Not und Elend an der Donau
Der Dreißigjährige Krieg brachte vor 400 Jahren unvorstellbares Leid nach Donauwörth und die Region
Donauwörth Ein Flügelschlag kann die Erde zum Beben bringen, so scheint es immer wieder durch die Menschheitsgeschichte hindurch. Ein örtlicher Zwist wird zum Auslöser einer nationalen, ja europaweiten Katastrophe. Eine solch vermeintlich lokale Gegebenheit war sowohl das Gerangel an der Donauwörther Umkehr zwischen Protestanten und Katholiken im Jahr 1606 wie auch der Aufstand evangelischer Landesherren zwölf Jahre später in Böhmen. Kreuz- und Fahnengefecht und Prager Fenstersturz von 1618 – beides reiht sich wie bei einer Perlenkette aneinander auf dem Weg hin zur Katastrophe (siehe Info). Die Region rund um Donauwörth gehört zu jenen, die der Dreißigjährige Krieg, der vor 400 Jahren begann, am härtesten traf.
Gäbe es Fotografien aus der Zeit, in der die Massenheere mitsamt ihrem Tross durch Nordschwabens Städte und Dörfer gezogen waren, sie wären schier unerträglich. Geplünderte Höfe, entvölkerte Dörfer. Die Folgen von Schlachten und Seuchen schrien zum Himmel.
Zu Beginn des 17. Jahrhunderts hatte Donauwörth ungefähr 4000 Einwohner, was sich rasch ändern sollte. Die Reichsstadt verlor ein Gros ihrer Freiheit beziehungsweise ihrer Privilegien, nachdem Kaiser Rudolf II. – im Zuge des Kreuz- und Fahnengefechts am 3. August 1607 und betont undiplomatischer Briefe aus dem Rathaus – die Reichsacht über Donauwörth verhängt hatte. Es war die einzige unter 80 Reichsstädten, die das traf. Sahen sich vorher Katholiken in ihren Rechten missachtet, so kam es diesmal zum Exodus der Evangelischen. Die Acht machte die Bürger zu Vogelfreien, ihr Vermögen wurde Staatseigentum – die Donauwörther waren angreifbar, durften nicht aufgenommen und beschützt werden. Ein wirtschaftlicher Niedergang begleitete die politischen Spannungen. Im Vorfeld des Krieges wurde die ökonomisch starke Reichsstadt zur bloßen bayerischen Pfandstadt.
Als Folge der dramatischen Ereignisse – Fahnengefecht und Fenstersturz – kam es zu Verhärtungen bei der Lagerbildung im deutschen Fleckenteppich der Herrschaftsgebiete und letztlich zu klaren kriegerischen Auseinandersetzungen samt ihren schrecklichen Konsequenzen. In der ersten Phase des Dreißigjährigen Krieges allerdings, bis etwa 1625, blieb das ohnehin gebeutelte Donauwörth noch recht unberührt vom Krieg. Das soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Stadt auch am Anfang des Konfliktes militärisch belastet war. Die Soldateska wie jene im Jahr 1625 durchziehenden kaiserlichen Truppen musste jeweils von den Bewohnern der Städte versorgt werden. Die Söldnertruppen bedankten sich oftmals mit Willkür und Rohheit. Zudem waren die hygienischen Umstände in den riesigen Trossen mitunter katastrophal. 1627 wurde die Pest in Donauwörth eingeschleppt.
1630 griff das protestantische Schweden in den Krieg ein, König und Feldherr Gustav Adolf, der in Pommern gelandet war, stieß Richtung Süden vor. Für den Angriff auf das kaisertreue Bayern wurde die strategisch bedeutsame Lage für Donauwörth zum Verhängnis. Die Stadt mit ihrem Donauübergang galt als Tor zu Bayern. 1631 wählte die katholisch-kaiserliche Seite unter Feldherr Johann Tserclaes von Tilly Donauwörth als Stützpunkt aus. Jedoch hatten die habsburgischen Militärstrategen zu lange mit der Befestigung der Stadt gewartet. Am 6. April 1632 schossen sich die Schweden vom Schellenberg auf die Donaustadt ein, nachdem diese nicht kampflos übergeben worden war.
Bis in die Nacht dauerte die Kanonade an. Die Schweden besetzten schließlich die Stadt, das Fuggerhaus war von nun an Hauptquartier der Offiziere Gustav Adolfs. Man darf annehmen, dass von hier aus der Lechübergang bei Rain, welcher Tilly später das Leben kosten sollte, geplant wurde. Zweimal war der Schwedenkönig im Laufe des Jahres in Donauwörth, um Truppen für Kämpfe gegen den kaiserlichen Wallenstein zu sammeln. Die von den Schweden bei Rain errichtete Schwimmbrücke galt als technische Sensation. Am 15. April 1632 gelang den protestantischen Unions-Truppen Gustav Adolfs der Lechübergang. Das schwer angeschlagene Heer der katholischen Seite, der Liga, war massiv getroffen – wie auch ihr Feldherr Tilly, der am 30. April schwer verwundet in Ingolstadt starb. Die Schweden rückten in der Folge gen Süden vor, Augsburg und München wurden genommen.
Die Heeressammlungen bedeuteten indes für die kleineren Städte mehr als eine Bürde: Am 14. Juni 1632 waren es 41000 Infanteristen und 8000 Kavalleristen, die von Donauwörth aus vorrückten. Zwei Jahre lang war Donauwörth schwedische Garnison. 1634 besetzten wiederum kaiserliche Truppen Donauwörth, nachdem auch Wemding eingenommen war. Die eine Soldateska war weg, die andere kam. Es änderte sich an den Entbehrungen der Menschen nichts, wie historische Quellen notieren – es wurde demnach nicht weniger geraubt als unter den Schweden. Lebensmittelreserven mussten an die Truppen abgegeben werden, Hunger und Krankheit waren die schrecklichen Folgen. Es kam sogar so weit, dass die Bürger eigene Schutzmannschaften aufstellten, um Plünderungen durch Söldner abzuwehren.
1645 verschärfte sich die Lage in Donauwörth. Es war die letzte Phase des Krieges. Der war längst ein europäischer, auch Frankreich mischte nun mit. Die Franzosen waren in das Ries eingefallen. Das eigentlich katholische Land kämpfte auf der Seite der Protestanten. Bei Alerheim schlugen sie am 3. August 1645 das bayerische Heer, welches sich nach Donauwörth zurückzog und die Stadt plünderte. In einer historischen Aufzeichnung heißt es: „In der Statt und in Zürgesheimb (ist) alles durch die vfm Schellenberg gelegenen Reichsvölckher weckhgenommen und ruiniert worden.“Nach einem Monat bewegten sich die bayerischen Truppen weiter in Richtung Heidenheim. 1646 nahmen die Schweden Donauwörth erneut ein, die verbliebenen bayerischen Truppen leisteten keinen nennenswerten Widerstand. Zu guter Letzt wurde die wichtige Donaubrücke mehrfach in Brand gesetzt, es folgte ein Hin und Her von kürzeren schwedischen und bayerischen Besatzungszeiten. Die langjährige Donauwörther Stadtarchivarin Lore Grohsmann schreibt in der „Geschichte der Stadt Donauwörth“: „Reparaturen der Befestigungsanlagen (...), Einquartierung und Verpflegung der Besatzungstruppe verschlangen Unsummen.“
Die Schweden waren noch bis Ende April 1647 in der Stadt. Dann schloss Bayerns Kurfürst Maximilian mit den Schweden und den Franzosen einen Waffenstillstand, eine bayerische Garnison rückte in Donauwörth ein. Es blieb beim Chaos – den Donauwörthern erging es augenscheinlich nun noch schlechter als unter den Schweden (sie baten diese in deren Wemdinger HauptFeldherr quartier sogar um Hilfe). Zwei daraufhin entsandte Dragonerschwadrone übten allerdings „so viele Bosheiten und Bedrückungen“aus, dass sie auf Bitten der Bürger wieder zurückgerufen wurden. Wieder kamen die Bayern, die bis Mai 1647 blieben und sodann wieder den skandinavischen Söldnern Platz machten. Zwar brachte der im Oktober 1648 ausgehandelte Westfälische Frieden offiziell politische Ruhe ins Land, doch das Leid für Bevölkerung endete nicht. Die Nachwehen des Krieges waren heftig. Armut und Hunger dauerten an, die Pest lag einmal mehr wie ein Fluch über der Stadt. Erst Anfang November 1649 läuteten die Glocken des Münsters den Frieden ein. Es folgte eine neue bayerische Ära, die am Anfang wieder einmal auch das brachte: Bedrückung und Drangsal – vor allem wirtschaftlich war dies stark spürbar.
Auch rund um Donauwörth glichen die Auswirkungen schier einem Höllenszenario: Das unbeschreibliche Elend traf in erster Linie die Landbevölkerung. Traurige wie eindrückliche Beispiele sind Tagmersheim und Monheim.
Die Menschen in den Dörfern litten unsagbar unter den verheerenden Truppendurchzügen, Belagerungen, Einquartierungen und Plünderungen der Söldnerheere. Sie waren den Gräueltaten gegenüber machtlos. Hinzu kamen schreckliche Krankheiten und bitterste Armut. Pest, Hungersnot, Krieg und Tod deutete man als die vier apokalyptischen Reiter. Der Tross als Begleitung der Truppen war oft dreimal so groß wie das Heer selbst – jene riesigen Karawanen waren für die Bevölkerung eine enorme Belastung und Herausforderung. Von den umherziehenden Landsknechten und Söldnern wurden Krankheiten und Seuchen eingeschleppt, die schnell auf die Bevölkerung übergriffen. Die Hofmark Tagmersheim erlebte ihre schlimmste Zeit 1633/34, als die Pest viele Hundert Menschen hinwegraffte. Tagmersheim und das gesamte Landgericht Monheim im Fürstentum Pfalz-Neuburg wurden am 2. und 3. Mai von schwedischen Marodeuren „in schauderhafter Weise verheert“, wie in einem Quellentext zu lesen ist.
Schon im Laufe des Krieges schien das Leben vielerorts in der Region fast ausgelöscht: 1637/38 lebten in der Hofmark Tagmersheim mit Blossenau, Übersfeld, Emskeim und Natterholz nur noch 30 Bewohner. 1640 irrten gerade noch zwei Personen in den Ruinen Tagmersheims herum. Rögling war 1644 unbewohnt – der Ort war im 15. und 16. Jahrhundert wegen des Nadlerhandwerks eine blühende Ortschaft gewesen. In Donauwörth lebte 1648 noch knapp die Hälfte der Bevölkerung. Felder lagen brach, Sitten verfielen. In wenigen Jahren zerstörte der Krieg fast alles.
Lokale Ereignisse entfesseln die Gewalt