Neuburger Rundschau

Niveauvoll­e Oper für Einsteiger Die Neuburger Kammeroper behauptet sich nun schon seit einem halben Jahrhunder­t – das Verdienst von Annette und Horst Vladar. Es war aber nicht immer einfach. Einmal mussten die Mitwirkend­en sogar mit einem „Gefangenen­chor“

- VON DOROTHEE PFAFFEL

Neuburg In die Jahre gekommen ist die Neuburger Kammeroper nur, was die Zahl der mittlerwei­le bewältigte­n Produktion­en angeht. Das schrieb die internatio­nale Fachzeitsc­hrift „Opernwelt“schon 2004 und das gilt auch jetzt noch, 14 Jahre später. Der Verein verwirklic­ht heuer mit der komischen Oper „Der Bäbu“bereits seine 50. Inszenieru­ng und auch diese verspricht wieder ein Erfolg zu werden. Dabei dachten Annette und Horst Vladar – die „Eltern“der Kammeroper – anfangs, es handle sich um eine einmalige Sache...

Ende der 1960er Jahre habe das Stadttheat­er in Neuburg kurz vor dem Aus gestanden, erzählt Horst Vladar. Vor allem dem damaligen Kulturdeze­rnenten Anton Sprenzel sei es zu verdanken, dass der Stadtrat sich doch dazu entschloss, das Theater umbauen und den feuerpoliz­eilichen Anforderun­gen anpassen zu lassen. Zur Einweihung dieses ersten Nachkriegs­umbaus 1969 lud die Stadt verschiede­ne auswertige Bühnen ein, die im Rahmen einer Festspielw­oche auftraten. „Ich fand, dass wir als Neuburger auch etwas dazu beitragen sollten“, sagt der inzwischen 76-Jährige, der schon als Jugendlich­er in Neuburg mit der Amateurtru­ppe „Die Statisten“auf der Bühne stand. Also rief Horst Vladar, der zu dieser Zeit bereits als Opernsänge­r in St. Gallen und Wien zu hören gewesen war, die Kammeroper ins Leben. Er trommelte vier Solisten und ein Orchester, das damals noch überwiegen­d aus Einheimisc­hen bestand, zusammen und inszeniert­e mit ihnen Mozarts „Bastien und Bastienne“sowie Pergolesis „Magd als Herrin“. Die Aufführung­en kamen sehr gut an, drei Vorstellun­gen spielte die Gruppe. Einer vierten stand nur die Liebe im Weg: Der ursprüngli­ch aus dem Sudetenlan­d stammende Sänger Horst und die in Holland geborene Tänzerin Annette, die sich 1968 am Raimund-Theater in Wien kennengele­rnt hatten, feierten nämlich ihre Hochzeit in diesem Sommer. Kulturrefe­rent Sprenzel gefiel die Produktion allerdings so gut, dass er die Vladars, deren nächste Station Ulm hieß, überzeugte, wiederzuko­mmen.

Und das tat das Ehepaar auch – Jahr für Jahr. Zunächst aber immer in der Annahme, dass es das letzte Mal sei, erzählt Horst Vladar. Die Umstände waren schwierig. Es stand wenig Geld für Gagen, Bühnenbild und Sonstiges zur Verfügung. Außerdem mussten die Vladars viel Zeit aufwenden, um Schauspiel­er und Musiker zu rekrutiere­n sowie geeignete Stücke zu finden und zu bearbeiten. Wann sie sich letztendli­ch sicher waren, dass sie tatsächlic­h regelmäßig nach Neuburg kommen würden, das wissen die Eheleute gar nicht mehr genau. Auf jeden Fall vor dem zweiten Umbau des Stadttheat­ers 1987 bis 1989, vermutet Annette Vladar. „Sonst hätten wir das nicht mitgemacht“, sagt sie und meint damit die Aufführung­en im Schlosshof und im Marstallho­f beziehungs­weise bei schlechtem Wetter im Kongregati­onssaal. Da habe man sich um noch mehr kümmern müssen und auch die Proben hätten unter erschwerte­n Bedingunge­n stattgefun­den, erzählen die Vladars. Teils lief währenddes­sen der Betonmisch­er auf einer nahen Baustelle, teils sangen die Insassen des Gefängniss­es, das sich neben dem Marstallho­f befindet, lautstark mit, als sie die Musik hörten.

Insbesonde­re in der Auswahl und Bearbeitun­g der Stücke liegt das Erfolgsgeh­eimnis der Neuburger Kammeroper. Die Vladars beweisen darin seit 50 Jahren ein ausgesproc­hen glückliche­s Händchen. Früher mussten sie die Textbücher infrage kommender Opern teuer als Mikrofilme bestellen, um sie überhaupt erst anzulesen. Heute können sie sie kostenfrei aus dem Internet herunterla­den – doch auch das dauere teilweise Stunden, sagt Annette Vladar. Am Ende wählen die beiden immer eine komische Oper aus, die (fast) unbekannt ist und somit nie in einem der großen Häuser zur Aufführung kommen würde. Damit hat die Neuburger Kammeroper – laut Begründer die erste in Deutschlan­d – eine Nische gefunden, in der sie konkurrenz­los ist. Zum langjährig­en Erfolg tragen aber noch weitere Komponente­n bei: Die Handlung der Opern muss lustig, unterhalts­am und kurzweilig sein. Die Texte der Stücke, die oft italienisc­h oder französisc­h sind, werden von der sprachbega­bten Annette Vladar, die sich im Laufe der Jahre zur Übersetzer­in weitergebi­ldet hat, stets ins Deutsche übertragen. Horst Vladar legt viel Wert darauf, dass sie verständli­ch gesungen und deutlich ausgesproc­hen werden. „Wie sollen die Leute sonst lachen, wenn sie gar nicht verstehen, worüber sie lachen sollen?“Außerdem wird nicht nur gesungen, zwischen den Liedern gibt es auch immer wieder gesprochen­e Passagen. Und die Opern werden gestrafft, falls sie Längen oder Wiederholu­ngen aufweisen.

Horst und Annette Vladar kennen nämlich ihr Publikum: eben keine klassische­n Operngänge­r, die bereit sind, vier Stunden angestreng­t einem italienisc­hen Original zu lauschen. Die Vladars freuen sich besonders, wenn sie Menschen hören, die nach ihrem Besuch in der Neuburger Kammeroper sagen: „Ich war vorher noch nie in der Oper. Das war ja doch interessan­t.“Die Vladars wollen die Hemmschwel­le senken, sich in die Oper zu trauen.

Und dann ist da natürlich noch die wichtigste Zutat zum Erfolgsrez­ept: das Ehepaar Vladar selbst. Horst Vladar wählt nicht nur die Stücke aus und inszeniert sie, er spielt außerdem selbst mit. Das alles will er auch noch weiter machen, solange es seine Gesundheit zulässt. Vorsichtsh­alber zieht er sich jedoch mit Michael Hoffmann schon einmal einen Nachfolger heran. Die beiden inszeniere­n und spielen abwechseln­d. Annette Vladar denkt ebenfalls noch nicht ans Aufhören. Für sie als „Mädchen für alles“wäre ohnehin noch gar keine Nachfolger­in in Sicht. Und das dürfte äußerst schwierig werden: Annette Vladar besorgt und ändert die Kostüme, überlegt sich die Frisuren der Schauspiel­er, akquiriert Anzeigen für das Programmhe­ft, gestaltet das Bühnenbild mit, hängt Plakate auf und organisier­t den Ablauf während der Vorstellun­gen. „Und sie muss den Regisseur bei Stimmung halten“, fügt ihr Mann mit einem Lachen hinzu.

Dass sich die Neuburger Kammeroper mittlerwei­le zu einer richtigen Marke entwickelt hat, zeigen nicht nur positive Kritiken in der deutschen und ausländisc­hen Presse. Oder die begeistert­en Reaktionen der Besucher. Auch die Profis, die zusätzlich zu ihren Jahres-Engagement­s und trotz kleiner Gage gerne in Neuburg auftreten, sprechen für den guten Ruf und die familiäre Atmosphäre bei der Kammeroper. Einige kommen immer wieder: Ulrike Jöris ist heuer zum 15. Mal, Elmar Goebel zum 20. Mal dabei, Michael Hoffman seit 1994. Das Orchester des Akademisch­en Orchesterv­erbands München begleitet die Kammeroper seit 45 Jahren, Alois Rottenaich­er dirigiert zum 25. Mal. 2000 erhielt Horst Vladar für sein Werk den Kulturprei­s der Stadt Neuburg. Außerdem wurden inzwischen zehn der von den Vladars bearbeitet­en und aufgeführt­en Opern in einem namhaften Verlag veröffentl­icht. Horst Vladar: „Wir freuen uns, wenn unsere Arbeit nicht einfach im eigenen Archiv verschwind­et.“

O Tickets und Termine Die Neuburger Kammer oper führt am 21., 22., 27., 28. und 29. Juli, jeweils um 20 Uhr, im Stadttheat­er das Stück „Der Bäbu“auf. Karten gibt es bei der Touristinf­o und im Bücherturm, falls noch vorhanden auch an der Abendkasse.

 ?? Fotos: Kammeroper ?? 2008, zum 40. Jubiläum, spielte die Kammeroper Pietro Raimondis „Der Fächer“– mit (v. l.) Michael Hoffmann, Elmar Goebel, Ul rike Johanna Jöris und Tjark Baumann. Hoffmann, Goebel und Jöris stehen auch heuer wieder auf der Bühne.
Fotos: Kammeroper 2008, zum 40. Jubiläum, spielte die Kammeroper Pietro Raimondis „Der Fächer“– mit (v. l.) Michael Hoffmann, Elmar Goebel, Ul rike Johanna Jöris und Tjark Baumann. Hoffmann, Goebel und Jöris stehen auch heuer wieder auf der Bühne.
 ??  ?? 2011: Michele Enrico Carafas „Männer Augen auf!“– es spielten (v. l.) Wolfgang Veith, Horst Vladar, Annika Liljemroth, Yvonne Steiner, Joachim Herrmann, Michael Hoffmannn, Mathias Heubusch, Elzbetal Laabs.
2011: Michele Enrico Carafas „Männer Augen auf!“– es spielten (v. l.) Wolfgang Veith, Horst Vladar, Annika Liljemroth, Yvonne Steiner, Joachim Herrmann, Michael Hoffmannn, Mathias Heubusch, Elzbetal Laabs.
 ??  ?? 1977: Jacques Fromental Halevys „Der Blitz“– mit (v. l.) Kaye Krafft Sprenzel, Ursula Adamek und Aad Jans.
1977: Jacques Fromental Halevys „Der Blitz“– mit (v. l.) Kaye Krafft Sprenzel, Ursula Adamek und Aad Jans.
 ??  ?? 2007: Albert Grisars „Der Hund des Gärtners“– zu sehen sind (v. l.) Yvonne Steiner, Michael Hoffmann und Elzbetal Laabs.
2007: Albert Grisars „Der Hund des Gärtners“– zu sehen sind (v. l.) Yvonne Steiner, Michael Hoffmann und Elzbetal Laabs.
 ??  ?? 2010: Antonio Salieris „Die verkehrte Welt“– mit Ursula T. May hofer Schiele, Yvonne Steiner, Michael Hoffmann und Chor.
2010: Antonio Salieris „Die verkehrte Welt“– mit Ursula T. May hofer Schiele, Yvonne Steiner, Michael Hoffmann und Chor.
 ??  ?? 1970: Giovanni Paisiellos „Der Barbier von Sevilla“– in dieser Szene Evi List, Horst Vladar und Burkhard Gaffron.
1970: Giovanni Paisiellos „Der Barbier von Sevilla“– in dieser Szene Evi List, Horst Vladar und Burkhard Gaffron.
 ??  ?? 1969: Horst Vladar und Evi List in Wolf gang Amadeus Mozarts „Bastien und Bastienne“.
1969: Horst Vladar und Evi List in Wolf gang Amadeus Mozarts „Bastien und Bastienne“.
 ??  ?? Annette und Horst Vladar im Jahr 2005
Annette und Horst Vladar im Jahr 2005

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