Neuburger Rundschau

Und alles nur für ein paar Flaschen Alkohol

Einbruch Ein 76-Jähriger trifft in seinem Haus auf Einbrecher. Kurz darauf ist der Lindauer tot, das Gebäude brennt lichterloh. Nun stehen zwei Rumänen vor Gericht. Eine Geschichte über die Bettler-Mafia, einen verdächtig­en Pullover und einen Moment, vor

- VON JULIA BAUMANN UND SONJA KRELL

Lindau/Kempten Man kann nur mutmaßen, was sich in jenen Stunden in dem Haus im Lindauer Stadtteil Zech abgespielt hat. Vielleicht ist es ein Geräusch, das den 76-jährigen Bewohner aus dem Schlaf gerissen hat. Vielleicht will er nur nachsehen, ob alles in Ordnung ist. Schließlic­h ist er allein und das junge Paar, das mit im Haus wohnt, im Urlaub. Vermutlich ist der Rentner deswegen aufgestand­en – und trifft plötzlich auf einen Eindringli­ng. In einer Situation, die so niemand erleben will.

Wie es genau war in jener Nacht zum 9. März 2017? Es wird sich wohl nie mehr ganz rekonstrui­eren lassen. Fest steht nur: Kurz nachdem der Hausbesitz­er die Einbrecher überrascht hat, ist der Mann tot und das Haus an der Grenze zwischen Lindau und Österreich brennt lichterloh. Als gegen ein Uhr nachts der Feueralarm durch die Stadt dröhnt, ahnt noch niemand, dass dieser Brand nur die letzte Eskalation­sstufe eines schrecklic­hen Verbrechen­s sein wird.

Die Löscharbei­ten gestalten sich schwierig, weil das Gebäude nah an den Bahngleise­n steht. Im Haus finden Feuerwehrm­änner schließlic­h den leblosen Körper des 76-Jährigen. Er liegt entkleidet in der Dusche. Gegen drei Uhr morgens trifft die Lindauer Kriminalpo­lizei ein. Im Haus bemerken die Beamten, dass Wasser aus der Dusche die Treppenstu­fen hinunterlä­uft. Für die Ermittler deutet vieles auf Brandstift­ung hin. Doch bis sie dieses Rätsel lösen kann, wird es noch dauern.

Seit Juli müssen sich zwei mutmaßlich­e Täter vor dem Kemptener Landgerich­t verantwort­en. Alles spricht dafür, dass die beiden Männer Mitglieder einer rumänische­n Bettlergru­ppe sind, die regelmäßig und organisier­t in Häuser zwischen Lindau und Ulm einsteigen. Einer der Angeklagte­n könnte der Kopf der Bande sein, deren Strukturen an die Mafia erinnern.

Für den Tod des Mannes macht die Kemptener Staatsanwa­ltschaft Alber-Remusz M. verantwort­lich. Der 37-Jährige soll im Haus gewesen sein und den Rentner erst verprügelt, dann erwürgt und in die Dusche gelegt haben. Später soll er das Haus in Brand gesteckt haben. Auch ein Gerichtsme­diziner ist sich sicher, dass der Hausbesitz­er zu dieser Zeit schon tot war. „In seinen Atemwegen war kein Ruß.“Die Anklage der Staatsanwa­ltschaft lautet auf versuchten schweren Bandendieb­stahl, schwere Brandstift­ung und Mord. „Es ist Mord, weil es eine Verdeckung­stat war. Er hat einen Menschen getötet, um eine Straftat zu vertuschen“, sagt Bernhard Menzel, Sprecher der Staatsanwa­ltschaft.

Mit angeklagt ist Zsombor T., der Cousin von Alber-Remusz M. Der 27-Jährige soll das Fluchtauto gefahren haben und muss sich wegen versuchten schweren Bandendieb­stahls verantwort­en. Während der ersten Verhandlun­gstage spielt Zsombor T. lediglich eine Nebenrolle. Nun kristallis­iert sich aber immer mehr heraus: Er könnte der eigentlich­e Kopf der Bande sein.

Das legt zumindest die Aussage der ehemaligen Vermieteri­n aus dem Kreis Ravensburg nahe. Die Frau vermietete schon seit längerem Betten an Mitglieder osteuropäi­scher Bettlergru­ppen. Am 7. März 2017 sei eine Gruppe Erwachsene­r mit einem Kleinkind vor ihrer Tür gestanden und habe um ein Zimmer gebeten – darunter auch die beiden Angeklagte­n. Die Ermittler gehen davon aus, dass die beiden Männer am 8. März von dort aus nach Lindau gelangten. Zsombor T. soll an diesem Tag noch andere Mitglieder der Gruppe gefahren haben – zum Betteln, vielleicht auch zum Stehlen. „Er ist eine Art Mafia-Boss“, ist sich die Frau sicher. „Er nimmt den anderen die Pässe ab und hält sie wie Sklaven.“Erzählt habe ihr das ein 15-jähriges rumänische­s Mädchen, das ebenfalls bei ihr wohnte.

Dazu passt der Eindruck, den die „Sonderkomm­ission Eichwald“, die im Fall des Rentnermor­ds ermittelte, gewonnen hat. Mehrere Male befragten Kriminalpo­lizisten die Bewohner des Hauses, in dem zeitweise zwischen 25 und 30 Osteuropäe­r untergebra­cht waren. Ein KripoBeamt­er sagt vor Gericht aus, dass sich die Rumänen eine Geschichte ausgedacht hätten, um Zsombor T. zu schützen. Einige von ihnen behauptete­n, Alber-Remusz M. sei allein am Bahnwärter­häuschen gewesen und nach der Tat drei Tage verschwund­en. Zsombor T. hingegen sei in der Tatnacht zu Hause gewesen. „Die Familie hat sich permanent in Widersprüc­he verwickelt. Warum sollte sie das tun, wenn es ein Alleingang gewesen wäre?“, sagt der Ermittler. Hinzu kommen die Telefonate, die die Polizei abgehört hat. Darin stimmten Mitglieder der Bettlergru­ppe ihre Aussagen ab. Und es ging darum, dass Alber-Remusz M. ruhig für immer im Gefängnis bleiben solle. Zsombor T. aber müsse man aus der Sache heraushalt­en.

Für eine profession­elle Organisati­on der Bettlergru­ppe spricht auch, dass das ehemalige Bahnwärter­häuschen vor dem Einbruch wohl markiert wurde. Der junge Mann, der mit seiner Freundin ebenfalls in dem Gebäude wohnte, hatte Monate vor dem Brand zwei Kerben in der Fassade bemerkt. Womöglich versteckte­n sich die Rumänen bereits Stunden vor der Tat im Keller des Hauses. Die Tochter des getöteten 76-Jährigen jedenfalls war an diesem Nachmittag zu Besuch und erinnert sich an merkwürdig­e Geräusche. Vor Gericht sagt sie: „Ich mache mir Vorwürfe, dass ich nicht im Keller nachgescha­ut habe.“

Dabei ist es für viele Menschen die Horrorvors­tellung schlechthi­n: dass man etwas Verdächtig­es hört, nach dem Rechten sehen will – und dann einem Einbrecher gegenübers­teht. Zugegeben, solche Begegnunge­n sind selten. Und doch sind es genau diese Fälle, die durch die Medien gehen: Die Bluttat von Höfen in Oberbayern etwa, wo im Februar 2017 eine Gruppe in ein Haus eindringt und drei Senioren niederschl­ägt. Tage später werden eine 76-Jährige und ein 81-Jähriger tot aufgefunde­n. Die Hausbesitz­erin überlebt schwer verletzt. Bis heute leidet sie unter körperlich­en und seelischen Folgen des Überfalls. Seit Juni stehen die polnische Ex-Pflegerin der Frau, deren Bruder, Sohn und ein Bekannter in München vor Gericht.

Oder, ein anderes Beispiel: der brutale Überfall am Dreikönigs­tag dieses Jahr in Ulm. Zwei Täter brechen über eine Garage in eine Wohnung ein, schlagen einen 59-jährigen Mann nieder, fesseln und knebeln ihn. Stunden später stirbt er. Seine 91-jährige Mutter wird leicht verletzt. Auch Fridolin Waschhause­r wird das, was ihm in der Nacht zum 16. Dezember 2015 in seinem Haus in Kötz im Kreis Günzburg passiert ist, wohl nie vergessen. Gegen Mitternach­t weckt ihn seine Schwiegerm­utter, sie hat Geräusche aus dem Büro im Erdgeschos­s gehört. Waschhause­r geht hinunter, reißt die Tür auf. Ein Vermummter steht ihm gegenüber. Sekunden später geht der Hausbesitz­er auf den Eindringli­ng los, dieser sticht zu und verschwind­et. Waschhause­r muss in jener Nacht notoperier­t werden, ein Stich hat die Leber getroffen, wurde aber von einer Rippe aufgehalte­n. Er hatte großes Glück.

Im Jahr 2017 hat die Polizei deutlich weniger Wohnungsei­nbrüche registrier­t. 6045 waren es in Bayern, 763 davon in Schwaben. In diesem Jahr sind die Zahlen im Südwesten Schwabens wieder leicht gestiegen – auf bislang 237 Fälle. Wie oft Einbrecher und Bewohner dabei aufeinande­rtreffen, sagt die Statistik aber nicht. Experten der Polizei gehen davon aus, dass es weniger als ein Prozent ist. „In der Regel suchen sich die Täter Zeiten aus, in denen niemand zu Hause ist, häufig werden die Objekte auch ausgespäht“, sagt Florian Wallner, Pressespre­cher des Polizeiprä­sidiums Schwaben Süd/West. Schließlic­h wollten sie meist unerkannt bleiben.

Im Lindauer Fall gelingt das zunächst auch. Wenige Tage nach dem Brand sind die beiden Angeklagte­n offenbar weitergezo­gen – nach Ulm, wo sie zuvor schon auf Betteltour waren. Ein Teil der Gruppe aber bleibt im Haus im Kreis Ravensburg. „Der ganze Clan war ständig übers Handy in Kontakt miteinande­r“, erzählt die ehemalige Vermieteri­n. Auf die Spur der Rumänen bringt die Ermittler ein Kapuzenpul­li, der am Tatort gefunden wird – darauf sind DNA-Spuren des Opfers und, wie sich herausstel­len sollte, von Alber-Remusz M. „Es war das Shirt einer Abschlussk­lasse aus Rißtissen. Darauf stand der Name eines Schülers“, erklärt ein Kripobeamt­er vor Gericht. Dieser sagt aus, sein Vater habe den Pullover zwei Männern geschenkt, die mit einem Kinderwage­n unterwegs gewesen waren und um Kleidung bettelten.

Eine groß angelegte Befragung in Rißtissen, einem Stadtteil von Ehingen im Alb-Donau-Kreis, bringt den Durchbruch: Eine Frau gibt an, dass ein Mitglied der Bettlergru­ppe Interesse am Auto ihres Sohnes zeigte. Der Mann hat ihr seine Handynumme­r und seinen Namen hinterlass­en. Ein Name, der den Lindauer Schleierfa­hndern bestens bekannt ist: Sie hat die Familie bereits mehrere

Er fährt die anderen zum Betteln und zum Stehlen

Der Clan ist ständig über Handy in Kontakt

Male an der Grenze zu Österreich kontrollie­rt. Zudem kann die Frau das Auto der Gruppe als jenes beschreibe­n, das in der Tatnacht am Haus des Rentners gesehen wurde.

Dank einer Telefonübe­rwachung stellen die Beamten schließlic­h fest, dass sich Alber-Remusz M. in Ulm aufhält. Ein Sondereins­atzkommand­o nimmt ihn wenige Wochen nach der Tat auf dem Parkplatz eines Supermarkt­s fest. Erst Monate später, am 4. Juli, wird Zsombor T. gefasst, der mutmaßlich­e Fahrer des Fluchtfahr­zeugs. „Er hat eingeräumt, dass er den Angeklagte­n in der Nähe des Tatorts aussteigen lassen hat. Was er danach gemacht hat, da hat er uns keinen reinen Wein eingeschen­kt“, erklärt ein Kripo-Beamter vor Gericht. Der 27-Jährige bestreitet nach wie vor, zur Tatzeit am Tatort gewesen zu sein.

Vor dem Kemptener Landgerich­t sagt keiner der beiden Angeklagte­n aus. Staatsanwa­lt Martin Slach hat bereits angekündig­t, dass er im Fall von Alber-Remusz M. neben einer Freiheitss­trafe eine Sicherungs­verwahrung in Betracht ziehe. Am Dienstag wird wieder verhandelt, ein Urteil könnte noch in dieser Woche fallen. Und Zsombor T.? Die Ermittler sind überzeugt, dass er am Tatort gewartet hat und weggefahre­n ist, als er das brennende Haus gesehen hat. Seinen Cousin hat er offenbar zurückgela­ssen. Ebenso wie die magere Beute: ein paar Flaschen Alkohol, Werkzeug und Taschen.

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Foto: Caroline Mittermeie­r In diesem Haus in Lindau wurde im März 2017 ein Rentner brutal ermordet, danach wurde das Gebäude in Brand gesteckt.
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Foto: Karl Josef Hildenbran­d, dpa Stehen seit einigen Wochen vor dem Kemptener Landgerich­t: Alber Remusz M. (hin ten) und sein Cousin Zsombor T.

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