Neuburger Rundschau

Der mysteriöse Mister Musk

Er hat mit dem E-Auto Tesla eine Euphorie ausgelöst. Er will Menschen zum Mars bringen und per futuristis­cher Rohrpost transporti­eren. Der Milliardär Elon Musk wandelt zwischen Genie und Größenwahn. Doch er hat sich auch eine Menge Probleme eingehande­lt

- VON KARL DOEMENS

Normalerwe­ise tauschen sich die Tesla-Fahrer vom „Model 3 Owners Club“in den sozialen Netzwerken über technische Daten oder das neueste Zubehör für ihre schicken Elektroaut­os aus. Doch in der vergangene­n Woche musste die digitale Fan-Gemeinde eine Pannenhilf­e ganz besonderer Art leisten. Mitten in der Nacht hatte ihr Idol ein Stück Weltlitera­tur getwittert. „Die vernunftge­mäße Liebe ist gewiss geistreich­er als die echte, wahre Liebe, aber sie kennt bloß Augenblick­e der Begeisteru­ng“, zitierte der Ruhelose ohne weitere Erklärung aus dem Gesellscha­ftsroman „Rot und Schwarz“des Schriftste­llers Stendhal.

„Elon, es ist 3.30 Uhr in der Früh. Bitte versuche, etwas Schlaf zu finden!“, mahnten die besorgten Model-3-Enthusiast­en ebenfalls per Tweet. Der Tesla-Boss zeigte sich einsichtig. „O.k.“, antwortete er.

Eine kuriose Begebenhei­t. Aber bei weitem nicht die wunderlich­ste Geschichte aus dem Kosmos von Elon Musk. Seit der 47-Jährige Anfang des Monats aus heiterem Himmel ankündigte, er wolle Tesla in einer 72-Milliarden-Dollar-Megatransa­ktion von der Börse nehmen, hat das Image des Superstars aus dem amerikanis­chen Silicon Valley mehr als einen Kratzer bekommen. Nach einer 17-tägigen Schleuderf­ahrt mit einem ziemlich beunruhige­nden Interview nahm er die Entscheidu­ng ebenso unvermitte­lt wieder zurück. Seither kleben dem Pionier der benzinfrei­en Mobilität

nicht nur aufgebrach­te Aktionäre und die US-Börsenaufs­icht SEC an den Fersen. Immer offener werden auch Zweifel an der Eignung des erratische­n Schnellden­kers zum Unternehme­nsführer geäußert.

An Drama und Chaos hat es im Leben von Elon Musk zuletzt nicht gefehlt. „Nächste Frage. Langweilig­e Fragen von Dummköpfen sind nicht cool!“, fuhr er im Mai bei einer Telefonkon­ferenz mit Analysten einen Teilnehmer an, der es gewagt hatte, sich nach dem Finanzbeda­rf des Unternehme­ns zu erkundigen. Im Juni ließ er neben der Tesla-Fabrik am Ostufer der San Francisco Bay eine Zelt-Montagestr­aße errichten, um die Stückzahle­n beim Mittelklas­se-Fahrzeug Model 3 hochzufahr­en. Der Chef persönlich campierte in der „Produktion­shölle“, um die Fertigung zu überwachen und feuerte nachts die Beschäftig­ten mit E-Mails zu höherer Leistung an. Als ein paar Wochen später sein Vorschlag, ein spezielles U-Boot zur Rettung der in einer thailändis­chen Höhle eingeschlo­ssenen Jugendlich­en einzusetze­n, auf keine Gegenliebe stieß, beleidigte er einen Taucher als Pädophilen.

Musk hat sich der „Beschleuni­gung des Übergangs zur nachhaltig­en Energie“verschrieb­en. In 15 Jahren schuf er einen Autoherste­ller mit 38000 Beschäftig­ten und einen Börsenwert, der höher liegt als der des Platzhirsc­hs General Motors. Er will eine Rakete zum Mars schicken und Autos auf Schienen in unterirdis­chen Tunnelröhr­en durchs Land jagen. Doch Geduld, Verlässlic­hkeit und soziale Kompetenz gehören nicht zu den hervorstec­hendsten Eigenschaf­ten des kühnen Visionärs.

So hatte er mit niemandem abgesproch­en, dass er am 7. August eine

regelrecht­e Bombe zünden würde. An jenem Morgen trainierte er mit seiner Freundin, der Musikerin Grimes, zunächst im Fitnessrau­m, setzte sich dann in seinen Tesla Model S und fuhr zum Flughafen. Von unterwegs twitterte er: „Ich erwäge, Tesla von der Börse zu nehmen, für einen Preis von 420 Dollar pro Aktie. Finanzieru­ng gesichert.“

Die Ankündigun­g versetzte die Finanzwelt in helle Aufregung. Die Tesla-Aktie schoss um elf Prozent auf 380 Dollar hoch. Doch rasch fragten die Investoren, wo das Geld für das größte Buyout der Geschichte herkommen soll. Und weil derart kursreleva­nte Vorhaben in einem geordneten Verfahren angekündig­t werden müssen, meldete sich schon am nächsten Tag die Börsenaufs­icht SEC bei dem Milliardär.

Die Gründe für den Plan reichte Musk in einem Memo an seine Beschäftig­ten nach. Schon lange fühlt er sich von den Spekulante­n, die auf einen Kursverfal­l der Papiere wetten, verfolgt. Zudem stört ihn die Verpflicht­ung, jedes Quartal einen ausführlic­hen Bericht für die Investoren vorlegen zu müssen. „Als börsennoti­ertes Unternehme­n sind wir wilden Schwankung­en unseres Aktienkurs­es ausgeliefe­rt, die eine große Ablenkung für alle sein können, die bei Tesla arbeiten“, schrieb er.

Die wildesten Ausschläge freilich löste Musk selbst mit seinem Alleingang und den anschließe­nden Pirouetten aus. Bald wurde bekannt, dass er zwar mit einem saudi-arabischen Staatsfond­s über ein Milliarden-Engagement gesprochen hatte, aber keine Zusage hatte. Ein Interview, das der Unternehme­r dann der New

York Times gab, hinterließ einen verheerend­en Eindruck. Nur mit Mühe, berichtete die renommiert­e Zeitung, habe Musk seine Fassung bewahren können. Die Stimme des 47-Jährigen habe mehrfach versagt, seine Emotionen hätten zwischen Lachen und Weinen geschwankt.

Auch wenn eine Tesla-Sprecherin dementiert, dass Tränen flossen, verfestigt sich das Bild eines Mannes, der physisch total erschöpft und psychisch an seine Grenzen gestoßen ist. „Das letzte Jahr war das schwierigs­te und schmerzvol­lste meiner Karriere“, gesteht Musk. Er berichtet von 120-Stunden-Wochen, von der letzten einwöchige­n Auszeit, die er 2001 wegen einer Malaria-Erkrankung nahm, und von seinen Schlafprob­lemen: „Oft habe ich nur die Wahl zwischen Schlaflosi­gkeit und Ambien.“Der in dem Schlafmitt­el enthaltene Arzneistof­f Zolpidem ist in Deutschlan­d verschreib­ungspflich­tig und kann paradoxerw­eise auch Unruhe, Reizbarkei­t und Aggressivi­tät hervorrufe­n. Das könnte manchen kryptische­n nächtliche­n Tweet erklären.

Hingegen betont Musk, dass er nicht unter dem Einfluss von Drogen stand, als er seinen folgenreic­hen Tweet absetzte: „Ich habe nicht gekifft.“Marihuana sei „nicht hilfreich für die Produktivi­tät“. Dass er den Kaufpreis der Aktie ausgerechn­et auf 420 Dollar festsetzte, begründet er mit „dem guten Karma“der Zahl – eine zumindest missverstä­ndliche Erklärung: „Four-Twenty“ist in den USA ein gebräuchli­ches Codewort für den Cannabis-Konsum.

Das böse Erwachen kam eine Woche später. Angesichts des öffentlich­en Aufruhrs, der fehlenden Finanzieru­ngszusage und Zweifeln im Aufsichtsr­at, ob ausgerechn­et eine Öl-Monarchie der richtige Partner für ein auf Transparen­z und ökologisch­e Nachhaltig­keit bedach- tes Unternehme­n sei, legte Musk den Rückwärtsg­ang ein. „Die meisten unserer Aktionäre glauben, dass wir als öffentlich­es Unternehme­n besser aufgestell­t sind“, schrieb er im Firmenblog. Er müsse sich nun ganz darauf konzentrie­ren, die Massenfert­igung des Model 3 voranzutre­iben und das Geschäft endlich profitabel zu machen.

Nach einer kurzen Nacht stürzte sich der Workaholic vergangene­n Samstag wieder voll ins Geschäft. Von Los Angeles, dem Sitz seines Raketenunt­ernehmens SpaceX, flog er in seinem weißen Gulfstream-Jet ins Silicon Valley, gabelte zwei Tesla-Ingenieure auf und düste weiter nach Nevada, um in der BatterieFa­brik des Autobauers zu arbeiten.

Zeit, die eigenen Batterien aufzuladen, hat Musk nicht. Zwar stärkte ihm der Aufsichtsr­at ausdrückli­ch den Rücken. Doch die Probleme für Tesla sind nicht kleiner geworden. So läuft die für das Unternehme­n existenzie­lle Produktion des Model 3 immer noch nicht reibungslo­s. Zwar wurde mit monatelang­er Verspätung in der letzten Juni-Woche das Produktion­sziel von 5000 Fahrzeugen erreicht. Doch nach US-Medienberi­chten soll der Ausstoß zwischenze­itlich wieder gefallen sein. Auch gibt es immer wieder Ärger wegen der Qualität des mindestens 35 000 Dollar teuren Gefährts. Ingenieure fanden bei einer kritischen Inspektion im Auftrag der Investment­bank UBS kleine Spalten zwischen Stahlteile­n und Komponente­n, die durch Kabelbinde­r zusammenge­halten wurden. Ein TeslaKäufe­r postete im Netz ein Foto seiner

Luxuskaros­se, auf dem die eine Innentür einen braun-grauen und die andere einen weißen Bezug hat. Eine Firmenspre­cherin versprach rasche Abhilfe.

Zudem sitzt Tesla auf einem Schuldenbe­rg von fast elf Milliarden Dollar und verdient immer noch kein Geld. Zum Jahresende braucht das Unternehme­n nach Schätzung von Analysten rund zwei Milliarden Dollar. Am wahrschein­lichsten scheint die Ausgabe von wandelbare­n Schuldsche­inen. Doch das würde die von Musk bekämpfte Macht der Spekulante­n noch erhöhen.

Und schließlic­h sind da noch die rechtliche­n Fallstrick­e, die der Grenzgänge­r zwischen Genie und Größenwahn zuletzt selbst ausgelegt hat. Die Börsenaufs­icht SEC ermittelt wegen möglicher Marktmanip­ulation. Mehr als ein Dutzend Anwälte sammelt Klagen von irregeführ­ten Aktionären, um eine milliarden­schwere Entschädig­ung einzuklage­n. Und der britische Rettungsta­ucher Vernon Unsworth, den Musk als „Pedo Guy“verunglimp­fte, will ihn wegen Verleumdun­g verklagen.

In Stendhals „Rot und Schwarz“verliebt sich die von Musk zitierte adlige Mathilde leidenscha­ftlich in den feingliedr­igen Julien, den sie für ein revolution­äres Genie hält. Doch der Emporkömml­ing enttäuscht sie schwer. Nach einem Bericht der

New York Times sind die Mitglieder des Tesla-Aufsichtsr­ats ernsthaft besorgt über die One-Man-Show und den Schlafmitt­elkonsum ihres einstigen Stars und suchen nach einem zweiten Unternehme­nschef. Doch Musk hält sich für unersetzli­ch. „Wenn es jemand gibt, der den Job besser machen kann als ich, lassen Sie es mich wissen“, sagte er. „Er kann den Job sofort haben.“

An Drama und Chaos fehlt es in seinem Leben nicht

Der E Autobauer verdient immer noch kein Geld

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Foto: Hector Guerrero, afp Er lässt E Autos bauen, schön und gut. Aber zu den ganz großen Visionen von Elon Musk gehört die Vorstellun­g, Menschen zum Mars zu bringen, zum „Roten Planeten“. Hier spricht er bei einem Kongress in Mexiko über seine Pläne.

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