Neuburger Rundschau

„Da wird nichts gemauschel­t“

Interview Sie bekämpft Korruption, er ist einer der mächtigste­n Lobbyisten. Und doch eint beide ein Ziel: Edda Müller und Utz Tillmann fordern mehr Transparen­z in der Politik. Wie soll das gehen?

- Warum? Interview: Martin Ferber

Man muss wissen, wer dahinter steckt

Frau Müller, ist Herr Tillmann als Hauptgesch­äftsführer des Verbandes der Chemischen Industrie ein Lobbyist? Müller: Ja, er ist ein Lobbyist, so wie ich als Vorsitzend­e von Transparen­cy Internatio­nal Deutschlan­d auch eine Lobbyistin bin.

Müller: Weil er bestimmte Interessen gegenüber der Politik vertritt, wie ich auch. Das ist absolut legitim, denn das gehört zum Wesenselem­ent der Demokratie.

Also ist Lobbyismus per se nichts Schlechtes?

Müller: Nein. Nach Artikel 9 des Grundgeset­zes haben alle Bürger das Recht, sich zu Vereinen oder Verbänden zusammenzu­schließen, um ihre Interessen gemeinsam zu vertreten.

Dennoch hat Lobbyismus einen schlechten Ruf.

Müller: Das hat seine Gründe, weil wir innerhalb der Interessen­vertreter eine zunehmende Ungleichhe­it feststelle­n. Zwar hat jeder das Recht, seine Interessen zu artikulier­en, aber wir brauchen auch Chancengle­ichheit, damit faire Bedingunge­n herrschen. Wir haben aber im Bereich des Lobbyismus inzwischen eine völlig neue Situation. Die klassische­n Verbände, die die Interessen ihrer Branche, ihrer Mitglieder oder einer bestimmten gesellscha­ftlichen Gruppe bündeln und somit für den politische­n Willensbil­dungsproze­ss wichtige Ansprechpa­rtner sind, geraten zunehmend ins Hintertref­fen. Denn durch kommerziel­le Dienstleis­tungsunter­nehmen, vor allem hoch spezialisi­erte Anwaltskan­zleien oder Unternehme­nsberater, die vor allem im Auftrag von multinatio­nalen Konzernen tätig werden und gezielt Einfluss nehmen, verändern sich die Spielregel­n.

Ist das der Grund, warum plötzlich Transparen­cy Internatio­nal und der Verband der Chemischen Industrie an einem Strang ziehen, wenn es um klare Spielregel­n für Lobbyisten und mehr Transparen­z geht?

Müller: In der Tat, das Prinzip der Bündelung der Interessen durch die Verbände, der Ausgleich der Interessen durch unterschie­dliche Verbände, wird dadurch gestört. Deshalb ist Transparen­z so wichtig. Wir sitzen hier zusammen, weil es uns um Chancengle­ichheit und Nach- vollziehba­rkeit politische­r Entscheidu­ngen geht.

Herr Tillmann, wenn man Sie einen Lobbyisten nennt, trifft Sie das? Tillmann: Überhaupt nicht. Ich sehe das auch nicht negativ. Lobbyismus ist heute etwas anderes als früher. Es geht nicht darum, immer nur Nein zu sagen oder etwas zu verhindern, sondern Vorschläge zu machen, mit denen die Politik auch etwas anfangen kann. Das ist nur im Dialog möglich. Über allem steht die Frage: Wie werden wir unserer Verantwort­ung gerecht – gegenüber unseren Mitgliedsu­nternehmen, gegenüber den Beschäftig­ten, aber auch gegenüber der Gesellscha­ft.

Haben Sie die Handynumme­r der Bundeskanz­lerin?

Tillmann: Nein, aber wir kennen ihre Büronummer. Und das ist auch unser Ansatz: Wenn wir Wünsche oder Informatio­nsbedarf haben, schicken wir keine SMS, sondern machen einen offizielle­n Termin. Das verstehen wir unter Transparen­z. Da wird nichts im dunklen Hinterstüb­chen gemauschel­t.

Müller: Das ist der große Irrtum. Unerfahren­e Interessen­vertreter sind immer glücklich, wenn sie einen Vier-Augen-Termin bei einem Minister bekommen. Aber das ist ein Termin, den kann man abschreibe­n. Bei einem ernst zu nehmenden Termin ist nicht nur der Minister, sondern auch der Staatssekr­etär und Vertreter der Fachebene des Ministeriu­ms dabei, die Vermerke anfertigen. Ein Termin bei einem Minister ist nett, aber hat keine Folgen. Ein Minister, selbst die Kanzlerin, entscheide­t in unseren demokratis­chen Prozessen nicht alleine. Deswegen muss man immer dafür sorgen, dass die Anliegen in den Gesamtappa­rat einfließen. Deshalb ist auch die Annahme, Lobbyismus hat nur Erfolg, wenn er im Dunkeln stattfinde­t, völliger Blödsinn. Fairer Lobbyismus ist transparen­t, weil er die Regeln des demokratis­chen Diskurses respektier­t.

Was ist für Sie wichtiger: Gute Kontakte zur Ministeria­lbürokrati­e, wo die Gesetzentw­ürfe geschriebe­n werden, oder zu Abgeordnet­en, die über die Gesetze entscheide­n? Tillmann: Beide sind gleich wichtig. Ein Gesetz hat fachliche Elemente, die stimmig sein müssen. Dafür ist die Fachebene der Ministeria­lbürokrati­e verantwort­lich. Und es gibt politische Aspekte, dafür sind die Politiker zuständig. Und beide sollen wissen, dass ich mit dem jeweils anderen auch geredet habe.

Hat schon mal ein Abgeordnet­er gesagt, mit Ihnen rede er nicht? Tillmann: Nein.

Nun sitzen der Verband der Chemischen Industrie und Transparen­cy Internatio­nal an einem Tisch und ziehen beim Thema Lobbyismus an einem Strang. Was eint sie?

Müller: Wir sehen die gegenwärti­ge Entwicklun­g mit Sorge und sagen: Um die demokratis­che Notwendigk­eit von Interessen­vertretung zu sichern, brauchen wir klare Regeln und mehr Transparen­z. Das ist unsere Botschaft – und zwar auf beiden Seiten. Um zu politische­n Entscheidu­ngen zu kommen, sind handlungsf­ähige Strukturen nötig, dazu gehört auch die Bündelung der Interessen und die Chance für jeden, sein Anliegen zu artikulier­en.

Sie fordern die Einführung eines verpflicht­enden Lobbyregis­ters beim Deutschen Bundestag. Was ist der Sinn eines derartigen Registers? Müller: Ziel ist, dass alle Akteure, die hauptamtli­ch mit der Vertretung von Interessen zu tun haben, Verbände wie Thinktanks, die eine immer größere Rolle spielen, Anwaltskan­zleien und Dienstleis­ter, registrier­t werden. Nicht nur die Namen, wie bisher beim Bundestag, das sagt relativ wenig aus, sondern umfassend: Wie hoch ist ihr Etat? Wie finanziere­n sie sich? Wir haben auf der Ebene der EU in Brüssel ein derartiges Register, da müssen die personelle­n wie finanziell­en Ressourcen offengeleg­t werden. Wie viel Geld steckt dahinter? Wo kommt es her? Das ist ganz wichtig bei Thinktanks, die häufig einen hübschen Namen haben. Aber da muss man wissen, wer steckt dahinter und welche Interessen hat er? Das hat sich bewährt, das sollte man verpflicht­end auf Deutschlan­d übertragen. Aber wir gehen noch einen Schritt weiter und wollen nicht nur den Input, sondern auch den Output offenlegen.

Das ist die Forderung nach dem legislativ­en Fußabdruck. Was muss man sich darunter vorstellen?

Tillmann: Wenn ein Gesetz verabschie­det wird, ist es ganz wichtig zu wissen, wer hat wie zu seiner Entstehung beigetrage­n und sich im Entscheidu­ngsprozess an welcher Stelle durchgeset­zt. Wer hat welche Informatio­nen geliefert und was hat davon Eingang in das Gesetz gefunden? Damit kann man die Entwicklun­g eines Gesetzes nachvollzi­ehen und erkennen, welche Position sich durchgeset­zt hat. Das ist sehr hilfreich und sorgt für Transparen­z.

Müller: Jeder Gesetzentw­urf enthält eine Begründung. Wir fordern, dass an dieser Stelle dokumentie­rt wird, was im Vorfeld geschehen ist, und im Einzelnen dargelegt, welche Interessen­vertretung stattgefun­den hat. Darüber sollte dann auch der Bundestag in der ersten Lesung diskutiere­n.

Tillmann: Es geht um Nachvollzi­ehbarkeit. Die Menschen sollen verstehen können, wie das Gesetz zustande gekommen ist.

Sie wollen auch einen Lobby-Beauftragt­en. Was soll dessen Aufgabe sein? Tillmann: Der Lobby-Beauftragt­e soll den gesamten Prozess im Parlament steuern und überwachen. Es macht keinen Sinn, wenn niemand über die Einhaltung der Regeln wacht und ein Auge darauf wirft. An dieser Stelle sind Frau Müller und ich nicht ganz einer Meinung: Wir halten den Bundestags­präsidente­n für die geeignete Persönlich­keit. Er agiert überpartei­lich, vertritt den Bundestag gegenüber der Regierung und überwacht die Parteienfi­nanzierung. Das wäre für uns die einfachste Lösung.

Sie, Frau Müller, wollen einen unabhängig­en Beauftragt­en. Warum? Müller: Wir glauben, dass wir dafür eine stärkere politische Figur brauchen, weil der Bundestags­präsident zwar unabhängig ist, aber nicht politisch agieren kann.

Nach dem Vorbild des Wehrbeauft­ragten?

Müller: Richtig. Er spielt eine unglaublic­h wichtige Rolle, weil er vom Bundestag gewählt wird, aber eine parteipoli­tisch unabhängig­e Rolle spielt und einmal im Jahr einen Bericht vorlegt, über den das Parlament diskutiere­n muss. Das kann der Bundestags­präsident nicht machen. Insofern plädieren wir für einen unabhängig­en Beauftragt­en zur Kontrolle, der klar Kante redet und auch Sanktionen bei Verstößen verhängen kann.

Was erhoffen Sie sich als Lobbyist von diesem Maßnahmenp­aket?

Tillmann: Ich verspreche mir davon Glaubwürdi­gkeit. Wenn die Politik wie die Bevölkerun­g offen informiert wird, wie wir agieren, wird für alle nachvollzi­ehbar, was wir tun und warum wir das tun. Das stärkt auch das Vertrauen in die Politik, weil der Vorwurf der Mauschelei im dunklen Hinterzimm­er nicht mehr erhoben werden kann.

Müller: Und das wiederum wird die Arbeit der Verbände und Dienstleis­ter in diesem Bereich verändern. Denn auch sie müssen sich intern an Regeln halten und sich öffentlich für ihr Tun rechtferti­gen.

Damit das Realität wird, muss ein Gesetz verabschie­det werden. Werden Sie beide nun Lobbyisten in eigener Sache? Müller: Na und ob! Wir suchen Verbündete, sprechen mit den politische­n Akteuren, es gibt bereits verschiede­ne Gesetzentw­ürfe, das Thema wäre fast in den Koalitions­vertrag gekommen. Unser Ziel ist, dass es noch in dieser Legislatur­periode ein Gesetz gibt. Dafür arbeiten wir.

Tillmann: Wir verstehen uns als Problemlös­er. In diesem Sinne wollen wir einen Beitrag leisten, damit es am Ende eine gute Lösung gibt. Edda Müller war unter anderem Referentin im Bundeskanz­leramt und Umweltmini­sterin in Schleswig Holstein und ist seit 2010 Vorsit zende von Transparen­cy Internatio­nal Deutschlan­d, einer Organisati­on, die sich dem Kampf gegen die Kor ruption verschrieb­en hat.

Utz Tillmann begann als promovier ter Biologe bei der Ludwigshaf­e ner BASF im Umweltbere­ich, war beim europäisch­en Chemiever band in Brüssel tätig und ist seit 2008 als Hauptgesch­äftsführer des Verbandes der Chemischen In dustrie (VCI) oberster Interessen vertreter dieser Branche.

 ?? Fotos: Kay Nietfeld, dpa; Jürgen Heinrich, Imago ?? Edda Müller, Vorsitzend­e von Transparen­cy Internatio­nal in Deutschlan­d, und Utz Tillmann, Hauptgesch­äftsführer des Verbandes der Chemischen Industrie (VCI).
Fotos: Kay Nietfeld, dpa; Jürgen Heinrich, Imago Edda Müller, Vorsitzend­e von Transparen­cy Internatio­nal in Deutschlan­d, und Utz Tillmann, Hauptgesch­äftsführer des Verbandes der Chemischen Industrie (VCI).
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany