Erst gefoltert, dann gefeiert
Michelle Bachelet weiß, wie es sich anfühlt, unter einer Diktatur zu leiden. Nun wacht die ehemalige chilenische Präsidentin über die Menschenrechte weltweit
Sie steht für eine der wohl ungewöhnlichsten Karrieren in der lateinamerikanischen Politik. Michelle Bachelet ist Kinderärztin, Diktaturopfer und zweimalige Präsidentin Chiles. Nun wird die 66-Jährige UN-Menschenrechtskommissarin und damit so etwas wie die Oberaufseherin über die Menschenrechte auf diesem Planeten. Bachelet hat erlebt, was es heißt, Opfer einer Diktatur zu werden. „Mein Kopf steckte in einer Kapuze und man hat mich beleidigt, bedroht, auch mal geschlagen. Aber der Grill ist mir erspart geblieben“, erzählte sie einmal von ihren Erfahrungen während der Militärdiktatur, als die Chargen von General Augusto Pinochet Jagd auf Sozialistinnen wie Bachelet machten.
Der Grill war ein gefürchtetes Foltergerät: ein Bettgestell für Elektroschocks. Ihr Vater, loyal zum sozialistischen Präsidenten Salvador Allende stehend, hatte weniger Glück: Er wurde nach dem Militärputsch von 1973 inhaftiert und starb an den Folgen der Folter. Bachelet ging ins Exil in die DDR. Am Herder-Institut der Uni Leipzig lernte sie Deutsch. An der Berliner Humboldt-Universität studierte sie Medizin. Bis heute hat sie Freunde aus dieser Zeit.
Zurück in Chile machte die Kinderärztin als Politikerin Karriere: erst als Verteidigungsministerin, später sogar als Präsidentin. Ihre erste Amtszeit von 2006 bis 2010 galt als die erfolgreichste
Phase ihrer Karriere. Eine Frau und Sozialistin an der Spitze eines einst von brutalen Militärs geführten Landes markierte auch einen Wendepunkt in der chilenischen Geschichte. Weil die chilenische Verfassung nur eine Amtszeit zulässt, musste Bachelet bis 2014 auf ihre zweite Kandidatur warten. Wieder gelang ihr ein strahlender Wahlsieg. Doch danach litt ihr Ruf im eigenen Land. Grund war ein Korruptionsskandal in der eigenen Familie.
Auch im Umgang mit den Mapuche, den chilenischen Ureinwohnern, werfen ihr Kritiker vor, sie habe nur auf Schlagzeilen, aber nicht auf wirkliche Veränderungen hingearbeitet. Für das im Namen des chilenischen Staates begangene Unrecht entschuldigte sich Bachelet bei den Indigenen. Immerhin. Ihre Kritiker werfen Bachelet vor, wegen ihrer DDR-Zeit gegenüber Linksdiktaturen in Nicaragua, Venezuela und Kuba zu nachsichtig zu sein. Zu Raúl und Fidel Castro verband sie eine persönliche Freundschaft, obwohl die Kubaner in den ersten Jahren der Revolution zu den gleichen Menschenrechtsverletzungen griffen wie die Pinochet-Diktatur. Die US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen, Nikki Haley, schickte deshalb einen bittersüßen Gruß: Sie hoffe, dass Bachelet ihre Stimme gegenüber den Menschenrechtsverletzungen in Kuba, Venezuela und im Iran erheben werde. In Washington rechnet man offenbar nicht mit viel Unterstützung der neuen Menschenrechtskommissarin. Es wäre nicht das erste Mal, dass Bachelet unterschätzt wird.