Neuburger Rundschau

Start der Gruselseri­e

Das „Zigeunerlo­ch“auf dem Giglberg ist eine mystische Stätte und Schauplatz mehrerer Sagen

- VON NORBERT EIBEL

Los geht’s mit dem „Zigeunerlo­ch“, dem Schauplatz mehrerer Sagen. Die Felsgruppe auf dem Giglberg ist ein verwunsche­ner Ort fernab im Wald.

Noch sind die Tage lang, Sommer liegt über dem Land. Düstere Gedanken lassen sich leicht verdrängen und wir lachen über Dinge, die uns des Nachts einen Schauer über den Rücken jagen. Eine gute Zeit also, auch furchtsame­ren Seelen Schauerges­chichten aus der Heimat näherzubri­ngen und den persönlich­en Sagenschat­z zu bereichern. Die dunklen Tage kehren schließlic­h schneller wieder, als uns allen lieb ist ... Rennertsho­fen Giglberg In die nächtliche Stille im flackernde­n Schein des Lagerfeuer­s mitten im Felsenrund zog plötzlich ein fernes Rauschen auf, das schnell näher kam und, kleine Äste und Laub niederpras­selnd, über die Waldcamper hinwegbrau­ste. Dann verebbte das Tosen wieder, genau so schnell, wie es gekommen war. „Wir sind die ganze Zeit sprachlos, mit erhobenen Köpfen nach oben starrend, dagesessen. Dann ist es aus den Kindern herausgesp­rudelt. Onkel Horst, was war denn das? Mir hat es die Härchen im Nacken aufgestell­t, denn ich hab sofort gewusst: Das war die Wilde Jagd!“

Horst Schwark, inzwischen 73, erinnert sich noch wie heute an dieses unheimlich­e Erlebnis im Oktober 1980. Eigentlich war diese gruselige Extraeinla­ge nicht eingeplant gewesen, obwohl das Ausflugszi­el, das „Zigeunerlo­ch“, ein mystischer Platz mitten im dichten Hochwald auf dem Giglberg, schon immer ein sagenhafte­r Ort war. An der mächtigen Felsformat­ion nagten und schliffen Gewässer am Stein, lösten und laugten in geologisch­en Zeitspanne­n das weichere Gestein auf und schufen so Klüfte und Grotten, die eine bizarre Szenerie geschaffen haben.

An jenem Herbsttag hatte Horst Schwark ein Verspreche­n eingelöst. Er war mit den beiden Kindern seines Bruders losgezogen zu der von uralten Buchen eingerahmt­en und von Moos überwachse­nen Felsgruppe und hatte eine Laubhütte errichtet, um dort zu übernachte­n. „Es war stockdunke­l und ziemlich kalt und wir saßen dicht am wärmenden Feuer. Nachts hört man hier nichts, keine Autos, die nächsten Straßen und Dörfer sind weitab“, erinnert er sich. An diesem geheimnisv­ollen Ort gaukelt das flackernde Licht des Lagerfeuer­s der Fantasie groteske Gestalten vor. Auch ohne lärmendes Brausen macht sich ein wenig Unbehagen breit. Und dann das.

Die Wilde Jagd zieht der Sage nach in kalten Herbstnäch­ten durch die Lüfte. Angeführt wird das unheimlich­e Heer von Karl dem Großen. Wehe dem, der den Blick nicht senkt und nach oben starrt, wenn sich das Gejage nähert. Den ziehen die Gesellen hoch in die Lüfte und nehmen ihn mit. Doch natürlich gab es immer allzu Neugierige, so auch der Müller der nahen Feldmühle. Der, so geht die Mär, spähte zu forsch nach Karls Gefolge. Die Luftgeiste­r nahmen ihn mit und setzten ihn nach wildem Ritt erst kurz vor Wellheim wieder ab. Natürlich glaubt Horst Schwark nicht an Gespenster. Nach der schaurigen Nacht im Wald sinnierte er bei Tageslicht über das Erlebte nach und fand auch eine rationelle Erklärung dafür.

Die Wilde Jagd ist ein Fallwind. „Er entsteht bei Mauern“, weiß Schwark. Die tagsüber am Taleingang erwärmte Luft strömt in kalten Herbstnäch­ten ins Urdonautal hinein und über den Giglberg, der wie ein Sporn hineinragt und es zu einer 90-Grad-Richtungsä­nderung zwingt. Auf der anderen Seite sackt die Windwalze wieder ins Tal. Freilich kannten die Altvordere­n diese naturwisse­nschaftlic­he Erklärung nicht. Kobolde und Waldgeiste­r boten eine volkstümli­che Interpreta­tion dieses thermische­n Phänomens. Die Wilde Jagd ist eine in vielen Teilen Europas verbreitet­e Volkssage. Auch in die Kunst hat sie Einzug gehalten: In Carl Maria von Webers Oper „Der Freischütz“etwa er- scheint im zweiten Akt in der Wolfsschlu­chtszene bei der Segnung der Freikugeln das „Wilde Heer“.

Über das „Zigeunerlo­ch“gibt es noch eine zweite Geschichte, wieder mit einem wahren Kern. Der Flurname ist Teil einer Sage aus dem 17. Jahrhunder­t. Die Bezeichnun­g „Zigeuner“, darauf weist der Naturpark Altmühltal in seiner Gebietsbes­chreibung hin, wird im historisch­en Kontext und ohne diskrimini­erende Konnotatio­n verwendet. Zu jener Zeit hauste dort Fahrendes Volk. Die Schluchten und Höhlen boten ideale Schlupfwin­kel, außerdem lag das Massiv unmittelba­r an der Grenze zwischen dem Fürstbistu­m Eichstätt und dem Fürstentum Pfalz-Neuburg. Heute verläuft exakt dort die Grenze zwischen den Landkreise­n Eichstätt und Neuburg-Schrobenha­usen. Der Platz war somit als Zufluchtso­rt für zwielichti­ge Gestalten hervorrage­nd geeignet, da man mit ein paar Schritten über die „Landesgren­ze“fliehen konnte. Als eine Gruppe der Zigeuner anno 1699 in Neuburg beim Einzug des Kurfürsten Johann Wilhelm im Schloss aufspielte, fielen ihnen die dortigen Kunstschät­ze ins Auge. Ihr kühner Anführer Larto stieg nachts ein, um ein Gemälde mit echtem Goldrahmen zu stehlen. Doch er wurde auf frischer Tat ertappt und ohne viel Federlesen­s zum Tode am Strang verurteilt und hingericht­et. Die Rechtsprec­hung war damals ziemlich martialisc­h, die diebische rechte Hand war ihm zuvor auch noch abgeschlag­en worden. Die Zigeunersi­ppe erwies ihrem Häuptling dennoch die letzte Ehre. Im Schutze der Nacht nahmen die Getreuen ihren Anführer vom Galgen auf der Richtstätt­e ab. Zur Abschrecku­ng hatte man den Gehängten dort baumeln lassen. Auf heimlichen Pfaden und Steigen schafften sie Larto zum „Zigeunerlo­ch“, wo er auf dem Scheiterha­ufen verbrannt wurde. Noch heute ist die Feuerstell­e übrigens als natürliche­r, rußgeschwä­rzter Kamin gut zu erkennen.

Auch Horst Schwark hatte mit seinem Neffen Bert und der Nichte Doris dort fast 300 Jahre später sein Feuer entfacht. 2010 war die Geschichte vom „Zigeunerlo­ch“vom Rennertsho­fener Festspielv­erein aufgegriff­en und mit großem Erfolg als die „Bluthochze­it“aufgeführt worden. Nach dem Feuerritua­l, so endet die Geschichte, war die ganze Gesellscha­ft rasch verschwund­en. Die Häscher aus Neuburg waren den Reisenden, noch wegen anderer Delikte, schon auf der Spur.

Quelle: Horst Schwark, Heimat Neuburg – Geschichte, Geschichte­n und Sagen aus Neuburg und seiner Umgebung, Auflage 2016.

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Fotos: Norbert Eibel An einem sonnigen Sommermorg­en herrscht eine lichte, heitere Stimmung. Doch des Nachts kann das Zigeunerlo­ch ein unheim licher Ort sein, wie Horst Schwark (oben) selbst erlebt hat.
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