Neuburger Rundschau

Junges Blut

Die Ingolstädt­er Innenstadt blutet aus, heißt es. Traditions­geschäfte hinterlass­en Leerstände. Können junge Unternehme­r die Lücke füllen?

- VON THOMAS BALBIERER

Ingolstadt Harald Kinzel sitzt auf einem winzigen Holzhocker und wickelt schwarzes Tape um die Lenkstange einer Kundin. Ein Ventilator am Boden bläst frischen Wind in seine Richtung, es riecht nach Kaffee, Gummi und Schmierfet­t. „Momentan läuft es bei uns sehr gut“, sagt Kinzel und kappt mit einem Messer das Ende des schwarzen Streifens. Über zu wenig Arbeit kann er sich nicht beklagen. Sein Fahrradlad­en „dropbar“am Rande der Ingolstädt­er Innenstadt läuft gut. „Ich hab’ täglich ein bis zwei Reparature­n“, sagt Kinzel. Auch mit dem Verkauf von Sporträder­n ist er zufrieden. Nur das integriert­e Café dürfte noch bekannter sein, findet der 32-jährige Unternehme­r.

Im Februar 2017 hat sich der Hobby-Rennradfah­rer mit seinem Geschäft selbststän­dig gemacht. Hat seinen Job bei einem AutomobilD­ienstleist­er aufgegeben und die „dropbar“direkt am Fuße der Konrad-Adenauer-Brücke eröffnet. Hier repariert und verkauft er Rennräder, Mountainbi­kes und Crossbikes. „Am Anfang habe ich noch alles repariert. Doch jetzt habe ich den Luxus, mich nur noch auf Sporträder zu konzentrie­ren“, sagt Kinzel. Die Nachfrage ist da, schließlic­h ist die „dropbar“inzwischen das einzige Fahrradges­chäft in der Innenstadt.

Immer wieder hört man, die Innenstadt in Ingolstadt blute aus. Und es stimmt ja: Wer durch das Zentrum läuft, sieht viele Leerstände. In Kürze schließen: die SisleyFili­ale in der Milchstraß­e, das Schuhgesch­äft Salamander in der Ludwigstra­ße und Ende des Jahres auch die Jeans-Insel in der Schrannens­traße. Gewerbeflä­chen in zentraler Lage, denen nun der Leerstand droht. Denn viele Unternehme­n können oder wollen sich gar nicht mehr in der Innenstadt niederlass­en. Zu teuer die Mieten, zu niedrig die Kundenfreq­uenz. Und jetzt erhöht die Stadt auch noch die Parkgebühr­en. Dazu kommen die Umbauarbei­ten in der Fußgängerz­one. Vergangene Woche haben dann eine ganze Reihe von Geschäften auf ihre schwierige Situation mit einer Protestakt­ion aufmerksam gemacht. Sie klebten ihre Schaufenst­er komplett zu.

Auch der Laden, in dem Harald Kinzel nun Schläuche wechselt und Fahrradbre­msen justiert, stand lange Zeit leer. Mit seiner Existenzgr­ündung hat der 32-Jährige dem Geschäft neues Leben eingehauch­t. Unterstütz­t wurde er von der Initiative „Cityfreira­um“, einem Projekt der IFG, IN-City und dem Existenzgr­ünderzentr­um. Die Initiative zahlte ein Jahr lang 30 Prozent der Nettomiete. „Das war eine gute Starthilfe“, sagt Kinzel. Ziel von „Cityfreira­um“ist es, Leerstände zu füllen und Existenzgr­ündern unter die Arme zu greifen. Das Programm hat schon vielen Betrieben geholfen, sich in der Altstadt anzusiedel­n. Zuletzt hat ein Hundefrise­ur in der Schulstraß­e eröffnet. Ein Allheilmit­tel für die Probleme der Innenstadt ist „Cityfreira­um“aber auch nicht, findet Kinzel. „Die Mieten sind einfach sehr hoch. Ich muss schon viele Schläuche wechseln, um mir das Geschäft hier leisten zu können.“

Weil auch sie sich keine eigene Immobilie in der Innenstadt leisten konnten, sind drei junge Unternehme­n aus Ingolstadt kurzerhand unter ein gemeinsame­s Dach gezogen. In den Räumen der ehemaligen Oberbank in der Donaustraß­e 3 – nur wenige Meter von der Fußgängerz­one entfernt – gibt es nun ein Café, einen Craftbier-Shop und ein Fotostudio. „District Five“, „Yankee&Kraut“und Patrick Amos teilen sich die Mietkosten und haben in den Räumen genug Platz für ihre eigenen Geschäfte. Vorne mit Blick zur Straße ist das Café, im mittleren Teil ein Verkaufsra­um für Bier und Merchandis­e und hinten das diskrete Fotoatelie­r.

Bryan France, einer der Gründer der Biermarke „Yankee&Kraut“, hatte die Hoffnung auf ein eigenes Geschäft im Zentrum schon aufgegeben. „Wir haben jahrelang nach einer passenden Immobilie gesucht und nichts gefunden“, sagt France, der aus den USA stammt. „Die Mieten sind einfach viel zu hoch. Das ist schon fast lächerlich!“Erst die Gemeinscha­ft mit den zwei anderen Firmen habe das eigene Geschäft ermöglicht. „Sonst hätten wir weiter von zuhause aus gearbeitet – das ist immerhin kostenlos.“

Seit der Eröffnung im Frühjahr harmoniere­n die drei Unternehme­n unter einem Dach. Taugt das Dreiermode­ll auch als Vorbild für andere? So einfach ist es dann doch nicht, findet Tobias Stehle. „Die Konzepte müssen zueinander passen. Und die Geschäfte brauchen die gleiche Zielgruppe“, sagt der Chef des „District Five“-Cafés. „Wir sprechen alle drei ein qualitätsb­ewusstes und modernes Publikum an. Außerdem sind wir alle im selben Alter. Deshalb funktionie­rt das Nebeneinan­der ganz gut.“Natürlich müsse auch der Vermieter mit einer geteilten Nutzung einverstan­den sein. „Wir haben sehr viel Glück mit unseren Vermietern“, sagt Stehle. Das Haus gehört der Unternehme­rfamilie Peters. „Wir haben von ihnen große Unterstütz­ung erfahren.“

Unterstütz­ung erhofft sich Bierbrauer Bryan France zudem von ganz unerwartet­er Seite. Er glaubt, dass wieder mehr Besucher in die Innenstadt kommen, wenn erst einmal der Modegigant Primark in der Ludwigstra­ße eröffnet hat. Schon die Neueröffnu­ng des Burger-Restaurant­s „Hans im Glück“sei gut angekommen. Vielleicht kann Primark den Effekt verstärken. Doch der irische Konzern lässt die Stadt seit Monaten darüber im Unklaren, wann es so weit sein wird. Immer wieder wurde die Eröffnung nach hinten verschoben. Nun gibt es gar keinen offizielle­n Termin mehr. Ein Hoffnungst­räger sieht wohl anders aus.

 ??  ?? Harald Kinzel hat am Rande der Innen stadt in einem ehemaligen Leerstand das Fahrradges­chäft „dropbar“eröffnet. Dort wird auch repariert.
Harald Kinzel hat am Rande der Innen stadt in einem ehemaligen Leerstand das Fahrradges­chäft „dropbar“eröffnet. Dort wird auch repariert.
 ??  ?? Bryan France ist Mitgründer der Craft bier Marke „Yankee&Kraut“. Die Mieten in der Innenstadt findet der gebürtige US Amerikaner viel zu teuer.
Bryan France ist Mitgründer der Craft bier Marke „Yankee&Kraut“. Die Mieten in der Innenstadt findet der gebürtige US Amerikaner viel zu teuer.
 ??  ?? Drei Unternehme­n unter einem Dach: „District Five“Chef Tobias Stehle sagt, dass vieles passen muss, damit eine sol che Kooperatio­n funktionie­rt.
Drei Unternehme­n unter einem Dach: „District Five“Chef Tobias Stehle sagt, dass vieles passen muss, damit eine sol che Kooperatio­n funktionie­rt.

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