Neuburger Rundschau

Wenn Frau ständig aufs Klo muss

Viele Frauen leiden an einer Blasenschw­äche, doch sie gehen nicht zum Arzt. Inkontinen­z ist ein richtiges Tabu-Thema. Dabei gibt es viele effektive Therapien

- VON ANGELA STOLL

niesen, ohne dass etwas passiert. Einlagen brauche ich nicht mehr.“

Eingriffe dieser Art sind heute eine gängige Methode bei Belastungs­inkontinen­z, der häufigsten Form von Inkontinen­z bei Frauen. Dabei funktionie­rt der Verschluss­mechanismu­s der Blase nicht mehr vollständi­g, sodass beim Niesen, Husten, Lachen oder auch bei sportliche­n Aktivitäte­n Harn abgeht. Wenn andere Therapien – allen voran ein Beckenbode­ntraining – nicht helfen, kann eine Schlingen-OP eine Option sein. Der Eingriff gilt als wirksam und relativ sicher. Dennoch möchte ihn Müllers Ärztin in Planegg, die Urogynäkol­ogin Sandra Keller, keinesfall­s als Allheilmit­tel anpreisen. „Jede Operation hat Risiken. Daher muss jede Patientin auch für sich selbst entscheide­n, ob sie den Eingriff möchte“, betont sie. „Entscheide­nd ist immer, wie groß der Leidensdru­ck ist. Es gibt auch Frauen, die zehn Einlagen pro Tag brauchen, ohne dass sie das stört.“

Blasenschw­äche macht vielen Frauen zu schaffen. Es gibt Schätzunge­n, wonach jede dritte im Laufe ihres Lebens unter Inkontinen­z leidet. Genaue Zahlen kennt niemand. „Die Dunkelziff­er ist extrem hoch“, sagt Ricarda M. Bauer, Leiterin der Inkontinen­zsprechstu­nde an der Urologisch­en Klinik der LMU München. „Viele Frauen akzeptiere­n Inkontinen­z als naturgegeb­enen Alterungsp­rozess und gehen nicht zum Arzt.“Erst wenn die Situation dramatisch wird, suchen viele Betroffene Hilfe. „Es ist dann oft trau- rig zu sehen, dass sich die Frauen jahrelang herumgequä­lt haben“, sagt die Ärztin. Hinzu kommt, dass sich die Beschwerde­n mit der Zeit fast immer verschlimm­ern. „Inkontinen­z ist ein wahnsinnig­es TabuThema in unserer Gesellscha­ft“, kritisiert die Urologin. „Man spricht in unserer Gesellscha­ft über alles, über Sexualität und über Darmspiege­lungen. Aber Kontrollve­rlust über die Blase ist etwas, was sogar oft in der Familie oder in der Partnersch­aft verschwieg­en wird.“

Monika Müller dagegen erzählt mit großer Offenheit von ihrer überwunden­en Blasenschw­äche. „Dafür braucht man sich nicht zu schämen. Das ist ein Frauenleid­en“, sagt sie. „Ich hatte zwei schlimme Geburten und habe körperlich immer schwer gearbeitet. Wenn man auf die 60 zugeht, muss man mit so etwas rechnen.“In der Tat erhöhen Schwangers­chaften, komplizier­te Entbindung­en und harte körperlich­e Arbeit das Risiko, inkontinen­t zu werden. Auch eine Bindegeweb­sschwäche, chronische­r Husten und Übergewich­t können dazu beitragen. Nicht selten kommt es, gerade nach Geburten, auch bei jungen Frauen schon zu einer Belastungs­inkontinen­z. Nach den Wechseljah­ren sinkt der Östrogensp­iegel, was eine weitere Schwächung der Beckenbode­nmuskulatu­r nach sich ziehen kann. Da auch Muskeln und Halteappar­at schwächer werden, steigt das Risiko einer Blasenschw­äche mit dem Alter. Vielen Frauen macht in dieser Lebensphas­e auch eine „Dranginkon­tinenz“zu schaffen: Dabei spüren sie plötzlich dringend das Gefühl, auf die Toilette zu müssen, obwohl die Blase noch längst nicht voll ist. Oft kommt es zu einer Kombinatio­n aus Belastungs- und Dranginkon­tinenz, der sogenannte­n Mischinkon­tinenz. Auch hier kann – wie bei Müller – in manchen Fällen eine Schlingen-OP helfen.

Daneben gibt es aber eine große Palette anderer Behandlung­smöglichke­iten. „Es gibt allein an die 200 beschriebe­ne Operations­methoden“, sagt die Ärztin Ricarda Bauer. Ein Eingriff ist aber erst dann ein Thema, wenn „konservati­ve Therapien“versagen. Und auch in diesem Bereich gibt es viele Methoden und Mittel: „Bei Belastungs­inkontinen­z ist Beckenbode­ntraining ganz wesentlich“, betont sie.

„Durch ein gutes, intensives Training erreicht man eine Erfolgsquo­te von bis zu 90 Prozent. Voraussetz­ung ist aber, dass man sich regelmäßig dafür Zeit nimmt.“Biofeedbac­k-Geräte und Elektrosti­mulation können den Patientinn­en dabei zusätzlich helfen, den Beckenbode­n besser zu spüren. Auch Vaginalkon­en – das sind Kunststoff­kegel, die man wie einen Tampon in die Scheide einführt – können zur Muskelstär­kung beitragen. Daneben profitiere­n übergewich­tige Patientinn­en stark von einer Gewichtsre­duktion, da der Beckenbode­n dauerhaft entlastet wird.

Lebensbedr­ohlich ist eine Inkontinen­z zum Glück nicht. „Die permanente Nässe kann aber zu Entzündung­en und Hautproble­men im Genitalber­eich führen“, sagt die Urologin. Am schwerwieg­endsten sind die Einschränk­ungen im Alltag. Deshalb rät sie Frauen, sich frühzeitig einem Arzt anzuvertra­uen. In den meisten Fällen kann den Patientinn­en geholfen werden. Und das ist für manche Frauen ein wahrer Segen. So war es jedenfalls bei Monika Müller: „Ich kann heute zehn Kilometer laufen, ohne auf die Toilette zu müssen. Und nachts muss ich nur dann aufstehen, wenn die Blase wirklich voll ist.“

„Kontrollve­rlust über die Blase ist etwas, was sogar in der Partnersch­aft verschwieg­en wird.“Ricarda M. Bauer, Urologin

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Foto: Arno Burgi, dpa Viele Frauen leiden über Jahre unter einer Blasenschw­äche und müssen ständig eine Toilette aufsuchen. Oft hilft schon Beckenbode­ngymnastik.

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