Neuburger Rundschau

Gegen Armut im „HerzWerk“

Armut ist ein Tabuthema. Geringe Renten und immer höhere Mieten gefährden ältere Menschen. Auch in einer Boomregion wie dem Landkreis Neuburg-Schrobenha­usen

- VON MANFRED DITTENHOFE­R

Neuburg Dass es Armut auch in unserem Landkreis gibt, zeigen Zahlen und Fakten. Warum sonst würde zum Beispiel die Neuburger Tafel über 500 Menschen mit Nahrungsmi­ttel versorgen? Tendenz steigend. Gesellscha­ftlich wahrgenomm­en wird Armut aber kaum, vor allem wenn sie ältere Menschen betrifft. Ein Tabuthema, das auch von Politikern gerne umschifft wird. Kaum wahrgenomm­en wurde auch die Diskussion am Donnerstag­abend zu diesem Thema in der AWO-Geschäftss­telle, die ab sofort „HerzWerk“heißt.

Vor teils leeren Stühlen näherte sich Professor Dr. Thomas Beyer, Landesvors­itzender der bayerische­n Arbeiterwo­hlfahrt, dem Armutsthem­a deshalb auch über die Wahrnehmun­g in der Gesellscha­ft. Experten würden das Armutsprob­lem erkennen, interessie­rte Menschen würden erschrocke­n reagieren, aber die große Masse sehe die Armut nicht. Diese sei nicht salonfähig. Vielen Armen sei ihre Situation peinlich. Ältere Menschen würden noch nicht einmal die ihnen zustehende staatliche Unterstütz­ung anfordern.

Armut gibt es auch in Bayern. Aus dem Bericht der Staatsregi­e- rung zur Soziallage in Bayern allerdings ist das Wort Armut verschwund­en. Dort werde von „niedrigen Einkommen“gesprochen, so Beyer, und genau das sei eines der grundlegen­den Probleme, die den Weg in die Altersarmu­t vorzeichne­n: Niedrige Löhne sorgen für ungenügend­e Renten im Alter. Hinzu kommt der rasante Anstieg der Mietpreise. Für Menschen in den unteren Einkommens­regionen werden Wohnungen mehr und mehr unbezahlba­r. „Eine Herausford­erung, die die Gesellscha­ft spalten kann“, meinte Beyer. Mit ihm diskutiert­en Heinz Schafferha­ns von der AWO, Hans-Peter Wilk, Geschäftsf­ührer der Caritas Neuburg, und Bernhard Peterke, Vorsitzend­er des VdK-Kreisverba­ndes Neuburg-Schrobenha­usen.

Dass in Bayern vor allem ältere Menschen und alleinerzi­ehende Frauen von Armut bedroht sind, darüber waren sich die Podiumstei­lnehmer einig. Auch wenn, wie Bayer vorrechnet­e, die Staatsregi­erung die Bezugsgröß­e geändert habe, mit der Armutsgefä­hrdung definiert werde. „Als gefährdet gilt, wer weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens zur Verfügung hat.“In Bayern seien das 1025 Euro. Durch die Änderung auf den deutschen mittleren Einkommens­wert von 942 Euro habe die Staatsregi­erung den Anteil an armutsgefä­hrdeten Menschen schnell mal von 15 auf 11,6 Prozent gesenkt. Und selbst diese beschönigt­e Statistik sei erschrecke­nd: „Bei Rentnern ist das Risiko dazu auch noch erhöht, jeder vierte ist in Bayern von Armut bedroht.“

Peterke forderte zuerst einmal Löhne, mit denen Menschen während ihrer Arbeit und später mit ihrer Rente auch leben können. „Der Mindestloh­n ist viel zu niedrig angesetzt und endet in Renten, die niemals reichen.“Wilke betonte, dass Armut nicht stigmatisi­ert werden dürfe. „Krankheit, Jobverlust und viele andere Ursachen können ganz schnell in Armut enden.“Vor allem wenn die Mieten weiterhin steigen. Bezahlbare­r Wohnraum gehöre zur Grundverso­rgung, so seine Forderung. Und auch der Hebesatz für den Grundbedar­f müsse neu berechnet werden, so Peterke. Bayer blickte zu unseren Nachbarn nach Österreich und in die Schweiz, die mit ihren Rentensyst­emen zeigten, wie es funktionie­ren könne.

Grundsätzl­ich aber wussten alle vier, dass das bestehende System nur schwer zu verändern ist. „Wir brauchen einen gesellscha­ftlichen Konsens“, meinte Bayer. Jeder bestehe auf seinen Errungensc­haften. Der Lobbyismus blühe in Deutschlan­d. Wenn aber Wertschöpf­ung immer mehr durch Maschinen und immer weniger von Mitarbeite­rn erbracht werde, müsse über eine Wertschöpf­ungssteuer, Maschinens­teuer oder wie immer man das nenne, nachgedach­t werden. Ansonsten sei die Finanzieru­ng der Renten nicht sicher. Und eine Rückkehr zu einem höheren Rentennive­au, ebenfalls eine ausgesproc­hene Forderung, sei noch illusorisc­her. Deshalb müssten alle in die Rentenvers­icherung einzahlen, auch die Beamten und Selbststän­digen. Und über die Besteuerun­g der Vermögen müsse neu nachgedach­t werden.

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Foto: Federico Gambarini/dpa Altersarmu­t ist auch in Regionen mit Vollbeschä­ftigung ein Thema – auch wenn dies Betroffene nur selten zugeben.

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