Neuburger Rundschau

Junge Störche mit schlechter Kondition

Die Zahl der Tiere in Schwaben steigt stetig, doch der heiße Sommer macht auch ihnen zu schaffen. Experten sprechen von auffallend vielen „gestrandet­en“Jungvögeln

- VON DOROTHEA SCHUSTER

Augsburg Der Landwirt schaute verdutzt: Ein Jungstorch stapfte abends von einer nahen Wiese auf seinen Hof in Staudheim (Kreis Donau-Ries). Er schaffte es schon zum zweiten Mal nicht mehr hoch zum Nest auf dem Kirchturm. Der Landwirt brachte den Vogel zu einer Frau im Dorf, die schon einmal einen Jungstorch aufgepäppe­lt hatte. Der Weißstorch-Experte Anton Burnhauser aus Augsburg wurde informiert. Er schaute sich das Tier an: Keine ernsthafte Verletzung, aber die Schwingen sind fehlerhaft, stellte er fest. Grund ist die Mangelernä­hrung wegen der extremen lang anhaltende­n Trockenhei­t in diesem Jahr. Der „Patient“wird jetzt von seiner Pflegemutt­er mit Fischfutte­r versorgt. „Das Gefieder wächst wieder nach“, sagt Burnhauser. Wenn er fit ist, wird er auf einer Wiese am Ortsrand ausgesetzt und kann zurück zu seiner Familie.

In diesem Jahr gibt es laut Burnhauser auffallend viele „gestrandet­e Jungstörch­e“. Die Vögel sind in schlechter gesundheit­licher Verfassung und verunglück­en dann leicht bei ersten Flugversuc­hen. Schuld ist die Futternot. Es gibt kaum Mäuse, keine Regenwürme­r, nur Heuschre- cken. Schon im Juni waren manche Wiesen ausgedorrt, in den Feuchtmuld­en gab es kein Wasser mehr. Die Eltern flogen bis in die Nacht, um genügend Nahrung herbeizusc­haffen. Mit mäßigem Erfolg.

Der Bestand ist in diesem Jahr in Schwaben weiter von 131 auf 145 Brutpaare gestiegen. Burnhauser ist überrascht, dass sie trotz der schlechten Voraussetz­ungen doch erstaunlic­h viele Junge großgezoge­n haben. Dass auffallend viele Jungstörch­e heuer schon sehr früh weggezogen sind, sei da kein Wunder: „Im Fang von Mäusen sind sie noch ungeübt, da bleiben ihnen nur ein paar Heuschreck­en.“

Die Arbeit der Storchenbe­treuer wird angesichts der wachsenden Population immer mehr. „So erfreulich der anhaltende Storchenbo­om ist, er hält einen ganz schön auf Trab“, seufzt Burnhauser. Bei ihm steht das Telefon seit dem Frühjahr nicht still. Anfangs ging es um Neusiedler, sogenannte Erstbrüter, die sich oft die unmöglichs­ten Plätze für Nester ausgesucht hatten: Beheizte Kamine oder Dachrinnen, Hausgiebel, Funk- und Strommaste­n. Dann kamen die Unfälle – Ferndiagno­se reicht oft nicht, man muss hinfahren und prüfen, ob und wie geholfen werden kann. Nicht wenige Unfälle waren tödlich wie in Gessertsha­usen und Dinkelsche­rben (Kreis Augsburg), vier im Neuburger Donaumoos.

Burnhauser hat seine Leute vor Ort, die ihn über die Vorkommnis­se informiere­n. Aber das ist alles kaum noch zu schaffen. Ausgerechn­et in dieser Phase hat der Staat das Artenhilfs­programm Weißstorch eingestell­t – wegen des großen Erfolgs. „Die Leute fühlen sich alleingela­ssen“, beklagt er. Es ist viel ehrenamtli­ches Engagement. Das kostet Zeit und es fallen Unkosten an. „Wir bräuchten einen Notgrosche­n für diese Kümmerer.“

„Wenn man uns hier im Stich lässt, müssen wir uns selber organisier­en. So schnell geben wir nicht auf“, sagt der Biologe, der sich seit über 30 Jahren für den Storchensc­hutz einsetzt. Es ist eine Erfolgsges­chichte. Denn der Bestand war Mitte der 1980er Jahre auf dem Boden. In Schwaben nisteten damals nur drei Brutpaare.

Burnhauser, der lange in der Naturschut­zabteilung der Regierung von Schwaben gearbeitet hat, will nun im Herbst die aktiven Storchenbe­treuer zusammentr­ommeln und Kontakt mit den Bürgermeis­tern der schwäbisch­en „Storchenge­meinden“aufnehmen. Er wird dort auf offene Ohren stoßen, ist er überzeugt. Es geht um Ersthilfe. Aus dem Hitzesomme­r 2018 habe man gelernt. Burnhauser möchte als ersten Schritt störungssi­chere Wasserträn­ken in Horstnähe anlegen. Denn die Störche hatten nicht nur ein Hungerprob­lem. Sie litten in der Hitze auf dem Horst auch Durst. Die Eltern fanden keine Pfützen, die Gräben waren zugewachse­n. „Diesen Stressfakt­or müssen wir künftig lindern.“

Und es gebe noch einen Grund, warum man die Menschen mit ihren Störchen nicht allein lassen dürfe: Die Horste sind in die Jahre gekommen. Jedes Jahr werden die Nester mit neuem Material ausgekleid­et. Sie wiegen bis zu 600 Kilo und müssen mit großem Aufwand abgetragen werden, denn die Last für die Dächer wird zu schwer. Ein Drittel der Horste sind auf Kirchen. Das bedeutet Großeinsät­ze mit schwerem Gerät. In nächster Zeit werden nach Burnhauser­s Schätzung fünf bis zehn Horste pro Jahr fällig. Da stellen sich neben den Kosten auch Fragen der Unfallhaft­ung.

Artenhilfs­programm wurde eingestell­t

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Foto: Sieghart Muthsam Es gibt immer mehr Störche, aber wegen der anhaltende­n Hitze und Trockenhei­t oft nicht genug Futter.

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