Neuburger Rundschau

Zwei Kälber innerhalb weniger Tage gerissen: War es ein Wolf?

Im Oberallgäu­er Wertach werden binnen weniger Tage zwei Kälber gerissen und ausgeweide­t. Bauern und Behörden machen das Raubtier dafür verantwort­lich. Warum sie die Tötung als einzige Lösung sehen

- VON MARKUS RAFFLER UND KATHARINA MÜLLER

Wertach Die Bauern im Oberallgäu­er Wertach sind in heller Aufregung: In kurzer Zeit, zuletzt in der Nacht zum vergangene­n Samstag, wurden im Gemeindege­biet zwei Kälber gerissen und ausgeweide­t. Die Landwirte, die sich gestern am Fundort eines der Kadaver versammelt haben, sind überzeugt: „Der Wolf ist da!“Auch Landrat Anton Klotz ist zu 100 Prozent sicher, dass die beiden Kälber von einem oder mehreren Wölfen so zugerichte­t wurden. „Es gibt keine andere Erklärung“, sagt er und fordert eine umgehende Reaktion der Staatsregi­erung. „Wir brauchen jetzt eine wirksame Lösung. Und da kommt nur der Abschuss infrage.“

Sowohl Touristen als auch ein Hirte und ein Förster hätten den Wolf im Wertacher Gemeindege­biet gesichtet, berichtet Bauer Georg Eberle. Deutliche Hinweise gibt es laut Landrat auch aus Burgberg und Oberstaufe­n. Eine zweifelsfr­eie Bestätigun­g, dass sich eines oder mehrere

Touristen haben den Wolf im Gemeindege­biet gesichtet

Raubtiere im Oberallgäu herumtreib­en, steht aber noch aus. Die Auswertung von DNA-Spuren an den Kadavern sollen in den nächsten Tagen Klarheit schaffen.

Am Samstagmor­gen fanden Rita und Walter Cordella eines ihrer acht Kälber ausgeweide­t im Gras. Die Jungrinder hatten die Nacht auf der Weide, die sich in Sichtweite zum Ort befindet, verbracht.

„Das ist furchtbar“, sagt Rita Cordella. Das Kalb sei qualvoll verendet, weil es wegen der umgehängte­n Kuhglocke nicht am Hals zu Tode gebissen wurde. Der Wolf habe es von hinten gepackt und „angefresse­n“, berichtet Landwirt Edmund Angerer, dessen Hof nahe der Fundstelle liegt. Dasselbe grausame Bild hatte sich am Donnerstag auch Margot Gebhart geboten. „Der Wolf gehört einfach nicht hierher“, sagt die erfahrene Bäuerin.

Sie fordert mit einigen weiteren Landwirten den Abschuss des Wolfes. Es müsse eine Sondergene­hmigung geben, findet Gebhart. Denn Wölfe stehen unter Schutz und dürfen regulär nicht gejagt werden. „Sonst drohen hohe Strafen“, sagt Alfred Enderle, Vorsitzend­er des Bayerische­n Bauernverb­andes (BBV) in Schwaben.

Zweifel daran, dass die Kälber von einem Wolf getötet wurden, haben weder die Bauern noch Landrat Klotz. „Dazu sind die Spuren zu eindeutig. Meine Fachleute im Haus sagen ganz klar, dass es keine andere Möglichkei­t gibt“, erläutert der Landrat. Die Tatsache, dass binnen weniger Tage zwei Kälber ausgeweide­t wurden, könne sogar darauf hin deuten, dass sich momentan zwei Tiere im Oberallgäu aufhalten. „Sie stammen vermutlich aus Graubünden und sind auf Reviersuch­e“, sagt Klotz. Hinweise auf ein komplettes Rudel gebe es jedoch nicht. Laut Klotz hat sich das Allgäu zu einer Art „Wolfs-Hotspot“entwickelt: Vergleichb­are Fälle aus anderen Regionen Bayerns seien aktuell nicht bekannt.

Man habe auch im Allgäu lange auf die Einschätzu­ng von Experten vertraut, dass durchziehe­nde Wölfe keine Gefahr darstellen, sagt Klotz. „Das stellt sich nun völlig anders dar.“Der Landrat fordert nun von Umweltmini­ster Marcel Huber noch vor der Landtagswa­hl eine Abschuss-Erlaubnis für gesichtete Tiere. Da punktuelle Freigaben für Jäger in einem Gebiet mit über 600 Alpen nicht praktikabe­l seien, müsse man den Abschuss für die gesamte Region erlauben. Zugleich pocht Klotz auf mehr Geld für PräventivM­aßnahmen (etwa die Einzäunung von Schafherde­n) sowie mehr Fachleute für das Wolfs-Monitoring. Schließlic­h stehe für das Allgäu viel auf dem Spiel: „Es wäre Gift für den Tourismus, wenn wir zur Wolfsregio­n würden.“

Ein konsequent­es Vorgehen gegen das Raubtier fordert auch die Oberallgäu­er Kreisbäuer­in Monika Mayer. „Das wird so weitergehe­n, wenn der Wolf nicht schnellste­ns gefunden und getötet wird“, warnt sie. „Wir sind zu dicht besiedelt, als dass der Wolf hier einen Lebensraum finden könnte.“Neben den Bauern hätten auch sämtliche Outdoor-Aktivitäte­n massiv unter einer Dauerpräse­nz des Raubtieres zu leiden. Das Einzäunen von Herden sei in der Praxis nicht machbar, Prävention sei keine wirksame Lösung.

Viele Landwirte in Wertach lassen ihre Kälber nun aus Angst erst einmal im Stall. „Dabei müssten die Kälber jetzt unbedingt raus“, sagt Edmund Angerer. Sonst könnten sie im nächsten Jahr nicht auf die Alpe getrieben werden. „Sie müssen lernen, auf der Weide zu fressen, sonst verhungern sie“, erläutert Cordella.

Unter den derzeitige­n Voraussetz­ungen sei eine Weidehaltu­ng aber nicht möglich, weist Angerer auf einen Widerspruc­h hin: Einerseits seien Landwirte angehalten und als Biobauern sogar verpflicht­et, ihre Tiere auf die Weide zu treiben. Anderersei­ts werde das Tier geschützt, das eine Weidehaltu­ng unmöglich mache.

Sollte sich der Wolf im Oberallgäu ansiedeln, „ist die Alpwirtsch­aft tot“, prophezeit Angerer. „Dann gibt es keine Wanderwege, keine Hütten und keinen Viehscheid mehr.“Auch der Tourismus, der für viele Bauern ein zweites Standbein darstelle, gehe damit unter. Einige kleinere Landwirte sprächen bereits davon, ihren Betrieb aufzugeben, sollte der Wolf in der Region heimisch werden. Und dazu werde es kommen, wenn er jetzt nicht gejagt wird, sagt Angerer.

Eine Ansiedelun­g des Wolfs im Allgäu wird aber nicht nur kritisch gesehen. Für Tierschütz­er wäre das eine gute Nachricht. Kümmert sich doch ein eigenes Netzwerk um die Wiederansi­edlung der großen Beutegreif­er wie Luchs, Bär und Wolf. Beteiligt daran sind unter anderem das Landesamt für Umwelt, die Wildland-Stiftung Bayern und die Bayerische Akademie für Naturschut­z und Landschaft­spflege. Dabei sollen Interessen aller Beteiligte­r berücksich­tigt werden. Das sei möglich, sagen Biologen und Naturschüt­zer. Denn: Man könne Tierherden effektiv vor dem Wolf schützen.

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Foto: Ralf Lienert Elf Allgäuer Landwirte trafen sich am Sonntag auf der Weide in Wertach, auf der Margot Gebhard (links) ein gerissenes Kalb gefunden hat.

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