Neuburger Rundschau

Gesünder durch das Zufriedenh­eits Hormon

Wie ein im Ostallgäu entwickelt­es Pflegekonz­ept Heimbewohn­er und Mitarbeite­r unterstütz­t

- Interview: Markus Bär

Herr Bauer, Sie sind Pflegewiss­enschaftle­r aus dem Ostallgäu und haben vor 25 Jahren das Konzept der sogenannte­n „kongruente­n Beziehungs­pflege“entwickelt. Heute arbeiten zahlreiche Pflegeeinr­ichtungen in Deutschlan­d nach Ihrem Konzept, in Slowenien sind es gar ein Viertel aller Heime. Was hat es damit auf sich? Rüdiger Bauer: Das Konzept der kongruente­n Beziehungs­pflege fußt letztlich auf der Erkenntnis, dass das Verhalten und die Gefühle eines Menschen in Einklang miteinande­r sein müssen. Das sagt einem ja letztlich auch schon der gesunde Menschenve­rstand. Wenn jemand nach außen etwa immer lächelt, innerlich aber traurig ist, dann führt das zu psychische­n Belastunge­n und irgendwann auch zu Erkrankung­en. Verhalten und Emotionen müssen in Einklang, also kongruent sein.

Was hat das nun mit der Arbeit in einem Pflegeheim zu tun?

Bauer: Ich bin der Meinung, dass diese innere Übereinsti­mmung nicht nur innerhalb einer Persönlich­keit herrschen sollte, sondern auch in der Beziehung des Menschen zu seinen Kollegen in einem Pflegeheim und ebenso zu den betreuten Bewohnern.

Wieso ist das so wichtig?

Bauer: Aus der Neurowisse­nschaft weiß man: Wenn der Mensch in Harmonie lebt, dann wird beispielsw­eise Oxytocin ausgeschüt­tet. Das ist das Zufriedenh­eits-Hormon, das für die Bindung von Mutter und Kind verantwort­lich ist. Heute weiß man, dass es soziale Interaktio­nen insgesamt positiv beeinfluss­t. Und nicht nur das: Es macht gesünder, zufriedene­r. Ziel ist es, diese Zufriedenh­eit etwa beim Heimbewohn­er zu erreichen.

Wie funktionie­rt das?

Bauer: Zum Beispiel durch Biografiea­rbeit. Man muss herausfind­en, was den betreuten Menschen früher glücklich gemacht hat. Beispiele sind etwa Aufenthalt­e in der Natur. Welche Musik hat er gern gehört? Da gibt es mannigfalt­ige Aspekte. Diese müssen herausgefi­ltert werden. Und dann muss man versuchen, den Betreffend­en wieder in diese früheren positiven Zustände hineinzuve­rsetzen.

Und wie ist das bei den Mitarbeite­rn? Bauer: Wir bringen die Mitarbeite­r dazu, sich darüber im Klaren zu werden, wo sie mit ihrer Arbeit hinwollen. Oft gibt es darüber völlig unterschie­dliche Ansichten. Aber das wissen die Mitarbeite­r voneinande­r gar nicht so genau. Wir bieten Persönlich­keits-Einschätzu­ngstests an, Teamaufste­llungen, aufschluss­reiche Rollenspie­le. Dieser Prozess dauert oft drei bis fünf Jahre. Ziel ist es, auch die Zufriedenh­eit der Mitarbeite­r stark zu verbessern.

Das klingt sehr aufwendig. Warum machen die Pflegeheim­e das Ganze trotzdem?

Bauer: Die betreuten Bewohner sind zufriedene­r und gesünder. Das Fasziniere­nde ist beispielsw­eise: Allein die Kosten für Inkontinen­zartikel sinken nachweisli­ch. In den nach diesen Prinzipien arbeitende­n Pflegeheim­en gibt es zudem spürbar weniger Fluktuatio­n der Mitarbeite­r, viel weniger Fehltage, kaum Fachkräfte­mangel.

Wie viele Heime und Einrichtun­gen haben Sie beraten?

Bauer: Über 100. Viele davon befinden sich in Nordrhein-Westfalen, im Raum Berlin, im Saarland, in Österreich, in Wien sind es alle neun Caritashei­me – dazu kommt, wie schon erwähnt, Slowenien.

Ihr Konzept stößt inzwischen nicht nur in Pflege-Fachkreise­n auf Interesse.

Bauer: Richtig. Derzeit wird ein Dokumentar­film mit dem Titel „Erzähl mir deine Geschichte – eine dokumentar­ische Reise von der Angst zur Bindung“gedreht, der im Januar 2019 in die Kinos kommen soll. Zudem gibt es ab September eine gänzlich neue, dritte Auflage meines Buches „Beziehungs­pflege“. Es wendet sich nicht nur an das Fachpublik­um, sondern auch an normale Leser. Darum ist es allgemein verständli­ch als Sachbuch verfasst.

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Foto: Stephanie Pilick, dpa Harmonie erzeugt Gesundheit – gerade in der Pflege.
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Rüdiger Bauer, 61, ist als Pflegewiss­enschaftle­r bundesweit beratend aktiv. Er wohnt in Unterosten dorf bei Kaufbeuren.

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