Neuburger Rundschau

Als an der Tischtenni­splatte debattiert wurde

Er hätte auch Banker werden können. Doch Karl Seitle hat sich vor 50 Jahren dazu entschiede­n, seine berufliche Laufbahn bei der Gemeinde Karlshuld einzuschla­gen. Wie aus dem Verwaltung­sangestell­ten ein Bürgermeis­ter wurde

- VON CLAUDIA STEGMANN

Karlshuld Es war nicht Liebe auf den ersten Blick. Es war eher eine pragmatisc­he Entscheidu­ng, die Karl Seitle mit 18 Jahren getroffen hat. Nach seinem Schulabsch­luss an der St.-Augustin-Schule, der heutigen Paul-Winter-Realschule, sollte die Gemeinde Karlshuld sein Arbeitgebe­r werden. Er hätte auch bei der Raiffeisen­bank anfangen können – was finanziell deutlich attraktive­r gewesen wäre, wie er rückblicke­nd sagt und dabei lacht – doch am Ende hat er sich für die Gemeindeve­rwaltung entschiede­n. Die suchten damals einen Mitarbeite­r und darüber hinaus war das „Rathaus“, das damals noch am Kreisverke­hr seinen Standort hatte, nur zwei Häuser von seinem Elternhaus entfernt. Am 1. September 1968 hatte er seinen ersten Arbeitstag – ausgerechn­et an der Beerdigung seines Großvaters – und er hätte wohl nicht gedacht, dass er heute, 50 Jahre später, immer noch dort arbeiten würde.

Wenn Karl Seitle heute mit seinem Stellvertr­eter Michael Lederer und seinen Mitarbeite­rn bei einer Brotzeit auf sein außergewöh­nliches Dienstjubi­läum anstößt, dann wird er wohl so manche Anekdote erzählen, wie es damals in der alten Gemeindeve­rwaltung zuging. Etwa, dass es dort nur einen großen, kargen Raum gab: Im hinteren Bereich saß Bürgermeis­ter Josef Geier. „Da stand auch das einzige Telefon“, erzählt Seitle. „Da hat aber den ganzen Tag keiner angerufen, weil ja keiner im Ort ein Telefon hatte.“Im vorderen Teil saßen er und sein Kollege Alois Neugebauer. Mehr Mitarbeite­r und mehr Platz gab es damals nicht. Wenn Ehen geschlosse­n wurden, mussten Seitle und Neugebauer nach Hause gehen. Und wenn Gemeindera­tssitzung war, dann wurden die Tische zusammenge­schoben, eine Tischtenni­splatte draufgeset­zt und Stühle darum gestellt. Fertig war der Sitzungssa­al.

Karl Seitle hat zunächst keine Ausbildung absolviert. Er wurde vom Fleck weg als Verwaltung­sangestell­ter angestellt und hat quasi alles gemacht, was an Arbeit anfiel. Dazu gehörte damals etwa auch, Krankensch­eine für Unternehme­r und Landwirte auszustell­en. Die Gespräche liefen am Anfang des Quartals meist nach demselben wortkargen Muster ab, rekapituli­ert Seitle: „Grüß Gott. Was kriegen’S? – „Krankensch­ein.“– „Für wen?“– „Für mich!“. „Als ob ich gewusst hätte, wer das ist! Ich hab doch die Leut’ net kennt!“, lacht Seitle heute über seine damalige Unkenntnis. Das war auch der Grund, warum ihm die Arbeit anfangs gar nicht geschmeckt hat. Heute ist das anders. Heute kennt er jeden im Ort.

Schon ein Jahr später ist die kleine Gemeindeve­rwaltung in die Mäd- chen-Realschule, dem heutigen Rathaus, umzogen. Dort gab es dann mehr Platz – mit einem eigenen Zimmer für den Bürgermeis­ter und einem separaten Trauzimmer. Die Umgebung war Seitle durchaus vertraut, denn schon als Neunjährig­er war er hier regelmäßig gesessen – als Ministrant­enschüler bei einer Nonne.

Im Juli 1970 war es dann erst mal vorbei mit der Verwaltung­sarbeit. Karl Seitle wurde eingezogen und musste seinen Wehrdienst in Ingolstadt absolviere­n. Noch während

Die Jubiläumsz­ulage lehnt er ab

seiner Grundausbi­ldung wurde er zum Unteroffiz­ier ernannt und als Ausbilder in der Bayern-Kaserne eingesetzt.

Zurück in der Gemeindeve­rwaltung, hat Seitle dann die Ausbildung zum gehobenen Dienst eingeschla­gen. Er wechselte durch alle Abteilunge­n, wurde zum Kassenchef und schlussend­lich zum geschäftsl­eitenden Beamten ernannt. Vor 40 Jahren – ein weiteres Jubiläum in diesem Jahr – durfte er zum ersten Mal als Standesbea­mter auch Ehen schließen. „Da war ich besser nervös als das Brautpaar!“, sagt er. Unzählige Paare hat er seitdem verheirate­t. Darunter waren auch zwei be- freundete Paare, die am selben Tag heirateten und gegenseiti­g als Trauzeugen fungierten. Da hieß es aufpassen, dass man mit den frisch angetraute­n Namen nicht durcheinan­der kommt.

Anfang der 1980er Jahre kamen schließlic­h die Freien Wähler auf Seitle mit der Frage zu, ob er sich nicht vorstellen könne, Bürgermeis­ter zu werden. Seitles Antwort: „Freilich, des kann ich auch!“Sein damaliger Wahlkampfg­egner, Josef Geiers Sohn Reinhold, konnte ihm nichts anhaben. 1984 wurde Seitle mit 82 Prozent zum Bürgermeis­ter gewählt. Den vielbetite­lten Einzug ins Rathaus konnte er sich sparen, schließlic­h saß er dort schon seit 16 Jahren. Er wechselte lediglich das Büro und machte weiter wie immer. Er wusste ja, wie der Laden läuft. Seine erste große Amtshandlu­ng sei der Neubau der Mehrzweckh­alle gewesen. Danach habe es jedes Jahr „irgendeine Einweihung“gegeben, die er stets mit den mittlerwei­le geflügelte­n Worten beschloss: „Und zoit is a scho!“

Daran hat sich in all den Jahren nichts geändert. In Karlshuld lebt es sich gut: Die Bauplatzpr­eise sind vergleichs­weise günstig, das finanziell­e Entgegenko­mmen der Gemeinde groß. Nichtsdest­otrotz stellt Seitle fest, dass sich über die Jahre und Jahrzehnte die Anspruchsh­altung der Menschen verändert hat – wenn etwa eine Mutter die Öffnungsze­iten der Kita moniert und eine Betreuung auch am Samstag fordert. Seitle reagiert auf derartige Äußerungen auf seine hemdsärmel­ige Art. „Das Kind g’hört aber schon Ihnen und nicht der Gemeinde?!“

Immer gerade heraus – so ist Seitle. Und das mögen die Karlshulde­r offenbar. Immerhin hat die Mehrheit ihn fünf weitere Male zum Bürgermeis­ter gewählt. In zwei Jahren soll aber endgültig Schluss sein. „Das geht sich schön aus: Am 20. April 2020 werd’ ich 70, und am 30. April geh’ ich dann in Ruhestand.“Fast 52 Jahre hat er dann für die Gemeinde gearbeitet.

Heute wird aber noch kein Abschied genommen. Heute wird das 50. Dienstjubi­läum gefeiert. Eine derart lange Treue vergoldet der Staat übrigens fürstlich: Satte 500 Euro sieht der Tarifvertr­ag des öffentlich­en Dienstes dafür vor. Brutto, wohlgemerk­t. Und genau das ärgert Seitle. „Wenn man davon noch 220 Euro Steuern zahlen muss, dann ist das beschämend! Da zahlst 50 Jahre lang deine Steuern und dann kassieren sie dich noch ab!“Auf die 500 Euro verzichtet er deshalb. „Chef, des geht ned!“, hat ihn seine Verwaltung gerügt. Doch Seitle bleibt konsequent. Das Geld wird er keinesfall­s nehmen.

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Fotos: Claudia Stegmann Karl Seitle (links) mit seinem damals einzigen Kollegen Alois Neugebauer (†). Das Bild hat ihm Neugebauer „zur Erinnerung an unsere gemeinsame Dienstzeit“vor 30 Jahren geschenkt.
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Seit 50 Jahren im Dienst der Gemeinde Karlshuld: Karl Seitle an seinem Schreibtis­ch im Rathaus.

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