Ein Werk des Teufels
Mitten im Zentrum Ingolstadts liegt unscheinbar im Boden ein polierter roter Marmorstein. Doch wie kam er dorthin? Hatte etwa der Teufel seine Finger mit im Spiel?
Mitten im Zentrum Ingolstadts liegt unscheinbar im Boden ein polierter roter Marmorstein. Doch wie kam er dort hin? Und was hat der Teufel damit zu tun?
Noch sind die Tage lang, Sommer liegt über dem Land. Düstere Gedanken lassen sich leicht verdrängen und wir lachen über Dinge, die uns des Nachts einen Schauer über den Rücken jagen. Eine gute Zeit also, auch furchtsameren Seelen Schauergeschichten aus der Heimat näherzubringen und den persönlichen Sagenschatz zu bereichern. Die dunklen Tage kehren schließlich schneller wieder, als uns allen lieb ist ... Ingolstadt Alteingesessenen Ingolstädtern wurde es von Kindesbeinen an eingebläut: „Kind, rühr ja nicht den Teufelsstein an.“Denn wer ihn einmal angelangt hatte, so der Glaube, der bekäme es mit dem Teufel zu tun. Trotz seiner angeblich „teuflischen“Herkunft geht von diesem Stein nichts Grusliges aus. Mitten in der Stadt liegt er, umgeben vom geschäftigen Gewusel der Fußgängerzone. Kaum jemand nimmt Notiz von dem roten, polierten Stein, der an der Ecke des Hauses liegt, in der heutzutage ein Fotogeschäft untergebracht ist (Ecke Am Stein/Theresienstraße). Leute sitzen nebendran und trinken einen Kaffee, andere stellen ihre Einkauftaschen kurz ab, wenn sie eine kleine Pause brauchen.
Doch wie ist dieser Stein, der so anders ist als all die anderen Steine ringsum, überhaupt dorthin gekommen? Ein Stein aus dem gleichen Material (vermutlich Adneter Marmor aus dem Salzburger Land), doch deutlich größer, findet sich in Ingolstadt nur noch im Münster, ein paar Hundert Meter weiter. Einst stand der zwei mal vier Meter große wuchtige Block mitten in der Kirche. Er sollte ein Grabmal für Ludwig den Gebarteten werden, doch das hatte sich zerschlagen. Bei der Sanierung der Kirche im Jahr 1815 hatte man den Stein, der oft im Weg gestanden war, schließlich im Boden versenkt und dabei die Wittelsbacher Grablege entdeckt, unter anderem mit den Gebeinen von Herzog Ludwig, dem Buckligen.
Was also hat ein Stein aus dem Material, das offensichtlich beim Bau des Münster im 15. Jahrhundert verwendet worden war, auf einem der belebtesten Plätze der Stadt zu suchen?
Eine Erklärung findet sich in der Sagensammlung der Ingolstädterin Emmi Böck (1932-2002). Der His- toriker Andreas Schmidt befasst sich für das Stadtmuseum Ingolstadt wissenschaftlich mit den Aufzeichnungen der Sagensammlerin. Er weiß: „Wenn sich Leute früher etwas nicht erklären konnten, entstand bald eine Sage.“Nicht anders war es beim Teufelsstein. Wenn ein derart schwerer Quader irgendwo liegt, wo er offensichtlich nicht hingehört, dann muss der Teufel seine Finger mit im Spiel gehabt haben. Davon waren die Ingolstädter einst überzeugt. Und so ist die Sage vom Teufelsstein entstanden.
Als 1425 Herzog Ludwig der Gebartete mit dem Bau des riesigen Liebfrauenmünsters begonnen hatte, da soll das dem Teufel ein arger Dorn im Auge gewesen sein. Des Nachts schlich er sich auf die Baustelle, nahm einen der Steine, die für den Bau der Herrschaftskirche von Ludwig vorgesehen waren, und wollte ihn auf das Münster schleudern. Doch das ging – aus Sicht des Teufels – gänzlich schief. Statt das Kirchenschiff zu durchschlagen, landete der Stein – so geht eine Ver- sion der Sage – nebendran auf einem Friedhof, der heute nicht mehr existiert. Da ist er dann, so erzählt es die Sage, Jahrhunderte gelegen und keiner der Ingolstädter hätte sich je getraut, dieses Teufelswerk auch nur einmal anzurühren. Bis der Wachszieher Berthold einen Eckstein für sein Haus gesucht hatte. Er sah den Stein am nahen Münster liegen und fand offensichtlich Gefallen daran. Er engagierte wagemutige Soldaten, die 1814 in der Stadt waren, und die brachten ihn mit einem Fuhrwerk zum Haus des Wachsziehers Berthold am Schliffelmarkt. Ganz geheuer war den Beteiligten das Vorhaben aber wohl trotzdem nicht. Denn den Karren, mit dem sie den Stein transportiert hatten, verbrannten sie bald danach. Seit nunmehr 200 Jahren, so will es die Sage, liegt der Stein also nun, versenkt im Boden, an der wohl wichtigsten Kreuzung in der Innenstadt, am Schliffelmarkt. Einige vermuten gar, dass sich die Straßenbezeichnung „Am Stein“auf den Teufelsstein bezieht. Wahrscheinlich ist das aber nicht, da der Name schon seit vielen Hundert Jahren existiert. Eher schon könnte er darauf zurückzuführen sein, dass an dieser Stelle wohl einst das erste Ingolstädter Haus aus Stein gestanden war.
Mittlerweile hat der Teufelsstein sogar Eingang gefunden in einem Roman. Autor Thomas Peter lässt im gleichnamigen Krimi auf dem Stein ein grausames Verbrechen geschehen. Eine Frau wird dort mit durchgeschnittener Kehle gefunden.