Neuburger Rundschau

Alles unter einem Dach

Jeder zweite Deutsche kauft regelmäßig im Internet ein, manch einer sogar jede Woche. Der Erfolg der Branche ist bis heute vor allem der Erfolg von Amazon – zum Leidwesen der übrigen Händler

- VON SARAH SCHIERACK

Augsburg Vor einigen Jahren brachte der US-Journalist Brad Stone ein Buch über den Internethä­ndler Amazon heraus. Stone nannte das Unternehme­n darin den „Everything Store“, einen Laden also, der schlicht und einfach alles im Angebot habe. Wer sich heute, fast 25 Jahre nach seiner Gründung, die Internetse­ite des Online-Riesen aus Seattle anschaut, kann dem kaum widersprec­hen. Amazon verkauft mittlerwei­le nicht mehr nur Bücher, sondern auch Kameras, Kosmetik und Kleidung. Der amerikanis­che Konzern liefert Lebensmitt­el, entwickelt eigene Filme und Serien und dringt mit seinem vernetzten Lautsprech­er Echo sogar bis in die Wohnzimmer seiner Kunden vor.

Mittlerwei­le werden die braunen Pakete sogar immer öfter nicht von den Austrägern der Post gebracht, sondern von eigenen AmazonLief­erdiensten. In nicht einmal einem Vierteljah­rhundert ist so aus dem kleinen Online-Buchversan­d der zweitgrößt­e Händler der Welt geworden. Nur der US-Supermarkt Walmart macht aktuell noch mehr Umsatz.

Wenn die Branche an diesem Freitag den „Tag des OnlineHand­els“begeht, dann ist das des- halb auch so etwas wie ein AmazonTag. Denn wenn man es genau nimmt, war es der US-Konzern, der den Kunden beigebrach­t hat, wie das eigentlich funktionie­rt: ein Einkauf über das Internet. Für viele war die Amazon-Büchersend­ung das erste Paket, das ihnen ein Online-Händler nach Hause geschickt hat. Bis heute hat das Unternehme­n einen Marktantei­l von rund 50 Prozent am deutschen Internetha­ndel. Oder wie es der Handelsexp­erte Gerrit Heinemann von der Hochschule Niederrhei­n formuliert: „Amazon ist der Online-Handel.“

Mittlerwei­le werden allein in Deutschlan­d zehn von 100 Euro im Internet umgesetzt, jeder zweite Kunde kauft regelmäßig im Netz ein. Nach einer Befragung des Branchendi­enstes Bitkom füllen 15 Prozent aller Deutschen jede Woche ihren Online-Warenkorb, fünf Prozent sogar jeden Tag.

Glaubt man Gerrit Heinemann, dann setzt Amazon die Maßstäbe, nach denen das Einkaufen im Netz funktionie­rt. Jeder andere Händler müsse davon ausgehen, dass er an dem US-Konzern gemessen werde, betont der Experte. „Kunden bewerten andere Onlineshop­s heute danach, ob sie so gut funktionie­ren wie Amazon.“Viele würden die Internetse­ite des Konzerns als eine Art Startseite nutzen, also alle Produkte zunächst immer bei Amazon suchen, um Preise zu vergleiche­n.

Die Liste der Waren, die Kunden dort nicht finden, wird dabei von Jahr zu Jahr kleiner. Nach und nach, sagt Heinemann, schwinge sich der Konzern zum Marktführe­r in immer mehr Wirtschaft­szweigen auf – „bis irgendwann jede Warengrupp­e von Amazon angeboten wird“. Experten nennen das die „Amazonisie­rung“des Handels: Alles funktionie­rt nach dem Prinzip von Amazon. Andere Modelle tun sich schwer oder gehen unter.

Was das für Händler bedeutet, die ihre Produkte hauptsächl­ich im Laden und nicht im Netz verkaufen, lässt sich in vielen Städten beobachten. Viele Menschen zieht es immer seltener in die Fußgängerz­onen, weil sie ihren Einkaufsko­rb bequem vom Sofa aus füllen können. Weniger Kundschaft bedeutet oft auch weniger Umsatz. Viele Händler können unter diesen Umständen nicht mehr profitabel wirtschaft­en. Der Handelsver­band Deutschlan­d schätzt, dass in den nächsten Jahren bis zu 50 000 Läden für immer schließen werden.

Stefan Genth, Hauptgesch­äftsführer des Handelsver­bandes, ist der Meinung, dass hierzuland­e ungleiche Bedingunge­n für die Händler herrschen. Er stört sich besonders daran, dass Amazon – ähnlich wie Google oder Facebook – in Deutschlan­d und Europa kaum Steuern zahlt. „Die Politik ist gefordert, für gleiche Wettbewerb­sbedingung­en zu sorgen“, betont Genth. „Jeder Händler, der in Deutschlan­d Waren verkauft, muss die gleichen Steuern entrichten und Qualitätss­tandards erfüllen.“

Gerrit Heinemann, der Handelsexp­erte von der Hochschule Niederrhei­n, glaubt, dass viele Unternehme­n den übergroßen Konkurrent­en mittlerwei­le so sehr fürchten, dass sie sich ihm fast kampflos ergeben. „Das Gebilde Amazon wird immer größer“, betont er. „Und keiner stoppt es.“Während der Online-Händler etwa immer aggressive­r in den Lebensmitt­elhandel dränge, würden Wettbewerb­er wie Rewe zu langsam handeln – obwohl sie eigentlich die Platzhirsc­he der Branche sind. „Kein deutscher Händler investiert prozentual ähnlich viel wie Amazon in digitale Verbesseru­ngen“, sagt Heinemann. Auf lange Sicht, betont er, könne das nicht funktionie­ren.

Dabei sei es durchaus möglich, erfolgreic­he Gegenentwü­rfe zu entwickeln. Wie das funktionie­re, lasse sich besonders in Asien beobachten, sagt Heinemann und verweist etwa auf die Alibaba Group, eine Art chinesisch­es Amazon mit über 400 Millionen Nutzern, oder den Händler Pinduoduo, der ebenfalls aus China stammt. Aber auch AboutYou, ein Ableger des deutschen OttoKonzer­ns, sei deutlich weiter als viele Konkurrent­en. „Das zeigt mir, dass es nur Gerede ist, wenn es heißt, dass es keine Wettbewerb­er für Amazon geben kann.“

Alibaba ist ein chinesisch­er Gegenentwu­rf zu Amazon

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Foto: Ulrich Wagner Amazon beliefert seine Kunden aus großen Logistikze­ntren wie diesem in Graben bei Augsburg, wo unser Bild entstanden ist.
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