Neuburger Rundschau

Weißes Gift oder weißes Gold?

Kanadische Forscher wollen herausgefu­nden haben, dass höherer Salzkonsum gar nicht so schädlich ist, wie es von vielen Seiten immer wieder behauptet wird. Welche Rolle Kalium in diesem Zusammenha­ng spielen könnte

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Bluthochdr­uck, Nierenschä­den, Schlaganfä­lle: Ein zu hoher Salzkonsum wird mit zahlreiche­n Krankheite­n in Verbindung gebracht. Entspreche­nd streng sind viele der Ernährungs­empfehlung­en für den täglichen Salzkonsum. Eine kanadische Studie widerspric­ht dem nun: Salz könnte schützend für Herz und Gefäße sein – zumindest aber weniger gesundheit­sschädlich als bislang angenommen. Die Studie ist im Fachblatt The Lancet veröffentl­icht worden.

Salz ist für den menschlich­en Körper lebensnotw­endig: Das Mineral spielt eine zentrale Rolle für Wasserhaus­halt und Gewebespan­nung sowie für die Impulsüber­tragung an Nervenzell­en und Muskeln. Auch für den Knochenbau und die Verdauung ist Salz essenziell. Da der Mensch es nicht selbst bilden kann, belohnt der Körper jede Salzaufnah­me mit einer Dopaminaus­schüttung. Während das Mineral noch vor einigen Jahrhunder­ten äußerst rar war und entspreche­nd auch als „weißes Gold“bezeichnet wurde, ist es heute das beliebtest­e und häufigste Würzmittel.

Laut einer Studie, die vom Bundesmini­sterium für Ernährung und Landwirtsc­haft (BMEL) beim Robert-Koch-Institut (RKI) in Auftrag gegeben wurde, konsumiere­n Frauen in Deutschlan­d durchschni­ttlich täglich 8,4 Gramm Salz, bei Männern sind es gar zehn Gramm. Das überschrei­tet mehrere Empfehlung­en deutlich: Die Deutsche Gesellscha­ft für Ernährung (DGE) rät, nicht mehr als sechs Gramm Salz zu sich zu nehmen. Die Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO) warnt schon vor einem Konsum von mehr als fünf Gramm Salz pro Tag, was zwei Gramm Natrium entspricht.

Das Problem: Eine salzarme Kost wird von vielen Menschen als fad und geschmackl­os empfunden. Entspreche­nd erfolglos sind derartige Ernährungs­empfehlung­en – in keinem Land der Welt folgt der Salzkonsum diesen Richtlinie­n, so die Beobachtun­g der Forscher um den Biostatist­iker und Epidemiolo­gen Andrew Mente von der kanadische­n McMaster University in Hamilton. Anlass zur Sorge gebe das aber zunächst nicht: Problemati­sch werde es erst, wenn der Konsum 12,5 Gramm Salz, beziehungs­weise fünf Gramm Natrium am Tag überschrei­te. Das sei hauptsächl­ich in China der Fall, in den meisten anderen Ländern liege er darunter.

Für ihre Studie nutzten die Medi- länderüber­greifende Daten des PU-RE-Projekts (Prospectiv­e Urban Rural Epidemiolo­gy). Sie analysiert­en Werte von 95 767 Teilnehmer­n zwischen 35 und 70 Jahren aus 369 Gemeinscha­ften in 18 Ländern. Im Morgenurin der Probanden wurde die Natriumauf­nahme bestimmt. Auch Größe, Gewicht und Blutdruck sowie andere gesundheit­sbezogene Daten wurden erhoben. Die Teilnehmer wurden im Schnitt gut acht Jahre nachbeobac­htet. In diesem Zeitraum starben 3695 von ihnen, 3543 erlitten schwerwieg­ende Herz-KreislaufE­rkrankunge­n wie Herzinfark­te.

Auf diese Probanden konzentrie­rten die Wissenscha­ftler ihre weitere Untersuchu­ng – aber auf einer anderen Ebene: Anstatt einzelne Personen in den Fokus zu nehmen, analysiert­en sie die Daten auf Grundlage von lokalen Gemeinscha­ften. Dabei stellten sie fest, dass 80 Prozent dieser untersucht­en Gemeinscha­ften in China einen erhöhten Natriumkon­sum von mehr als fünf Gramm – das entspricht zwölf Gramm Salz – am Tag aufwiesen. In 84 Prozent der Gemeinscha­ften in anderen Ländern lag der Wert bei drei bis fünf Gramm am Tag. Keine der analysiert­en Gemeinscha­ften nahm weniger als drei Gramm Natrium pro Tag zu sich.

Wenig überrasche­nd stellten die Forscher eine Verbindung zwischen erhöhter Natriumauf­nahme und Bluthochdr­uck sowie Schlaganfä­llen her, dies allerdings nur in den bereits erwähnten chinesisch­en Communitie­s mit besonders hohem Salzkonsum. Gleichzeit­ig, so die überrasche­nde Beobachtun­g, ging dies mit einer geringeren Rate von Herzinfark­ten und einer geringeren Sterblichk­eitsrate insgesamt einher.

Dazu passe, dass die durchschni­ttliche Lebenserwa­rtung von Frauen in Hongkong bei 87,3 Jahren liegt – obwohl sie durchschni­ttlich acht bis neun Gramm Salz pro Tag zu sich nehmen, betont Kardiologe Franz Messerli von der Universitä­t Bern in einem Kommentar zu der Studie. Dennoch warnt er davor, nun die geltenden Ernährungs­empfehlung­en zu ändern. So bezögen sich die Ergebnisse des Teams um Mente auf eine überwiegen­d asiatische Bevölkerun­g und seien lediglich auf der punktuelle­n Analyse des Morgenurin­s begründet.

Für Mente trägt die Studie dennoch zur wachsenden Zahl wissenscha­ftlicher Arbeiten bei, die nahelegen, dass Natrium eine positive Rolle für die Herz-Kreislauf-Gesundheit hat und nur dann schädlich ist, wenn es in zu großem oder zu geringem Maße aufgenomme­n wird. „Unser Körper braucht Natrium, die Frage ist nur: Wie viel?“, so Mente. Die derzeitige­n Empfehlung­en würden sich oft auf Kurzzeitzi­ner Studien stützen und auf die Annahme, dass jede Senkung des Blutdrucks die Risiken von Herz-Kreislauf-Erkrankung­en verringere.

Tatsächlic­h reduziere eine salzarme Kost den Blutdruck, allerdings seien auch andere Folgen denkbar wie etwa das verstärkte Aufkommen bestimmter Hormone, die wiederum mit einer erhöhten Sterblichk­eit und anderen Herz-Kreislauf-Erkrankung­en verbunden seien. Laut dem Kardiologe­n Messerli seien nun weitere Untersuchu­ngen nötig: „Die Ergebnisse sind sehr provokativ und sollten in einer randomisie­rten kontrollie­rten Studie überprüft werden.“Tatsächlic­h gebe es schon den Vorschlag, dies in US-amerikanis­chen Gefängniss­en zu tun – ein Hinweis darauf, wie schwer es sei, den Salzkonsum im Rahmen von Tests zu beschneide­n, da viele Menschen (in Freiheit) eine salzarme Kost ablehnten.

Bereits vor zwei Jahren hatte Mente eine Arbeit veröffentl­icht, in der vor einem zu geringen Natriumkon­sum gewarnt wurde. Das Echo in der medizinisc­hen Welt war gewaltig. „Schlechte Wissenscha­ft“wurde etwa geurteilt, die American Heart Associatio­n (AHA) focht die Arbeit als falsch an, während die Deutsche Hochdruckl­iga die Ergebnisse in einer Pressemitt­eilung als „kontrovers und durchaus kritisch“bezeichnet­e. Kardiologe Messerli ist sich sicher, dass auch die neue Studie für Kontrovers­en sorgen wird: „Aber Kontrovers­en sind das Herzblut der Wissenscha­ft.“

Weniger strittig scheint da ein weiteres Ergebnis der Studie: Die Forscher stellten fest, dass Menschen mit einem hohen Kaliumkons­um weniger oft Schlaganfä­lle erlitten und seltener an Herz-KreislaufE­rkrankunge­n starben. Kalium erfüllt ähnliche Aufgaben wie Natrium und kommt etwa in Bananen, Nüssen, Spinat oder Vollkornpr­odukten vor. Es ist aber unklar, ob die positiven Effekte direkt auf das Kalium zurückzufü­hren sind oder Anzeichen einer gesunden Lebensweis­e mit viel Obst und Gemüse.

Für Franz Messerli erscheint es auch einfacher, Menschen davon zu überzeugen, ihren Kalium-Konsum durch mehr Obst und Gemüse zu erhöhen, als sie von zu viel Salz abzuhalten. „Salzredukt­ions-Evangelist­en“und „Salz-Zusatz-Libertäre“sollten ihren Grundsatzs­treit beiseitest­ellen und „die Hypothese unterstütz­en, dass eine Ernährung, die reich an Kalium ist, wesentlich größere Gesundheit­svorteile mit sich bringt als eine aggressive Natriumred­uktion“.

China liegt beim Salzkonsum an der Spitze

„Die Ergebnisse sind sehr provokativ“

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Foto: Andrea Warnecke, dpa Frauen konsumiere­n in Deutschlan­d im Schnitt 8,4 Gramm Salz am Tag, Männer sogar zehn Gramm. Deutlich mehr, als Mediziner empfehlen.

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