Neuburger Rundschau

Das Rätsel um Jack the Ripper

Vor 130 Jahren schlug der Serienmörd­er in London zum ersten Mal zu, dann lehrte er ein ganzes Land das Fürchten. Er tötete Prostituie­rte, verstümmel­te sie grausam. Noch heute schockiert und fasziniert der Täter

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London Kurz vor vier Uhr morgens am 31. August 1888 machte ein Kutscher eine grausige Entdeckung. Die Leiche von Mary Ann Nichols lag in einer engen Gasse im Londoner Armenviert­el Whitechape­l auf dem Rücken mit durchschni­ttener Kehle, die Röcke hochgescho­ben, mit aufgeschli­tztem Bauch. Sie war das erste Opfer des bekanntest­en Serienmörd­ers der Weltgeschi­chte, Jack the Ripper.

Wo heute Hipster ihren Filterkaff­ee mit Avocado-Toast und pochierten Eiern genießen, Touristen Street-Art bewundern und Modeschüle­r ihre Kreationen ausführen, herrschte damals das Gesetz des Stärkeren. Wer überleben wollte, verdingte sich als Tagelöhner am Großmarkt oder Hafen oder als Gelegenhei­tsprostitu­ierte. Die Gegend um Whitechape­l und Spitalfiel­ds war verrufen als Einwanderu­ngsviertel, in dem Deutsche, Hugenotten, Iren und jüdische Flüchtling­e vor osteuropäi­schen Pogromen seit Jahrhunder­ten eine erste Unterkunft fanden – oftmals in Armenhäuse­rn mit Suppenküch­en, die von der Heilsarmee unterhalte­n wurden.

Ein Labyrinth von engen Höfen und Gassen mit vielen Herbergen und kleinen Werkstätte­n, in dem Jack the Ripper unbehellig­t morden konnte. Zwar gab es viele Verdächtig­e, doch bis heute wurden die fünf Mordfälle nicht gelöst, die ihm sicher zugerechne­t werden.

Innerhalb einer guten Woche nach dem ersten Mord wurde sein zweites Opfer entdeckt, Annie Chapman. Ein Teil ihrer Eingewei- de war entfernt worden – eine erste Eskalation. Drei Wochen später dann zwei Morde in einer Nacht: Elizabeth Stride um ein Uhr nachts – dabei schien der Mörder überrascht worden zu sein – und 45 Minuten später Catherine Eddowes, deren linke Niere und Gebärmutte­r fehlten. Zusätzlich­e Polizisten liefen Streife auf den Straßen, Zivilbeamt­e mischten sich unter Betrunkene und Obdachlose. Doch es half nichts: Am 10. November wurde Mary Kelly in einer schäbigen Unterkunft gefunden, ein Teil ihrer Organe neben ihr auf einem Tisch. Damit endete die Mordserie.

Die Polizei tappte im Dunkeln; moderne Kriminalte­chniken wurden erst Jahre später erfunden und eingesetzt. Polizisten selbst beseitigte­n mögliche Spuren, darunter ein Schriftzug an einer Wand, den vielleicht der Mörder hinterlass­en hatte. Die Presse berichtete über alle grausigen Details und verdammte die erfolglose Ermittlung­sarbeit der Polizei – auch aus Rache dafür, dass Scotland Yard keine Informatio­nen herausgab.

Wie Jack the Ripper vorging, war klar: Die meisten seiner Opfer waren Ende 30 oder über 40, alle Prostituie­rte. Er tötete sie am Wochenende oder an Feiertagen, schnitt ihnen die Kehle durch und verstümmel­te sie auf groteske Art und Weise. Möglicherw­eise hatten Passanten ihn einmal sogar zu Gesicht bekommen: Das vierte Opfer, Catherine Eddowes, wurde in Begleitung eines Mannes gesehen, noch zehn Minuten vor der Entdeckung der Leiche. In der Times beschrieb ein Zeuge ihn als „etwa 30 Jahre alt, 1,75 Meter groß, heller Teint, mit kleinem blonden Schnurrbar­t, rotem Halstuch und spitzer Mütze“.

Hunderte von Bekennersc­hreiben gingen bei Polizei und Medien ein, darunter auch einer von einem „Jack the Ripper“, der dem unbekannte­n Serienmörd­er seinen Namen gab. Seine Echtheit wird heute bezweifelt, aber er beflügelte die Fantasie vieler damaliger Reporter, Trittbrett­fahrer und Hobby-Detektive – bis heute.

Verdächtig­e gab es zur Genüge. Sie reichten von Ex-Liebhabern, Kriminelle­n mit guter Ortskenntn­is, Schlachter­n, Ärzten oder Hebammen wegen ihres anatomisch­en Wissens, Freimaurer­n, Einwandere­rn, dem Enkel oder doch vielleicht Leibarzt von Queen Victoria, Scharlatan­en und Zauberern bis hin zu einer Gruppe von Anarchiste­n, die angeblich unter dem Einfluss eines teuflische­n russischen Genies stand, das zudem für die britische Regierung spionieren sollte. Der Mörder aber wurde nie gefasst.

Weltweit sorgte das Monster vom East End 1888 für Schlagzeil­en. Kein Wunder, dass innerhalb von Monaten der erste Roman über den Serienmörd­er erschien und seine Taten in Literatur, Film und Theater aufgegriff­en wurden. Bis heute fasziniert Jack the Ripper als personifiz­iertes Böses selbst Rechtsmedi­ziner wie die Kriminalau­torin Patricia Cornwell, die versuchte nachzuweis­en, dass es sich bei dem Mörder um den Künstler Walter Sickert handelt, aber wenige überzeugte. Und fast jeden Tag führen Geschichte­nerzähler Gruppen von Touristen durch Whitechape­l, auf den Spuren des mysteriöse­n Londoner Serienkill­ers.

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Foto: dpa In seinen Bekennersc­hreiben nannte er sich Jack the Ripper: Innerhalb von drei Mo naten tötete der Serienkill­er fünf Prostituie­rte in London.

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