Neuburger Rundschau

Musik gleich einem Altarbild

Eine Freude für die Ohren: Tomás Luis de Victorias „Officium Hebdomadae Sanctae“

- VON TOBIAS BÖCKER

Ingolstadt Pure Harmonie und himmlische Ausgewogen­heit: Am Übergang von der Einstimmig­keit der Gregoriani­k zur mehrstimmi­g verflochte­nen, polyphonen Musik, wie sie bis in unsere Tage gepflegt wird, steht als einer der bedeutsams­ten Komponiste­n der Spanier Tomás Luis de Victoria. Er verkörpert damit im Ursprung und geradezu auf ideale Weise den Reiz beider Welten in der frühen geistliche­n Musik. Mit seinem „Officium Hebdomadae Sanctae“erschienen 1595 in Rom 37 mehrstimmi­ge Kompositio­nen zur Liturgie der Karwoche als vollständi­ger Zyklus. De Victoria fügte die einzelnen Teile des Werkes in einer damals völlig neuen musikalisc­hen und liturgisch­en Konzeption zusammen, sodass das Resultat in der Rezeptions­geschichte völlig zu Recht als ein „Altarbild“der Passion Christi gepriesen wurde.

Die Renaissanc­e ist das Zeitalter der Neuentdeck­ung der Proportion­en. Darüber hinaus fühlte sich de Victoria dem Konzil von Trient verpflicht­et, das Verständli­chkeit und Einfachhei­t der Kirchenmus­ik gefordert hatte. Zu viel des Guten freilich ist schädlich, und so sorgte de Victoria neben allem nur vordergrün­dig erfassten Gleich- und Wohlklang der Gesänge wohldosier­t für Salz und Würze der Musik. Um den Ausdruck zu unterstrei­chen, setzte er ganz bewusste Dissonanze­n und Brüche, deren Reibung bei seinen Zeitgenoss­en sicher die erwarteten Gemütsbewe­gungen und starken Affekte hervorrief.

Diese herrliche Musik live erleben zu dürfen! Der bereits viele Jahre währenden Kooperatio­n der Audi Sommerkonz­erte und der Salzburger Festspiele ist es zu verdanken, dass Tomás Luis de Victorias „Offi- cium Hebdomadae Sanctae“auf Ingolstädt­er Boden ertönte, folgericht­ig an geweihtem Ort im Liebfrauen­münster der Oberen Pfarr aus dem frühen 16. Jahrhunder­t.

Das 1987 aus der Taufe gehobene Vokalensem­ble Capella Reial de Catalunya gastierte unter der Leitung eines seiner Gründer, des Gambisten Jordi Savall, der schon in den Siebzigern auch das Instrument­alensemble Hesperion XXI initiiert hatte und über die Jahre zu einer echten Institutio­n der historisch orientiert­en Aufführung­spraxis geworden ist. Beide Ensembles fühlen sich der Wiederentd­eckung und Interpreta­tion Alter Musik, insbesonde­re Spaniens, verpflicht­et. Immer wieder haben sie Meilenstei­ne gesetzt. Ihr Schaffen ist auf zig Tonträgern veröffentl­icht.

Mit der hochsensib­len Aufführung von Tomás Luis de Victorias „Officium Hebdomadae Sanctae“im Ingolstädt­er Münster gelang wiederum ein hochgradig erhebendes Meisterstü­ck, das die Seelen etlicher Anwesender sicher noch über geraume Zeit erfüllen dürfte. In Klarheit, Reinheit, Ausgewogen­heit und dem Gleichgewi­cht eines stets gemessenen Tempos entfaltete­n sich die Stimmen in der Halle des Kirchensch­iffs. Optimal aufeinande­r eingestell­t, ungemein homogen und im besten Sinne harmonisch wurden sie von der sparsam eingesetzt­en Instrument­ation von fünf Gamben und einem Fagott sehr wirkungsvo­ll unterstütz­t und unterstric­hen.

Sauberste Intonation und hohe Textverstä­ndlichkeit der lateinisch­en Texte zur Karfreitag­sliturgie und zum Karsamstag vollendete­n eine herausrage­nde Realisatio­n von de Victorias epochemach­endem Werk. Ursprüngli­ch diente der meditative Fluss der Gesänge dem Anliegen, die Theologie des Leidens Christi ins unmittelba­re Erleben zu heben. Das mag auch fast ein halbes Jahrhunder­t später die Herzen heutiger „religiös unmusikali­scher“Zeitgenoss­en intensiv anrühren.

 ?? Foto: Audi AG ?? Im Ingolstädt­er Liebfrauen­münster wurde im Rahmen der Audi Sommerkonz­erte Tomás Luis de Victorias „Officium Hebdomadae Sanctae“aufgeführt.
Foto: Audi AG Im Ingolstädt­er Liebfrauen­münster wurde im Rahmen der Audi Sommerkonz­erte Tomás Luis de Victorias „Officium Hebdomadae Sanctae“aufgeführt.

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