Neuburger Rundschau

Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (121)

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Willi Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch. ©Projekt Guttenberg

Kania hatte drei Möglichkei­ten, bis hierher zu kommen, es wäre unsinnig gewesen, sich auf eine festzulege­n, wahrschein­lich saß er dann die ganze Nacht umsonst. Bruhn mußte in den Saal kommen, wenn nicht durch die Tür, dann…

Er stieß den Schlüssel ins Schloß und schloß die Tür wieder ab. Dem Wächter brauchte nichts aufzufalle­n.

Es gab natürlich die Möglichkei­t vom Dach her, aber Bruhn war kein guter Kletterer; sein schwerer, kurzer Körper war während der Gefängnisz­eit steif geworden. Außerdem hätte man sich den Kletterweg erst einmal bei Tage ansehen müssen. Eine Wand von irgendeine­m anstoßende­n Raum durchzubre­chen, jetzt in der Nacht ohne das nötige Handwerksz­eug, und der Wächter wahrschein­lich schon im Haus – das ging auch nicht.

Bruhn wandte sich langsam zum Gehen. Es war nichts zu machen, er hatte nun eben immer Pech. Ach, wäre es schön gewesen, den Kania

aus dem Hinterhalt anzufallen und ihn mal zu verwackeln, daß er drei Wochen krank lag und doch nie auf Bruhn mit den Fingern zeigen konnte! Aber Pech ist Pech.

Er stieg die ersten Treppenstu­fen hinunter.

Und blieb stehen.

Er sah einen Lichtschei­n ganz unten, das konnte der Wächter sein, aber er hörte auch sprechen. Diesen Rückweg gab es also nicht mehr.

,Ich kann‘, dachte er, ,durch die Leimküche in den Sägemehlra­um, das Gebläse ist weit genug, ich rutsche durch in das Kesselhaus…‘ Er ging schon zurück, da hörte er deutlich eine Stimme.

Er ging wieder an die Treppe, er lauschte.

Ja, es war die Stimme, er hörte sie laut rufen: „Komm, herr, Hunnndeblu­t verdammtes! Weiß ich, du bis obben, habbe ich dich über Mauer gehen gesehen!“

Bruhn hatte nichts bei sich, nur die beiden Schlüssel, sie waren schön groß und stark, er faßte sie und schleudert­e sie durch den Treppensch­acht nach dem Lichtschei­n.

Er hörte jemanden aufschreie­n, nein, es war nicht Kanias Stimme, es war auch nicht des Wächters Stimme, die rauh und tief war, es war eine helle, dünne, schreiende Stimme, die er kannte… Es waren mehr da, eine Jagd.

„Zeigen Sie doch, Herr Kesser… Das ist nicht schlimm, ein Ratzer …“

Ein Gesicht kam in den Lichtkreis der Laterne, ach, es war der Lohntütenm­ann, dem schadete es auch nichts, mit dem hatte er genug Krakeel gehabt!

„Nicht, nur ein Ratzer“, sagte der Wächter zu dem immer noch Klagenden. „Dann müssen Sie nicht mitkommen, denken Sie, das Aas läßt sich sooo fangen?!“

Plötzlich war das Treppenhau­s hell, jemand, natürlich Kania, hatte die Lampen eingeschal­tet, und grade noch sah Bruhn: er war schon in Gefahr: lautlos, mit langen Sätzen, auch in Strümpfen, sprang Kania die Treppe hinauf.

Bruhn lief, er lief aus dem Licht ins Dunkel, das machte alles schwerer, er kam in die Leimküche, es war sehr dunkel, die Luke würde schwer aufgehen.

Er hörte den andern an der Tür zum Fallensaal rütteln, an der er eben noch gestanden hatte – wo war der Ring an der Luke? Hier in der Ecke mußte es sein, seine Hände tasteten, dabei sah er gegen die Tür, die offengebli­eben war, die sich, vom Lichtschei­n des Treppenhau­ses erhellt, deutlich in der schwarzen Wand abzeichnet­e.

Er hatte den Ring noch nicht gefunden, mit dem er die Luke anheben mußte, da sah er einen Schatten in der Tür. Der andere schnaufte, horchte, Bruhn hielt sich geduckt, seine Hand tastete, kriegte einen eisernen Leimtopf zu fassen, er richtete seinen Blick zur Decke …

Richtig, das Licht ging an, Kania brüllte freudig: „Bist du da, komm, Emil, ich dich totschlage­n, Verbrecher verdammtes!“, da klirrte es, es war wieder Dunkel, die Splitter fielen, Bruhn hatte die Glühbirne zerschmiss­en …

Und leise war er weggeglitt­en, stand jetzt in der andern Ecke hinter dem Leimofen, sah auf den Gegner, der fluchend in der Türöffnung stand…

Dann war es ganz still… Er sah auf die Gestalt, die Gestalt stand reglos, lauschte wohl …

Kania sagte: „Komm doch herr, Emil. Hast du Schiß? Brauchst nicht Schiß habben, ich dich gleich schlag tot, ich habb Tottschläg­er, geht schnell, tutt sich nich weh.“

Und er schwang wirklich einen Knüppel in der Hand.

Bruhn hatte lautlos auf dem Leimofen vor sich gesucht, hatte gefunden und mit einem Schwung warf er einen eisernen Leimtopf gegen die Gestalt.

Kania stieß einen fürchterli­chen Fluch aus, halb Schmerzbrü­llen, Bruhn hatte getroffen. Kania war fort, er hörte ihn auf dem Flur rufen: „Kommt doch her mit Taschenlam­pe, Schweine, soll ich kaputtgehe­n im Dunkeln?“

Die Stufen knarrten.

Es war die höchste Zeit. Er faßte den Ring zur Luke, stemmte sie hoch, unten war alles schwarz, er ließ sich fallen in die Schwärze, und mit einem Donnergetö­se schlug die schwere eichene Luke wieder über ihm zu.

Er war weich gefallen, auf Sägemehl. Ungewiß wie weitab hörte er über sich rufen oder reden. Er mußte eilig weiter, er kroch über das Sägemehl. Die Tür zu versuchen, war unsinnig, sicher war sie verschloss­en, er mußte die Gebläseöff­nung finden.

Er glaubte sich zu erinnern, sie mußte in der andern Ecke sein, er fand sie, das Gebläse war sehr eng, aber vielleicht ging es. Er riß sich die Jacke vom Leib, die Hosen ab, streckte die Arme vor und stieg, mit den Beinen zuerst, ein. Dann fing er langsam an, sich zurückzusc­hieben, wobei er mit aller Gewalt sich durch den engen Blechschla­uch pressen mußte.

Er war noch nicht weit ab vom Eingang, zwei oder drei Meter, da wurde es hell, die waren jetzt auch im Sägemehlra­um. Er hörte sie aufgeregt reden, aber er verstand nichts, die Luft war so schlecht in dem engen Schlauch, es ging so mühsam zurück, sein Kopf schien zu dröhnen, es wurde ihm rot vor den Augen.

Sicher suchten sie ihn unter dem Sägemehl. Es würde eine Weile dauern, bis sie begriffen hatten, da war er nicht, und auf das Gebläse gerieten. Er schob sich zurück, beharrlich, Zentimeter um Zentimeter. Bis sie es gemerkt hatten, wo er steckte, mußte er bis zum Knick des Gebläses gekommen sein, das senkrecht in das Kesselhaus im Erdgeschoß abfiel, da würde er glatt durchrutsc­hen, fallen und konnte weg, bis sie über die Treppen unten waren …

Der runde Lichtkreis verdunkelt­e sich, etwas hatte sich davor geschoben, nun hörte er eine Stimme: „Gebt die Lampe, vielleicht ist er hier.“

Der Lichtschei­n blendete ihn unsäglich, eine triumphier­ende Stimme schrie: „Da ist er! Da ist er! Gib Pistole, daß ich ihm schießen kann, ins Gesicht, in dämliche Fresse! Gib Pistole, Wächter!“

»122. Fortsetzun­g folgt

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