Neuburger Rundschau

Trauriges Ende einer Stimmungsk­anone

Die Salzburger Festspiele bringen David Grossmans fasziniere­nden Roman „Kommt ein Pferd in die Bar“als Theaterstü­ck heraus. Es funktionie­rt allenfalls halb so gut

- VON RÜDIGER HEINZE

Salzburg „Meine Mutter wollte immer mein Bestes – und trotzdem hat sie mich zur Welt gebracht.“So zündet einer der vielen Sprüche des Comedians Dovele, dieses Alleinunte­rhalters hier auf einer Kleinkunst­bühne von Netanja, israelisch­e Provinz. Der Mann ist ’ne Kanone und muss für sein Publikum auch ’ne Witz- und Stimmungsk­anone sein. Brennt ein Feuerwerk ab, drischt Phrase auf Phrase, liefert Pointe auf Pointe, reißt Posse auf Posse, riskiert Kopf und Kragen und vergaloppi­ert sich nicht nur einmal. Dovele ist ein Schnellfeu­ergewehr der Launen, er reißt sich den Arsch auf. Frauen, Araber, Juden, er selbst: Hauptsache, vulgäre Verletzung.

Aber an diesem Abend, an dem er wieder und wieder das Publikum weit unterhalb der Gürtellini­e angeht, beschimpft, verhöhnt und nicht einmal vor körperlich Zurückgebl­iebenen eine Schamgrenz­e kennt, an diesem geschmackl­osen Abend unterster Schublade hat Dovele auch etwas im Sinn. Dieser Auftritt wird vom Hochnotpei­nlichen stürzen in eine stille Tragik.

So ist’s zu lesen in „Kommt ein Pferd in die Bar“, diesem Roman von David Grossman, dem großen, ausgezeich­neten israelisch­en Gegenwarts­autor. So ist’s zu lesen? Nein, so ist’s zu fressen. Ein Lese-Rausch, bei dem jede unerwünsch­te Unterbrech­ung ein Ärgernis bedeutet. Eine Zwei-Stunden-Entblößung auf strudelhaf­ten 250 Seiten.

Scheint wie gemacht für eine wirkliche Bühnenauff­ührung. Die Salzburger Festspiele hatten den Riecher vorn – und holten sich mit der Dramatisie­rung des 2014 er- Romans zumindest eine verstopfte Nase. Wenn sich nach pausenlose­n 2 Stunden, 40 Minuten im Grunde die Einsicht einstellt, diese Premiere im Salzburger Republic verführt kaum dazu, gerne die Nase in Grossmans Wechselbad­Roman zu stecken, dann ist da was nicht richtig gelaufen. Bedauerlic­h.

Sicher, das Theater hat seine eigenen Gesetze, aber es muss sich auch gefallen lassen, mit der Erstfassun­g seiner dramatisie­rten Stoffe verglichen zu werden. Und wenn man das tut, wird schnell klar, woran es in Salzburg hapert. Dovele führt ja was im Sinn. Er will seine Abschiedsv­orstellung geben. Heute, an seinem 57. Geburtstag. Möglicherw­eise ist er krank bis auf den Tod. Und so hat er zum Finale seiner Spaßmacher­Laufbahn auch einen Jugendfreu­nd eingeladen, einen aus dem Amt entfernten Richter, der ihm das finale Urteil fällen soll zu seiner Person. Also was ihn, Dovele, ausmacht als Künstler, als Menschen. Das will er wissen, alles über persönlich­e Ausstrahlu­ng, Einzigarti­gkeit.

Und nun also sitzt – im Roman – der Richter in dieser unsäglich startenden Dovele-Show und macht sich, mehr übel als wohl, Gedanken. Eigentlich würde er lieber flüchten. Seine Gedanken sind ein innerer Monolog – und das ist sicher nicht leicht, aber auch nicht unmöglich wiederzuge­ben auf dem Theater. Es wäre aber wichtig, weil es eine reflektier­ende Außensicht-Ebene einzieht in das Spiel – und, wichtiger fast noch, diese richterlic­he Instanz hatte sich ja mitschuldi­g gemacht am Lebensschi­cksal Doveles. Zusammen mit dieser Instanz hat das Publikum eine Reise von der Verachtung für einen Alleinunte­rhalter zum Erbarmen für einen Alleinunte­rhalter zu absolviere­n.

Aber dieser Richter ist in der Dramatisie­rung für Salzburg gestrichen. Seine Fallhöhe fehlt. Und mit dieser Fallhöhe fehlt auch die Fallhöhe Doveles. Das hier ist keine generalsta­bsmäßig geplante endgültige Schlussvor­stellung mit Verurteilu­ng oder Freispruch, das hier ist eine Vorstellun­g unter den vielen des ausgelaugt­en 57-jährigen Komikers Dov Grinstein. Man könnte auch sagen: nur eine Probe vor geladenem Publikum für das nächste ComedyProg­ramm. Dovele verausgabt sich nicht einmal zu Beginn seines Auftritts; er kämpft und zappelt nicht, um das Publikum zu fangen, zu beeindruck­en, zu halten; er wird kaum aggressiv, beleidigen­d, höhnisch. Es geht sofort eine Schwermut von ihm aus, ein buchstäbli­ches Kreisen um sich selbst, er ist ein Komiker, der nicht sprüht.

Signifikan­t die Szene, da Dovele – innerhalb der Erzählung von der Beerdigung seiner Mutter – auf die Holocaust-Geschichte seiner Familie zu sprechen kommt, auf Josef Mengele, den „Familien-Doktor“, zu dem ja aus ganz Europa die Menschen nach Auschwitz gereist seien: „Die sind in den Zügen übereinand­er geklettert, um zu ihm zu kommen.“Aber wie das Dovele erzählt, unterkühlt, nahezu sachlich, beinahe unbeteilig­t, vermeint man nicht, dass er zur weitgehend ausgelösch­ten Familie gehört. Wo ist der Sarkasmus, der groteske, kaustische Humor, wo ist die ganze Verzweifsc­hienenen lung des jüdischen Witzes über Tod und Massenmord?

In der Salzburger Dramatisie­rung, Regie und Ausstattun­g durch Dusan David Parizek spielt Samuel Finzi den Dov Grinstein. Er könnte das, man weiß es, besser. Schriller zu Beginn, eindeutig kippend am Wendepunkt von Roman und Stück. Erst die letzten 25 Minuten macht der leicht jüdelnde und ziemlich nuschelnde Finzi betroffen – wenn er gar nichts mehr tut, nicht mehr sich selbst schlägt, sich nicht mehr wälzt, sich nicht mehr dreht mit Live-Video-Kamera. Wenn er nur von der Beerdigung seiner Mutter erzählt, nur mit seinen Fingern und Worten ringt. Dann ist der Zuhörer endlich bei ihm, dann ist auch Pitz im Publikum still, eine körperlich-geistig leicht unterbelic­htete Jugendbeka­nntschaft von Dovele, gespielt strahlende­n Auges von Mavie Hörbinger. Jetzt geht uns alle die Geschichte was an. Jetzt können wir auch die Anstrengun­gen dieser Riesen-Monolog-Leistung würdigen.

Aber die Beklemmung kommt spät, sehr spät in dieser Premiere. Dovele wusste ja auf dem Weg zur Beerdigung nicht, ob sein Vater, seine Mutter oder gar beide gestorben sind. Und eben auf dem Weg dorthin, der auch seinen Lebensweg als Witzeerzäh­ler bestimmen wird, macht er eine Rechnung auf. Die Rechnung, wessen Tod ihn wohl weniger treffen würde – der des Vaters oder der der Mutter. Das ist die stille, tragische, schuldhaft­e, gleichsam gedankenve­rbrecheris­che Seite des Dov Grinstein. Daran litt er sein Komikerleb­en lang.

Der Roman von Grossman, der bei der Premiere anwesend war, kann weiterhin empfohlen werden.

Verachtung und Erbarmen für einen Alleinunte­rhalter

 ?? Foto: Bernd Uhlig, Salzburger Festspiele ?? Kreist lange um sich selbst mit Live Video Kamera: Samuel Finzi als mittelmäßi­ger Alleinunte­rhalter Dov Grinstein.
Foto: Bernd Uhlig, Salzburger Festspiele Kreist lange um sich selbst mit Live Video Kamera: Samuel Finzi als mittelmäßi­ger Alleinunte­rhalter Dov Grinstein.

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