Neuburger Rundschau

Unterm Himmel der Bayern

- VON STEPHANIE SARTOR

Der Biergarten gehört zu Bayern wie der Radi zum Brotzeitbr­ettl. Sein Ursprung liegt allerdings nicht an der frischen Luft, sondern in einem eisigen Keller. Eine Geschichte über das Lebensgefü­hl unter Kastanien, Weißbier-Meditation und Rockstars in Lederhosen

München/Offenhause­n Da sitzen also der Fredi und der Örni und schauen in das Himmelswei­ßblau dieses Sommertage­s. Mücken surren durch die Mittagsträ­gheit, die Kastanienb­äume rauschen im Wind, es riecht nach Steckerlfi­sch und Schweinsbr­aten. Der Kies knirscht unter den Füßen des Kellners, der am Tisch der beiden Männer vorbeigeht. Fredi hebt die Hand und sein leeres Glas und sagt: „Schorschi, machst mir noch eine Halbe.“

Wenn man so will, dann sind der Fredi und der Örni Symbolfigu­ren der bayerische­n Biergarten­kultur. Mehrmals in der Woche kommen sie hierher, in den Augustiner-Keller in der Münchner Arnulfstra­ße, den ältesten Biergarten der Stadt. Dann sitzen sie an dem mächtigen, massiven GanterStam­mtisch, reden mit den anderen Gerstensaf­t-Gesellen über Gott, die Welt, das Bier, Bayern. 1964 wurde der Stammtisch gegründet, für den es momentan sogar eine Warteliste gibt. „Es ist diese besondere Atmosphäre, die den Biergarten ausmacht“, sagt der Fredi. Der Örni nickt und nimmt einen Schluck. Ihre ganzen Namen wollen sie nicht sagen. In München kenne man sie. Im Biergarten sowieso.

Bayern und seine Biergärten. Das ist mehr als nur ein Lebensgefü­hl unter Kastanien. Mehr als idyllische Zünftigkei­t. Bayern und seine Biergärten gehören zusammen, wie der Radi und das Brotzeitbr­ettl, wie die Schaumkron­e und das Weißbier. Die Tradition, draußen zu essen und zu trinken, ist mittlerwei­le mehr als 200 Jahre alt. Die Geschichte, die dahinterst­eckt, ist diese: Früher durfte das vorwiegend getrunkene untergärig­e Bier wegen der Sommerhitz­e nur in der kalten Jahreszeit gebraut werden, von Michaeli im September bis Georgi im April. Und da auch die Lagerung ein Problem war, weil das Bier bei hohen Temperatur­en schnell schlecht wurde, legten die Brauer tief unter der Erde Bierkeller an – schließlic­h wollte man Bier nicht nur im bitterkalt­en Winter, sondern auch im Sommer trinken. Viele dieser Keller gibt es noch heute, etwa den unter dem Augustiner-Biergarten, der im Winter mit Eis aus dem Nymphenbur­ger Kanal gefüllt wurde, um ihn für die kommenden Monate in eine Art Kühlschran­k zu verwandeln. Und weil das Bier bei der Auslieferu­ng im Sommer schnell zu warm geworden wäre, wurde es Sitte, es gleich vor Ort zu trinken. Über dem Keller. Im Schatten der Kastanien, die extra gepflanzt worden waren, damit die Sommersonn­e nicht auf die Kühlkeller brannte. In vielen Regionen Bayerns sagt man noch heute, man gehe „auf den Keller“, wenn man einen Biergarten besucht.

In den neuen Schänken wurde auch etwas zu essen angeboten – und das führte schließlic­h zu einem handfesten Streit. Denn die Wirtsleute in der Nähe der Bierkeller fürchteten um ihr Geschäft. Erst der königliche Erlass von 1812, die eigentlich­e Geburtsstu­nde der bayerische­n Biergärten, brachte Frieden: Zwar wurde den Brauern offiziell erlaubt, außerhalb von Gaststätte­n ihr Bier auszuschen­ken, der Verkauf von Speisen aber wurde verboten. Die Bürger durften ihr Essen selbst mitbringen. Und dieses Brotzeitre­cht hat bis heute Bestand.

Davon mache aber kaum mehr jemand Gebrauch, sagt Christa Zoller, Mitinhaber­in des Schlössles in Offenhause­n, einem Stadtteil von NeuUlm. Zoller, blonde Haare, Brille, weiße Trachtenbl­use, sitzt an einem Holztisch vor dem Gasthaus. „So gut wie niemand bringt heute noch sein eigenes Essen mit in den Biergarten“, sagt sie. Einmal aber habe sie erlebt, wie dreiste Gäste die Brotzeiter­laubnis schamlos ausgenutzt haben: Statt sich, wie es Tradition ist, ein Wurstbrot oder ein paar Radieserl mitzubring­en, wollten sie den Pizza-Service rufen. „Das geht eindeutig zu weit“, sagt Zoller und schüttelt den Kopf.

Die Wirtin ist in eine wahre BierDynast­ie hineingebo­ren. Seit 1879 betreibt ihre Familie das Gasthaus, noch heute wird das Bier selbst gebraut. Die Kastanienb­äume, deren Blätter an diesem Sommernach­mittag sanft im Wind schaukeln, wurden von ihrem Urgroßvate­r gepflanzt. Und es gibt noch mehr Geschichte­n: Zoller deutet nach oben, zum zweiten Stock des historisch­en Gebäudes. Einst saß dort Napoleon in einem der Zimmer, überblickt­e die Gefechtsla­ge vor Ulm und koordinier­te seine Truppen auf dem Schlachtfe­ld.

Von dem Fenster, durch das der Feldherr einst schaute, blickt man heute auf das Grünbraun der Bäume und viele Bänke. Etwa 500 Menschen finden im Schlössle-Biergarten Platz. Und diese Gäste, die haben sich über die Jahre sehr verändert, meint Zoller. „Es gibt nicht mehr so viele Stammgäste“, sagt sie. „Und es wird heute viel weniger getrunken.“Früher machten die Getränke 65 Prozent des Umsatzes aus, heute erzielt der Biergarten mehr Umsatz mit dem Essen. An einem heißen Hochsommer­tag wurden damals gute 1000 Liter Bier getrunken. Heute ist es etwa die Hälfte. „Die meisten holen sich auch keine Maß mehr, sondern nur eine Halbe“, sagt Zoller, hält kurz inne und fügt hinzu: „Es ist aber ja nicht schlecht, wenn man bewusster mit dem Thema Alkohol umgeht.“

Eines aber ist über die Jahre immer gleich geblieben: die Sehnsucht nach dem Draußensei­n. Nach einem Schluck Bier, der nicht nur nach Heimat, sondern irgendwie auch nach Freiheit schmeckt. Und diese Sehnsucht lockt jährlich Millionen Menschen in die Biergärten des Freistaate­s. Einer, der sich mit der Faszinatio­n, die diese Orte ausüben, befasst hat, ist Alfons Schweigger­t. „Ganz Bayern ist ein großer Biergarten“, heißt sein Buch. „Es ist diese Gemeinscha­ft, die den Biergarten ausmacht. Es sind Treffpunkt­e von Arm und Reich. Orte, wo der Universitä­tsprofesso­r mit dem Arbeitslos­en spricht“, sagt Schweigger­t. Es gehe darum, sich gegenseiti­g Geschichte­n zu erzählen, mit dem Nachbarn die Brotzeit zu teilen, sich zuzuproste­n, aufs Leben anzustoßen. Und für einige Menschen sei der Biergarten eine geradezu spirituell­e Erfahrung. „Manche sitzen einfach da und schauen in die Ferne. Bei diesen Leuten hat man das Gefühl, dass es eine Biergarten­meditation gibt.“

So ein Ort der Ruhe, ja beinahe der Meditation, ist die Waldschänk­e Eisbrunn. Ein Biergarten mitten im Wald, in der Nähe der berühmten Harburg im Landkreis Donau-Ries. Bienen schwirren über den Lavendelbü­scheln, die in Blumentöpf­en auf den Biertische­n stehen. Die Bäume rauschen im Sommerwind – sonst hört man nichts. Kathrin Meyer, 31, kurze rote Haare, blauweiß gemusterte­s Shirt, sitzt inmitten dieser Idylle auf einer Holzbank. „Mein Partner und ich haben uns hier den Traum von der Selbststän­digkeit erfüllt“, sagt sie. Sie mag die Tradition, die Ruhe, die Gelassenhe­it. Und wie ihr geht es vielen. „Dass man im Sommer in den Biergarten geht, das gehört in ganz Bayern einfach dazu“, meint Meyer.

Im Frühling 2017 hat sie das Gasthaus mit dem großen Biergarten mitten im Wald übernommen. Und damit auch ein Stück Historie. Die Schänke ging aus einem botanische­n Garten hervor, in dem allerlei seltene Bäume und Sträucher wuchsen. Ab 1860 gediehen hier auch ausländisc­he Pflanzen. Exoten wie Tulpenbäum­e oder Douglastan­nen konnten bewundert werden. Der Ort wurde berühmt und zu einem Ziel von Ausflügler­n aus ganz Süddeutsch­land – und die wollten auch verpflegt werden. Eine kleine Gaststube wurde eingericht­et, wo die Besucher mit Getränken aus dem angelegten Bierkeller versorgt wurden. Auch ein Biergarten entstand. Und in dem ist diesen Tagen mächtig viel los. „Das Geschäft läuft gut. Wir sind sehr zufrieden. Und der Wurstsalat ist der Verkaufssc­hlager“, sagt Meyer.

Das Geschäft läuft auch im Münchner Augustiner-Biergarten gut – scheinbar völlig unbeeindru­ckt vom Wirtshauss­terben. Jedes Jahr verschwind­en im Freistaat Traditions­lokale, ein Viertel aller Ortschafte­n hat keine klassische Wirtschaft mehr. Das Biergarten­geschäft aber, das brummt. Mehr als 200 Festangest­ellte gibt es im Augustiner-Biergarten. Vor acht Jahren waren es noch 78, erzählt Christian Vogler, der Wirt, der aus Zusmarshau­sen im Landkreis Augsburg stammt. Vogler ist schon lange im Gastronomi­e-Geschäft, arbeitete im Augsburger Edel-Restaurant „Die Ecke“, später in Sternerest­aurants in Italien, China, Frankreich. „Irgendwann hatte ich die Schnauze voll von der Schicki-Micki-Gastronomi­e“, erzählt er und blickt hinein in den riesigen Biergarten, in dem 5000 Menschen Platz haben.

Der Biergarten ist aber nicht nur ein Ort des Genießens und der Geselligke­it, sondern auch ein Ort, an dem kuriose Geschichte­n passieren. Vogler denkt etwa an den Besuch der Rockband Nickelback zurück. Der Sänger war so begeistert von Voglers Lederhose, dass der ihm spontan eine auslieh. Und die trug der Rockstar dann beim Konzert in der bayerische­n Landeshaup­tstadt. Vogler erinnert sich auch an einen Milliardär, der sich für viel Geld einen Stammtisch im Augustiner­Biergarten kaufen wollte. „Aber so funktionie­rt das nicht. Ich habe ihm gesagt, er soll regelmäßig vorbeikomm­en. Wenn er zu uns passt, dann darf er einen Stammtisch aufstellen.“Dass der Mann womöglich mehrere Millionen hingeblätt­ert hätte, hätte Voglers Meinung nicht geändert. „Es geht um die Tradition“, sagt er und deutet nach links, wo mehrere Männer an einem großen, wuchtigen Holztisch sitzen.

Zwei davon sind der Fredi und der Örni. Bis halb drei wollen sie heute bleiben. Vielleicht auch bis sechs. Kellner Schorschi kommt vorbei und bringt noch eine Halbe. Es riecht nach deftigem Braten und geräuchert­em Fisch. Die Blätter der Bäume rauschen im Wind. Und die beiden Männer stoßen an und schauen in den weiß-blauen BayernHimm­el.

Es ist die Gemeinscha­ft, die den Biergarten ausmacht

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Fotos: Ulrich Wagner Bayern in Reinform: Kastanien, Kies, kühles Bier. Besonders an lauen Sommeraben­den zieht es die Menschen in die Biergärten des Freistaate­s – etwa in den des Gasthauses Schlössle in Offenhause­n.
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Kathrin Meyer hat die Waldschänk­e Eis brunn im Frühjahr 2017 übernommen.
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Christa Zollers Familie betreibt 1879 das Schlössle in Offenhause­n. seit
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