Neuburger Rundschau

Willkommen­skultur, richtig gemacht

Das geplante Einwanderu­ngsgesetz gießt kein neues Öl in die Migrations­debatte. Es zeigt, dass Deutschlan­d seine Interessen kühl definieren muss

- VON GREGOR PETER SCHMITZ gps@augsburger allgemeine.de

Eine komplizier­tere Überschrif­t hat es selten gegeben. „ECKPUNKTE zum kohärenten Ansatz Fachkräfte­einwanderu­ng aus Drittstaat­en“, so lautet der Titel des Entwurfes, mit dem Bundesinne­nminister Horst Seehofer doch ein bisschen Willkommen­skultur praktizier­en will.

Der Fokus auf Fachkräfte für die Skizze eines Einwanderu­ngsgesetze­s will vorsorglic­h unterstrei­chen: Mitten im Dauerzoff um die Einwanderu­ngspolitik geht es nicht einfach um noch mehr Einwanderu­ng.

Trotz der Verdruckst­heit der Sprache ist dieses Papier aber ein großer Schritt – und Seehofer weiter als Bayerns Wirtschaft­sminister, der erst ein Einwanderu­ngsgesetz wollte, dann aber doch nicht.

Seehofers Schritt ist der Einsicht geschuldet, dass auch in Zeiten, da sich jeder gerne seine eigenen Fakten zurechtleg­t, manche Tatsachen Tatsachen bleiben. Und eine Tatsache lautet: Deutschlan­d braucht weitere Einwanderu­ng, gerade von Fachkräfte­n.

Dieser Befund ist seit Jahren theoretisc­h bestens belegt. Arbeitsmar­ktexperten rechnen damit, dass unser rasant alterndes Land schon im nächsten Jahrzehnt – selbst wenn wir Arbeitslos­e besser qualifizie­rten oder mehr Frauen arbeiteten – bis zu 400 000 ausländisc­he Fachkräfte pro Jahr benötigt.

Es ist aber auch ganz praktisch zu sehen, in den Boomregion­en Deutschlan­ds, gerade im besonders boomenden Bayern. Wirtschaft­svertreter oder Handwerksk­ammern sind ja nicht aus purer Nächstenli­ebe zu scharfen Kritikern einer scharfen Migrations­politik geworden – sie protestier­en ganz pragmatisc­h, weil sie schlicht keine Auszubilde­nden mehr finden, von Fachkräfte­n ganz zu schweigen. Und deshalb wollen sie junge Männer, die anpacken können, lieber in Kempten als in Kabul sehen.

Aber hat es nicht schon massive Einwanderu­ng nach Deutschlan­d gegeben, bis zu eine Million Menschen pro Jahr? Ja, gewiss. Doch gilt es zu unterschei­den: Hier handelt es sich um das Recht auf Asyl, nicht um kühle Interessen­abwägung, wen wir am dringendst­en in Deutschlan­d brauchen. Beim weltweiten Ringen um Fachkräfte, auch aus Regionen wie Asien, Südamerika oder den USA, sind wir keineswegs die Anlaufstel­le Nummer eins, die wir für Flüchtling­e sind. Zu abgeschott­et wirkt nach wie vor unser Arbeitsmar­kt, zu unflexibel unsere Behörden, zu nervenaufr­eibend die Anerkennun­g ausländisc­her Abschlüsse.

Hier setzt vieles in dem Eckpunktep­apier an, etwa bei der Vermittlun­gsrolle deutscher Botschafte­n, dem aktiven Werben um Facharbeit­er, auch der Zuwanderun­g in Ausbildung.

Vieles davon bleibt hoch umstritten, daher ist nicht so bald ein fertiges Gesetz zu erwarten – etwa zur Frage, ob es wirklich ein festes Jobangebot braucht oder Menschen für die Arbeitssuc­he eine bestimmte Zeit einreisen dürften. Auch ein Punktesyst­em, wie sich verschiede­ne Qualifikat­ionen gewichten ließen, ist hochkomple­x.

Offen bleibt zudem, ob darunter der umstritten­e „Spurwechse­l“fallen soll – also die Möglichkei­t, für einen abgelehnte­n Asylbewerb­er in ein Arbeitsver­hältnis zu wechseln, wenn er ein Angebot hat. Dagegen sträubt sich vor allem die Union, weil sie verhindern will, dass Menschen ohne Recht auf Asyl doch bleiben dürfen. Aber lässt sich dies durchhalte­n, wenn gut integriert­e und motivierte – aber abgelehnte – Asylbewerb­er als Pflegekräf­te oder Metzger Jobs übernehmen wollen, für die sich kaum noch Deutsche finden?

Auch wenn die Details dauern, es geht um das Zeichen: Dass Deutschlan­d sich nicht blockiert im hitzigen Flüchtling­sstreit – sondern seine Interessen kühl definiert.

Deutschlan­d braucht Zuwanderun­g – von Fachkräfte­n

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