Gegen Armut im „HerzWerk“
Armut ist ein Tabuthema. Geringe Renten und immer höhere Mieten gefährden ältere Menschen. Auch in einer Boomregion wie dem Landkreis Neuburg-Schrobenhausen
Neuburg Dass es Armut auch in unserem Landkreis gibt, zeigen Zahlen und Fakten. Warum sonst würde zum Beispiel die Neuburger Tafel über 500 Menschen mit Nahrungsmittel versorgen? Tendenz steigend. Gesellschaftlich wahrgenommen wird Armut aber kaum, vor allem wenn sie ältere Menschen betrifft. Ein Tabuthema, das auch von Politikern gerne umschifft wird. Kaum wahrgenommen wurde auch die Diskussion am Donnerstagabend zu diesem Thema in der AWO-Geschäftsstelle, die ab sofort „HerzWerk“heißt.
Vor teils leeren Stühlen näherte sich Professor Dr. Thomas Beyer, Landesvorsitzender der bayerischen Arbeiterwohlfahrt, dem Armutsthema deshalb auch über die Wahrnehmung in der Gesellschaft. Experten würden das Armutsproblem erkennen, interessierte Menschen würden erschrocken reagieren, aber die große Masse sehe die Armut nicht. Diese sei nicht salonfähig. Vielen Armen sei ihre Situation peinlich. Ältere Menschen würden noch nicht einmal die ihnen zustehende staatliche Unterstützung anfordern.
Armut gibt es auch in Bayern. Aus dem Bericht der Staatsregie- rung zur Soziallage in Bayern allerdings ist das Wort Armut verschwunden. Dort werde von „niedrigen Einkommen“gesprochen, so Beyer, und genau das sei eines der grundlegenden Probleme, die den Weg in die Altersarmut vorzeichnen: Niedrige Löhne sorgen für ungenügende Renten im Alter. Hinzu kommt der rasante Anstieg der Mietpreise. Für Menschen in den unteren Einkommensregionen werden Wohnungen mehr und mehr unbezahlbar. „Eine Herausforderung, die die Gesellschaft spalten kann“, meinte Beyer. Mit ihm diskutierten Heinz Schafferhans von der AWO, Hans-Peter Wilk, Geschäftsführer der Caritas Neuburg, und Bernhard Peterke, Vorsitzender des VdK-Kreisverbandes Neuburg-Schrobenhausen.
Dass in Bayern vor allem ältere Menschen und alleinerziehende Frauen von Armut bedroht sind, darüber waren sich die Podiumsteilnehmer einig. Auch wenn, wie Bayer vorrechnete, die Staatsregierung die Bezugsgröße geändert habe, mit der Armutsgefährdung definiert werde. „Als gefährdet gilt, wer weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens zur Verfügung hat.“In Bayern seien das 1025 Euro. Durch die Änderung auf den deutschen mittleren Einkommenswert von 942 Euro habe die Staatsregierung den Anteil an armutsgefährdeten Menschen schnell mal von 15 auf 11,6 Prozent gesenkt. Und selbst diese beschönigte Statistik sei erschreckend: „Bei Rentnern ist das Risiko dazu auch noch erhöht, jeder vierte ist in Bayern von Armut bedroht.“
Peterke forderte zuerst einmal Löhne, mit denen Menschen während ihrer Arbeit und später mit ihrer Rente auch leben können. „Der Mindestlohn ist viel zu niedrig angesetzt und endet in Renten, die niemals reichen.“Wilke betonte, dass Armut nicht stigmatisiert werden dürfe. „Krankheit, Jobverlust und viele andere Ursachen können ganz schnell in Armut enden.“Vor allem wenn die Mieten weiterhin steigen. Bezahlbarer Wohnraum gehöre zur Grundversorgung, so seine Forderung. Und auch der Hebesatz für den Grundbedarf müsse neu berechnet werden, so Peterke. Bayer blickte zu unseren Nachbarn nach Österreich und in die Schweiz, die mit ihren Rentensystemen zeigten, wie es funktionieren könne.
Grundsätzlich aber wussten alle vier, dass das bestehende System nur schwer zu verändern ist. „Wir brauchen einen gesellschaftlichen Konsens“, meinte Bayer. Jeder bestehe auf seinen Errungenschaften. Der Lobbyismus blühe in Deutschland. Wenn aber Wertschöpfung immer mehr durch Maschinen und immer weniger von Mitarbeitern erbracht werde, müsse über eine Wertschöpfungssteuer, Maschinensteuer oder wie immer man das nenne, nachgedacht werden. Ansonsten sei die Finanzierung der Renten nicht sicher. Und eine Rückkehr zu einem höheren Rentenniveau, ebenfalls eine ausgesprochene Forderung, sei noch illusorischer. Deshalb müssten alle in die Rentenversicherung einzahlen, auch die Beamten und Selbstständigen. Und über die Besteuerung der Vermögen müsse neu nachgedacht werden.