Junges Blut
Die Ingolstädter Innenstadt blutet aus, heißt es. Traditionsgeschäfte hinterlassen Leerstände. Können junge Unternehmer die Lücke füllen?
Ingolstadt Harald Kinzel sitzt auf einem winzigen Holzhocker und wickelt schwarzes Tape um die Lenkstange einer Kundin. Ein Ventilator am Boden bläst frischen Wind in seine Richtung, es riecht nach Kaffee, Gummi und Schmierfett. „Momentan läuft es bei uns sehr gut“, sagt Kinzel und kappt mit einem Messer das Ende des schwarzen Streifens. Über zu wenig Arbeit kann er sich nicht beklagen. Sein Fahrradladen „dropbar“am Rande der Ingolstädter Innenstadt läuft gut. „Ich hab’ täglich ein bis zwei Reparaturen“, sagt Kinzel. Auch mit dem Verkauf von Sporträdern ist er zufrieden. Nur das integrierte Café dürfte noch bekannter sein, findet der 32-jährige Unternehmer.
Im Februar 2017 hat sich der Hobby-Rennradfahrer mit seinem Geschäft selbstständig gemacht. Hat seinen Job bei einem AutomobilDienstleister aufgegeben und die „dropbar“direkt am Fuße der Konrad-Adenauer-Brücke eröffnet. Hier repariert und verkauft er Rennräder, Mountainbikes und Crossbikes. „Am Anfang habe ich noch alles repariert. Doch jetzt habe ich den Luxus, mich nur noch auf Sporträder zu konzentrieren“, sagt Kinzel. Die Nachfrage ist da, schließlich ist die „dropbar“inzwischen das einzige Fahrradgeschäft in der Innenstadt.
Immer wieder hört man, die Innenstadt in Ingolstadt blute aus. Und es stimmt ja: Wer durch das Zentrum läuft, sieht viele Leerstände. In Kürze schließen: die SisleyFiliale in der Milchstraße, das Schuhgeschäft Salamander in der Ludwigstraße und Ende des Jahres auch die Jeans-Insel in der Schrannenstraße. Gewerbeflächen in zentraler Lage, denen nun der Leerstand droht. Denn viele Unternehmen können oder wollen sich gar nicht mehr in der Innenstadt niederlassen. Zu teuer die Mieten, zu niedrig die Kundenfrequenz. Und jetzt erhöht die Stadt auch noch die Parkgebühren. Dazu kommen die Umbauarbeiten in der Fußgängerzone. Vergangene Woche haben dann eine ganze Reihe von Geschäften auf ihre schwierige Situation mit einer Protestaktion aufmerksam gemacht. Sie klebten ihre Schaufenster komplett zu.
Auch der Laden, in dem Harald Kinzel nun Schläuche wechselt und Fahrradbremsen justiert, stand lange Zeit leer. Mit seiner Existenzgründung hat der 32-Jährige dem Geschäft neues Leben eingehaucht. Unterstützt wurde er von der Initiative „Cityfreiraum“, einem Projekt der IFG, IN-City und dem Existenzgründerzentrum. Die Initiative zahlte ein Jahr lang 30 Prozent der Nettomiete. „Das war eine gute Starthilfe“, sagt Kinzel. Ziel von „Cityfreiraum“ist es, Leerstände zu füllen und Existenzgründern unter die Arme zu greifen. Das Programm hat schon vielen Betrieben geholfen, sich in der Altstadt anzusiedeln. Zuletzt hat ein Hundefriseur in der Schulstraße eröffnet. Ein Allheilmittel für die Probleme der Innenstadt ist „Cityfreiraum“aber auch nicht, findet Kinzel. „Die Mieten sind einfach sehr hoch. Ich muss schon viele Schläuche wechseln, um mir das Geschäft hier leisten zu können.“
Weil auch sie sich keine eigene Immobilie in der Innenstadt leisten konnten, sind drei junge Unternehmen aus Ingolstadt kurzerhand unter ein gemeinsames Dach gezogen. In den Räumen der ehemaligen Oberbank in der Donaustraße 3 – nur wenige Meter von der Fußgängerzone entfernt – gibt es nun ein Café, einen Craftbier-Shop und ein Fotostudio. „District Five“, „Yankee&Kraut“und Patrick Amos teilen sich die Mietkosten und haben in den Räumen genug Platz für ihre eigenen Geschäfte. Vorne mit Blick zur Straße ist das Café, im mittleren Teil ein Verkaufsraum für Bier und Merchandise und hinten das diskrete Fotoatelier.
Bryan France, einer der Gründer der Biermarke „Yankee&Kraut“, hatte die Hoffnung auf ein eigenes Geschäft im Zentrum schon aufgegeben. „Wir haben jahrelang nach einer passenden Immobilie gesucht und nichts gefunden“, sagt France, der aus den USA stammt. „Die Mieten sind einfach viel zu hoch. Das ist schon fast lächerlich!“Erst die Gemeinschaft mit den zwei anderen Firmen habe das eigene Geschäft ermöglicht. „Sonst hätten wir weiter von zuhause aus gearbeitet – das ist immerhin kostenlos.“
Seit der Eröffnung im Frühjahr harmonieren die drei Unternehmen unter einem Dach. Taugt das Dreiermodell auch als Vorbild für andere? So einfach ist es dann doch nicht, findet Tobias Stehle. „Die Konzepte müssen zueinander passen. Und die Geschäfte brauchen die gleiche Zielgruppe“, sagt der Chef des „District Five“-Cafés. „Wir sprechen alle drei ein qualitätsbewusstes und modernes Publikum an. Außerdem sind wir alle im selben Alter. Deshalb funktioniert das Nebeneinander ganz gut.“Natürlich müsse auch der Vermieter mit einer geteilten Nutzung einverstanden sein. „Wir haben sehr viel Glück mit unseren Vermietern“, sagt Stehle. Das Haus gehört der Unternehmerfamilie Peters. „Wir haben von ihnen große Unterstützung erfahren.“
Unterstützung erhofft sich Bierbrauer Bryan France zudem von ganz unerwarteter Seite. Er glaubt, dass wieder mehr Besucher in die Innenstadt kommen, wenn erst einmal der Modegigant Primark in der Ludwigstraße eröffnet hat. Schon die Neueröffnung des Burger-Restaurants „Hans im Glück“sei gut angekommen. Vielleicht kann Primark den Effekt verstärken. Doch der irische Konzern lässt die Stadt seit Monaten darüber im Unklaren, wann es so weit sein wird. Immer wieder wurde die Eröffnung nach hinten verschoben. Nun gibt es gar keinen offiziellen Termin mehr. Ein Hoffnungsträger sieht wohl anders aus.