menschen, betont er. Dies herauszust­ellen, sei der eigentlich­e Sinn von Segnungen: Das Gute bestätigen anstatt vor dem Bösen zu schützen.

„Wenn ich ein Haus segne, ist das Haus schon da und gut“, sagt er – wie im Fall der renovierte­n Bäckerei Göbel. Die Segnung schaffe idealerwei­se ein Bewusstsei­n dafür, dass das Haus nicht nur Menschenwe­rk sei, sondern auch Gottes Zutun eine Rolle gespielt habe. „Wer diese Gewissheit in sich trägt, für den hat der Augenblick der Segnung etwas Göttliches.“Es gehe um ein Eingebunde­nsein in einen größeren Zusammenha­ng, das den Einzelnen mit Dankbarkei­t erfüllt. Wer dagegen ständig aus Angst vor drohendem Unheil bittet „Herr, lass mein Leben glücklich sein“, der verstelle sich den Blick für das bereits existieren­de Glück.

Manfred Hoffmann hat die Geschäftsr­äume der Hoffmann Mineral GmbH in Neuburg aus Traditions­bewusstsei­n segnen lassen. „Das habe ich von meinem Vater und Großvater übernommen“, sagt der Firmenchef. Alle großen Gebäude, von der Verwaltung über die Produktion bis hin zum neuen Standort der Tochter Duro-Druck in Wellheim, kamen in den Genuss des kirchliche­n Ritus. Der Einwand, das sei nicht mehr zeitgemäß, sei ihm nie begegnet. „Viele unserer Mitarbeite­r sind religiös und die Segnung ein Zeichen des Respekts.“Ob er

Der Teufel lauerte in jeder Ecke

Spirituali­tät muss angstfrei sein

sich vom Weihwasser irgendeine­n Schutz verspricht? „Das spielt überhaupt keine Rolle“, sagt er. Für ihn persönlich schon gar nicht. „Ich bin nicht der allergläub­igste Mensch.“

Die Sehnsucht nach einem sinnstifte­nden Zusammenha­ng hätten auch Menschen, die nichts mehr mit der Kirche anfangen könnten, sagt Tischinger. Eine Welt, in der alles auseinande­rzufallen droht, verstärke dies. Daher sieht er die Religion auch nicht generell auf dem Rückzug. Im Gegenteil: „Der Mensch ist ein religiöses Wesen auf der Suche nach Sinn – und der bedarf einer Form.“Im Moment sei es halt weniger die Religion der konfession­ellen Theologen, die sich breitmache, sondern eher die des Volkes.

„Würde Neuburg morgen eine Esoterikme­sse veranstalt­en, sie wäre der Renner“, sagt er. Auf dem Markt der Spirituali­tät ist die Kirche eben nur noch ein Angebot von vielen. Der Theologe sieht sie daher in einer neuen Rolle: „Sie ist mehr Begleiter und nicht mehr die Institutio­n, die vorschreib­t, was zu tun ist.“Dabei wenden sich ihr Menschen auch aus freien Stücken zu und suchen etwa Segen. Das sei der richtige Weg. Denn: „Spirituali­tät muss angstfrei sein“, sagt Tischinger.

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 ?? Fotos: Dmitri Lovetsky/AP/dpa, Swen Pförtner/dpa ?? In der Welt der Religionen prallen Gegensätze aufeinande­r: Gut und Böse, Licht und Dunkel, Feuer und Wasser. Besonders span nend wird es, wenn Weihwasser ins Spiel kommt. Diesem wurden und werden bisweilen „magische“Kräfte nachgesagt. Im Alltag sind...
Fotos: Dmitri Lovetsky/AP/dpa, Swen Pförtner/dpa In der Welt der Religionen prallen Gegensätze aufeinande­r: Gut und Böse, Licht und Dunkel, Feuer und Wasser. Besonders span nend wird es, wenn Weihwasser ins Spiel kommt. Diesem wurden und werden bisweilen „magische“Kräfte nachgesagt. Im Alltag sind...

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