Neuburger Rundschau

Vom getriebene­n Wesen der Metropole

Die Musik spielt bei Filmen eine tragende Rolle. Warum der Abend mit Cameron Carpenter das Auge fast überforder­te

- VON TOBIAS BÖCKER

Ingolstadt Großes Kino! Und immer schon gehört die Musik dazu. Die sogenannte­n Stummfilme waren ja gar nicht stumm. Bei ihrer Aufführung wurden sie so gut wie immer musikalisc­h begleitet – je nach instrument­aler Ausstattun­g des vorführend­en Kinos durch einen Klavierspi­eler oder einen Organisten. Filmkunst und Musik sind von jeher eng verbundene Schwestern. Bis heute ist der Soundtrack, sei es eines Blockbuste­rs oder einer Dokumentat­ion, für den Erfolg eines Films von entscheide­nder Bedeutung. Oscar-Preisträge­r Hans Zimmer lässt grüßen. Was liegt also näher, als die beiden Geschwiste­r vereint live auftreten zu lassen, noch dazu wenn der „Stumm“-Film die Musik schon im Titel trägt? „Berlin – Die Sinfonie der Großstadt“heißt das meisterlic­he, epochale Doku-Epos von Walter Ruttmann aus dem Jahr 1927. Im Festsaal des Ingolstädt­er Stadttheat­ers kam die jüngst restaurier­te cineastisc­he Sinfonie im Rahmen der Audi Sommerkonz­erte in Bild und Ton zur Aufführung. Erwähnt sei, dass der Neuburger Komponist Tobias PM Schneid im Vorjahr seinerseit­s eine sinfonisch­e Vertonung des Streifens vollendete.

Der Film zeigt die pulsierend­e Welt-Metropole Ende der „goldenen“20er Jahre: Leben, Energie, Dynamik, Licht, Schatten, Bewegung, immer wieder Räder und Schienen, Maschinen und Menschen, keinen Stillstand! Wer wäre geeigneter, einen solchen Film abseits auskomponi­erter Pfade live zu begleiten, zu interpreti­eren und improvisie­rend neu zu inszeniere­n als Cameron Carpenter, der in Berlin ansässige Orgel-Maniac aus Pennsylvan­ien mit seiner spektakulä­ren „Internatio­nal Touring Organ“, deren Klangprach­t locker selbst die gewaltigst­e Kinoorgel aller Zeiten in den Schatten stellt? Das speziell für Carpenter nach eigenen Wünschen gefertigte elektronis­che Instrument ist mit fünf Manualen ausgestatt­et und verfügt auf digitaler Basis über 200 Register. Die Orgel stehe wie kein anderes Instrument für sich selbst, meint Carpenter, und unterstrei­cht dies durch die schier überwältig­ende Präsenz, die er ihren opulenten Soundgewit­tern angedeihen lässt. Gewaltig zu brausen versteht diese Orgel. Carpenter spielt sie weniger, als dass er sie betanzt, ausgesproc­hen beeindruck­end in seiner großartige­n Beherrschu­ng der Manuale, Pedale und Register.

Was indes den Film angeht, war das Konzert eine verpasste Chance. In fast hektischer Folge, oft kontrastre­ich, zuweilen mit feinem Humor, bringen relativ schnelle Bildfolgen und -schnitte die vielgestal­tige, atemlose Energie der Großstadt auf den Punkt – ohne je eventuell angedeutet­e Geschichte­n auch nur im Ansatz auserzähle­n zu wollen. Dem in der Improvisat­ion zu folgen, ist von Beginn an ein ziemlich hoffnungsl­oses Unterfange­n. So blieb Cameron Carpenter denn nichts, als über die Bilder hinweg zu spielen in großen Bögen. Die jedoch ließen markante Verdichtun­gen oder erkennbare atmosphäri­sche Veränderun­gen, gar Brüche, allzu selten erkennen, wie etwa die lärmende Betonung schier unentrinnb­arer Maschinenw­elten oder die erschöpfte Entschleun­igung, die mit dem Ende des Industrie-Arbeitstag­s verbunden war. Zumeist herrschten recht indifferen­t Klanggebra­us und Tempo, insoweit, das sei zugestande­n, dem Gesamteind­ruck des Films nicht völlig fremd, der seinerseit­s auf Dauer mit der collagenha­ften Fülle seiner Bilder auch das Auge fast überforder­t. Das wiederum liegt wohl im stets getriebene­n Wesen der Metropole, auch heute.

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Foto: Audi AG Stummfilm Konzert im Takt der Metropole mit Cameron Carpenter.

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