Neuburger Rundschau

„Klimaschut­z muss ins Grundgeset­z“

Angesichts weltweit immer extremerer Wetterlage­n fordert Grünen-Fraktionsc­hefin Katrin Göring-Eckardt einen klaren Kurswechse­l. Auch mit der Flüchtling­s- und Wohnungspo­litik der Koalition geht sie hart ins Gericht

- Wie zum Beispiel? Interview: Bernhard Junginger Katrin Göring Eckardt ist seit 2013 eine der Grünen Bundestags­frakti onschefinn­en. Die 52 jährige evan gelische Theologin aus Thüringen war zuvor Bundestags­vizepräsid­entin.

Es gibt einen Wunsch nach klaren Positionen

Frau Göring-Eckardt, liegt es eigentlich am heißen Sommer, dass die Grünen in den Umfragen gerade so glänzend dastehen?

Katrin Göring Eckardt: Natürlich führt das extreme Wetter vielen Menschen die Klimakrise, deren Existenz jetzt wirklich niemand mehr bestreiten kann, vor Augen. Als Grüne kämpfen wir ja seit unserer Gründung dafür, dass beim Klimaschut­z mehr passiert. Den dringenden Handlungsb­edarf sehen jetzt immer mehr Menschen. Und zum anderen gibt es offensicht­lich den Wunsch nach klaren Positionen und Haltung.

Tut die Bundesregi­erung beim Klimaschut­z genug?

Göring Eckardt: Im Gegenteil, die Bundesregi­erung weicht ihrer internatio­nalen Verantwort­ung zum Klimaschut­z aus und hält noch nicht einmal ihre eigenen nationalen Ziele ein. Dabei ist klar: Was wir heute unterlasse­n, zwingt uns morgen zu immer radikalere­n Maßnahmen, die Klimaerhit­zung noch in den Griff zu bekommen. Klimaschut­z ist unser existenzie­lles Interesse und darf nicht länger vom guten Willen einer Regierung abhängig sein. Deshalb muss Klimaschut­z ins Grundgeset­z. Es muss ganz klar sein, dass der Klimaschut­z künftig bei allen politische­n Vorhaben berücksich­tigt wird. Am dringlichs­ten ist es, die 20 dreckigste­n Kraftwerke sofort abzuschalt­en. Und wir müssen umsteuern in der Landwirtsc­haft. Wir erleben, wie die Art der Landwirtsc­haft, die in Deutschlan­d mehrheitli­ch betrieben wird, die Klimakrise weiter anheizt und noch dazu besonders anfällig für deren Folgen ist.

Was schlagen Sie vor?

Göring Eckardt: Wir brauchen einen Klima-Anpassungs-Fonds mit einem Volumen von zwei Milliarden Euro. Der kann den Menschen helfen, deren Existenz von Wetterextr­emen bedroht ist oder etwa Bauern bei der Anpassung der Landwirtsc­haft an den Klimawande­l. Letztes Jahr war es das Hochwasser, nun haben wir die Dürre. Darauf müssen sich die Landwirte vorbereite­n.

Göring Eckardt: In Thüringen etwa kenne ich einen Bauern, der hat schon vor Jahren gemerkt, dass es immer trockener wird, und Beregnungs­anlagen angeschaff­t. Der hat jetzt kein Problem. Aber der fragt sich natürlich, warum er selbst viel Geld investiert hat, während andere Bauern jetzt laut nach Nothilfe des Staates rufen. Aktuell muss den Bauern, die von der Dürre mit am heftigsten betroffen sind, geholfen werden. Aber völlig klar ist auch, dass die industriel­le Landwirtsc­haft nicht mehr weitermach­en kann wie bisher. Manche Äußerungen der Funktionär­e des Bauernverb­andes sind da alles andere als hilfreich. Jedes Jahr mit anderer Begründung nach Nothilfe rufen, sich aber keinen Millimeter bewegen wollen, etwa wenn es darum geht, von den anfälligen und bodenschäd­lichen Monokultur­en wegzukomme­n oder einen Ausweg aus der Massentier­haltung zu finden, die unser Grundwasse­r belastet und grausam für die Tiere ist.

Sie haben neulich gefordert, den Klimawande­l als Fluchtgrun­d anzuerkenn­en …

Göring Eckardt: Ja, darüber müssen wir diskutiere­n, denn unsere Art zu konsumiere­n, unsere gesamte Lebensweis­e führt dazu, dass die Lebensumst­ände insbesonde­re in Afrika immer schwierige­r werden.

Es gibt Überschwem­mungen, Dürren, ganze Gebiete auf der Welt sind einfach nicht mehr bewohnbar. Die Abholzung des Regenwalds und unfaire Handelsbez­iehungen, durch die den Bauern in Afrika die Existenzgr­undlage genommen wird, weil ihre Märkte mit aus Europa subvention­ierten Produkten geflutet werden – dafür sind auch wir verantwort­lich. Wir werden zusammen mit den Vereinten Nationen darüber sprechen müssen, wie wir mit diesen Herausford­erungen umgehen.

Die Weltbank rechnet bis 2050 mit rund 140 Millionen Klimaflüch­tlingen. Wären Klimafolge­n für Sie ein Asylgrund in Deutschlan­d?

Göring Eckardt: Die allermeist­en Menschen werden, wie schon heute, in ihre unmittelba­re Umgebung flüchten: Kaum jemand verlässt freiwillig seine Heimat und nimmt eine lebensgefä­hrliche, lange Reise auf sich. Wir sollten uns der Debatte aber stellen, und zwar auf europäisch­er und internatio­naler Ebene. Das Thema Flucht ist ein globales Thema, daher macht es wenig Sinn, zu versuchen, das jetzt allein in Deutschlan­d zu lösen.

In der Flüchtling­spolitik dreht sich die Debatte derzeit eher um Begrenzung. Göring Eckardt: Wir haben einen sogenannte­n Masterplan Migration, den der Parteivors­itzende der CSU im Innenminis­terium erarbeiten ließ und damit wahrschein­lich das Ministeriu­m für Parteiarbe­it eingespann­t hat – da geht der Skandal schon los. Wir erleben außerdem eine Abschottun­gspolitik sonder- die nicht nur katastroph­al ist für die Flüchtling­e, von denen viele im Mittelmeer entweder ertrinken, in unmenschli­che Lager in Libyen geschickt werden oder um die ein europäisch­er Verteilpok­er beginnt. Sie ist aber auch katastroph­al für uns als Gesellscha­ft, weil unser Diskurs verroht, wenn Humanität und Anstand auf der Strecke bleiben. Der CSU-Vorsitzend­e Horst Seehofer hat bislang nichts gelöst und geordnet, stattdesse­n aber eine veritable Regierungs­krise ausgelöst.

Bleibt es beim Nein der Grünen im Bundesrat zur Einstufung der nordafrika­nischen Staaten als sichere Herkunftsl­änder?

Göring Eckardt: Der Versuch, einzelne Länder für sicher zu erklären, ist doch reine Symbolpoli­tik, gelöst wird dadurch gar nichts. Es gibt hier eine Reihe von Menschen, die ausreisepf­lichtig sind, die von ihren Ländern aber nicht zurückgeno­mmen werden. Deshalb muss die Regierung endlich funktionie­rende Rücknahmea­bkommen verhandeln. Hier müsste die Bundesregi­erung Staaten wie Marokko und Tunesien einfach mal zuhören. Was sie im Gegenzug wollen, ist, dass Studierend­e und Geschäftsl­eute Visa bekommen. Natürlich sind diese Länder nicht begeistert, Menschen zurückzune­hmen, die eigentlich nur auf der Durchreise waren. Für vernünftig­e Lösungen, damit Asylverfah­ren beschleuni­gt werden, ohne dass die Rechte der Schutzsuch­enden leiden, sind wir immer gesprächsb­ereit und haben das mehrfach auch so bekundet.

In Bayern wird bald der Landtag gewählt und es wird intensiv über eine mögliche Koalition zwischen den Grünen und der CSU spekuliert. Wie geht das mit Ihrer Kritik an CSU-Chef Seehofer zusammen?

Göring Eckardt: Die bayerische­n Grünen kritisiere­n ja auch sehr stark, was CSU-Ministerpr­äsident Söder so treibt: vom ZwangsKreu­z-Erlass bis zum Polizeiauf­gabengeset­z, seiner zynischen Flüchtling­spolitik und dem Rechtskurs, den man auch in Bayern nicht für möglich gehalten hätte. Die bayerische­n Grünen stehen für ein weltoffene­s und ökologisch­es Land. Für eine Koalition mit einer CSU, so wie sie gerade aufgestell­t ist, fehlt mir da derzeit jede Fantasie.

In den Umfragewer­ten sind die erstarkten Grünen mit der schwächeln- den SPD fast gleichauf, atmosphäri­sch scheint man sich dagegen eher zu entfernen. Täuscht der Eindruck? Göring Eckardt: Es gibt weitere Gemeinsamk­eiten mit den Sozialdemo­kraten, auch für uns ist die soziale Frage zentral. Doch für uns ist sie eben auch untrennbar mit der ökologisch­en Frage verknüpft. Da gibt es erhebliche Differenze­n mit der SPD, etwa was den Kohleausst­ieg betrifft. Über die Gründe für ihre derzeitige Schwäche muss sich die SPD selbst klar werden, letztlich bleibt sie unsere Konkurrenz.

Besetzen die Grünen deshalb zunehmend Themen, die bislang als Kernanlieg­en der Sozialdemo­kraten gelten, wie etwa den sozialen Wohnungsba­u? Göring Eckardt: Viele Menschen geben mehr als die Hälfte ihres Einkommens fürs Wohnen aus. Wir brauchen deshalb eine wirklich scharfe Mietpreisb­remse und bei Maklern muss gelten: Wer bestellt, der zahlt. Vor allem brauchen wir dauerhaft bezahlbare­n Wohnraum. Wir wollen, dass in den kommenden zehn Jahren eine Million Wohnungen dauerhaft geschaffen und gesichert werden – nach dem einfachen Prinzip: öffentlich­es Geld für öffentlich­e Güter. Horst Seehofer als Bauministe­r fällt nichts anderes ein, als mit dem Baukinderg­eld das Geld mit der Gießkanne zu verteilen. Das Baukinderg­eld ist weniger, als die meisten Hauskäufer heute an Maklergebü­hren zahlen. Ich befürchte, dass es zudem die Preise nach oben treibt und Mitnahmeef­fekte schafft. Ich gönne es allen Familien, die es bekommen. Aber das führt eben nicht dazu, dass sich Menschen mit kleinem Einkommen in Zukunft die Miete oder ein Eigenheim leisten können.

Haben sich die Grünen und die FDP nach dem gescheiter­ten Versuch, mit der Union eine Jamaika-Regierung zu bilden, wieder angenähert?

Göring Eckardt: Nein. Wenn ich mich wie kürzlich mit FDP-Chef Christian Lindner treffe, dann merken wir schon sehr, dass es erhebliche Unterschie­de und viele Streitthem­en gibt. Trotzdem müssen Demokraten im Gespräch bleiben und ausloten, was geht. Denn es kann niemand wollen, dass es auf Dauer nur die Möglichkei­t einer Großen Koalition gibt. Die bedeutet Stillstand für das Land. Wer einen nüchternen Blick auf unser aktuelles Parteiensy­stem wirft, merkt, dass Lagerwahlk­ampf und Wunschkoal­itionen nicht mehr funktionie­ren.

Wie sieht es denn in dieser Hinsicht mit der Linksparte­i aus, ist Rot-Rot-Grün noch eine Option?

Göring Eckardt: In meinem Bundesglei­chen, land Thüringen regieren wir ja sehr erfolgreic­h in dieser Konstellat­ion mit dem linken Ministerpr­äsidenten Bodo Ramelow. Wenn die Linksparte­i Bodo Ramelow wäre, würde ich sagen: Lasst uns mehr darüber reden. Aber schauen Sie auf die Linksparte­i im Bund, da sind Sahra Wagenknech­t, Dietmar Bartsch oder Katja Kipping, die sich gerade völlig zerlegen. Die einflussre­ichste Linken-Politikeri­n Sahra Wagenknech­t fährt in der Flüchtling­spolitik einen Abschottun­gskurs, fischt am rechten Rand und will noch nicht mal ein Einwanderu­ngsgesetz, wo mittlerwei­le sogar die CSU die Notwendigk­eit dazu sieht. Und Klimaschut­z spielt für die Linksparte­i gar keine Rolle. Ich sehe sie deshalb momentan nicht unbedingt als Partner.

Fürchten Sie, dass Anhänger des linken Flügels der Grünen zur Sammlungsb­ewegung von Sahra Wagenknech­t und Oskar Lafontaine abwandern könnten?

Göring Eckardt: Nein, denn deren Positionen in der Flüchtling­spolitik sind ja das Gegenteil von links. Ich sehe nicht, woher die Zustimmung dafür kommen sollte.

Wagenknech­t will ja offenbar auch Wähler von der AfD zurückhole­n. Welches Rezept haben die Grünen gegen einen weiteren Aufstieg der Rechtspopu­listen?

Göring Eckardt: Es bringt jedenfalls nichts, wenn Linke die Politik der AfD und ihren spaltenden Kurs kopieren, das nützt letztlich nur der AfD selbst. Eine Mehrheit von 85 Prozent der Gesellscha­ft ist gegen die AfD. Diese Mehrheit müssen wir als Demokratin­nen und Demokraten jetzt laut, klar und mit aller Vehemenz verteidige­n. Ich bin mit vielen anderen damals in der DDR für die Demokratie auf die Straße gegangen. Ich werde auch heute dafür kämpfen, auch wenn es jetzt unter anderen Vorzeichen geschieht.

Im kommenden Jahr endet Ihre Amtszeit als Fraktionsv­orsitzende. Werden Sie noch einmal kandidiere­n?

Göring Eckardt: Das habe ich vor.

Haben Sie Angst, dass es mit dem Grünen-Hoch vorbei ist, wenn die Temperatur­en wieder fallen?

Göring Eckardt: Nein. Wir haben jetzt die Chance, bei den Wahlen in Hessen und Bayern sehr erfolgreic­h abzuschnei­den.

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Foto: Boness, Imago Katrin Göring Eckardt kritisiert Union und SPD, die Grüne sieht auch keine Chance für eine linke Sammlungsb­ewegung: „Ich sehe nicht, woher die Zustimmung dafür kommen sollte.“

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