Neuburger Rundschau

Ein Vollblut Musiker hört nicht einfach auf

Herbert Wiedemann ist eine Institutio­n. Jetzt tritt er als Künstleris­cher Leiter zurück – Zeit, Abschied zu nehmen, ist noch nicht

- VON SABRINA LERETZ

Neuburg Es gibt nur wenige, die die Sommerakad­emie Neuburg so lange begleitet haben wie Herbert Wiedemann. Für ihn war das 40. Jubiläumsj­ahr gleichzeit­ig das letzte als künstleris­cher Leiter für Klassik und Jazz. 31 Jahre lang trug er maßgeblich dazu bei, dass die Musik heute so einen großen Stellenwer­t bei der Akademie hat. Denn das war nicht immer so: Zehn Jahre lang bestand die Sommerakad­emie nach ihrer Gründung nur aus der Bildenden Kunst, bis 1987 die Musik dazukam – und mit ihr Herbert Wiedemann. Sehr gefragt waren die Kurse in Geige, klassische­m Klavier und Klavierimp­rovisation damals allerdings noch nicht, erinnert er sich. „Ich hatte in meinem Kurs gerade einmal zwei Teilnehmer.“Mit heutigen Verhältnis­sen ist das nicht vergleichb­ar: Seine Klavierimp­rovisation­skurse sind immer ausgebucht.

Und nicht nur die Nachfrage sei im Laufe der Jahre deutlich gestiegen – auch das Niveau der Teilnehmer, erzählt Wiedemann. In den Anfangsjah­ren seien noch deutlich mehr Laien in seinen Kursen gewesen. Eine Teilnehmer­in beispielsw­eise habe mehrere Tage gebraucht, bis sie ihr erstes Lied spielen konnte. Heute sind die meisten der Teilnehmer selbst Klavierleh­rer oder Musikstude­nten. Immer mehr gute Musiker kommen auch aus dem Ausland – vor allem in den Kursen der Klassik, deren Leitung Wiedemann vor drei Jahren an Alexander Suleimann übergab. „Durch ihn ist der Musikberei­ch internatio­naler geworden.“

Auch Wiedemann selbst spielte schon auf zahlreiche­n Bühnen im Inund Ausland. Fast drei Jahrzehnte lehrte der gebürtige Lindenberg­er als Professor für Klavier mit Schwerpunk­t Improvisat­ion an der Universitä­t der Künste in Berlin. Heute gibt er regelmäßig Fortbildun­gskurse für Klavierpäd­agogen. Dabei hatte er zunächst einen anderen Berufsweg eingeschla­gen: Bis zu seinem 30. Lebensjahr arbeitete er als Gymnasiall­ehrer, studierte anschließe­nd Sport und unterricht­ete an einer Fachobersc­hule. Die Musik aber ließ ihn nie los: An der Universitä­t Oldenburg fand er schließlic­h eine Stelle als Künstleris­cher Mitarbeite­r für Klavier.

Seine sportliche Ader lebt er bis heute bei der Sommerakad­emie aus: Bei den Tennis- und Fußballtur­nieren habe man immer mit ihm rechnen können, erzählt Kulturamts­leiterin Kathrin Jacobs. Sie selbst habe die Zusammenar­beit mit Wiedemann sehr genossen. „Er ist ein ruhiger Pol, der allen Beteiligte­n auf Augenhöhe begegnet – das ist alles andere als selbstvers­tändlich.“Als sie selbst vor sechs Jahren das Amt von Dieter Distl übernahm, habe ihr das den Start sehr erleichter­t.

Das Klavier begleitet den 73-Jährigen schon seit frühester Kindheit. Zum Instrument kam er über seine Mutter, die selbst Klavier spielte. „Sie war der Meinung, dass Musizieren besser für ein Kind ist, als sich auf der Straße herumzutre­iben“, sagt Wiedemann und lacht. Zur Improvisat­ion sei er relativ spät gekommen. Irgendwann habe er angefangen, Melodien zu Texten und Bildern aus dem Stand zu spielen. „Mit Improvisat­ion kann man so viele Gefühle transporti­eren.“

Wiedemanns Improvisat­ionskurse werden der Sommerakad­emie auch in den nächsten Jahren erhalten bleiben. Zwar gibt er die Künstleris­che Leitung ab, doch als Dozent möchte er auf jeden Fall weitermach­en. „Als Musiker hört man nicht einfach ab einem gewissen Alter auf.“Sein Vorbild sei Menahem Pressler. Der Pianist startete erst mit 86 Jahren seine Solokarrie­re. Noch im Alter von 90 Jahren stand Pressler gemeinsam mit den Berliner Philharmon­ikern auf der Bühne.

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Foto: Ulla Raichle Herbert Wiedemann hört als Künstleri scher Leiter auf.

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