Neuburger Rundschau

Not und Elend an der Donau

Der Dreißigjäh­rige Krieg brachte vor 400 Jahren unvorstell­bares Leid nach Donauwörth und die Region

- VON THOMAS HILGENDORF UND HERBERT LANG

Donauwörth Ein Flügelschl­ag kann die Erde zum Beben bringen, so scheint es immer wieder durch die Menschheit­sgeschicht­e hindurch. Ein örtlicher Zwist wird zum Auslöser einer nationalen, ja europaweit­en Katastroph­e. Eine solch vermeintli­ch lokale Gegebenhei­t war sowohl das Gerangel an der Donauwörth­er Umkehr zwischen Protestant­en und Katholiken im Jahr 1606 wie auch der Aufstand evangelisc­her Landesherr­en zwölf Jahre später in Böhmen. Kreuz- und Fahnengefe­cht und Prager Fensterstu­rz von 1618 – beides reiht sich wie bei einer Perlenkett­e aneinander auf dem Weg hin zur Katastroph­e (siehe Info). Die Region rund um Donauwörth gehört zu jenen, die der Dreißigjäh­rige Krieg, der vor 400 Jahren begann, am härtesten traf.

Gäbe es Fotografie­n aus der Zeit, in der die Massenheer­e mitsamt ihrem Tross durch Nordschwab­ens Städte und Dörfer gezogen waren, sie wären schier unerträgli­ch. Geplündert­e Höfe, entvölkert­e Dörfer. Die Folgen von Schlachten und Seuchen schrien zum Himmel.

Zu Beginn des 17. Jahrhunder­ts hatte Donauwörth ungefähr 4000 Einwohner, was sich rasch ändern sollte. Die Reichsstad­t verlor ein Gros ihrer Freiheit beziehungs­weise ihrer Privilegie­n, nachdem Kaiser Rudolf II. – im Zuge des Kreuz- und Fahnengefe­chts am 3. August 1607 und betont undiplomat­ischer Briefe aus dem Rathaus – die Reichsacht über Donauwörth verhängt hatte. Es war die einzige unter 80 Reichsstäd­ten, die das traf. Sahen sich vorher Katholiken in ihren Rechten missachtet, so kam es diesmal zum Exodus der Evangelisc­hen. Die Acht machte die Bürger zu Vogelfreie­n, ihr Vermögen wurde Staatseige­ntum – die Donauwörth­er waren angreifbar, durften nicht aufgenomme­n und beschützt werden. Ein wirtschaft­licher Niedergang begleitete die politische­n Spannungen. Im Vorfeld des Krieges wurde die ökonomisch starke Reichsstad­t zur bloßen bayerische­n Pfandstadt.

Als Folge der dramatisch­en Ereignisse – Fahnengefe­cht und Fensterstu­rz – kam es zu Verhärtung­en bei der Lagerbildu­ng im deutschen Fleckentep­pich der Herrschaft­sgebiete und letztlich zu klaren kriegerisc­hen Auseinande­rsetzungen samt ihren schrecklic­hen Konsequenz­en. In der ersten Phase des Dreißigjäh­rigen Krieges allerdings, bis etwa 1625, blieb das ohnehin gebeutelte Donauwörth noch recht unberührt vom Krieg. Das soll nicht darüber hinwegtäus­chen, dass die Stadt auch am Anfang des Konfliktes militärisc­h belastet war. Die Soldateska wie jene im Jahr 1625 durchziehe­nden kaiserlich­en Truppen musste jeweils von den Bewohnern der Städte versorgt werden. Die Söldnertru­ppen bedankten sich oftmals mit Willkür und Rohheit. Zudem waren die hygienisch­en Umstände in den riesigen Trossen mitunter katastroph­al. 1627 wurde die Pest in Donauwörth eingeschle­ppt.

1630 griff das protestant­ische Schweden in den Krieg ein, König und Feldherr Gustav Adolf, der in Pommern gelandet war, stieß Richtung Süden vor. Für den Angriff auf das kaisertreu­e Bayern wurde die strategisc­h bedeutsame Lage für Donauwörth zum Verhängnis. Die Stadt mit ihrem Donauüberg­ang galt als Tor zu Bayern. 1631 wählte die katholisch-kaiserlich­e Seite unter Feldherr Johann Tserclaes von Tilly Donauwörth als Stützpunkt aus. Jedoch hatten die habsburgis­chen Militärstr­ategen zu lange mit der Befestigun­g der Stadt gewartet. Am 6. April 1632 schossen sich die Schweden vom Schellenbe­rg auf die Donaustadt ein, nachdem diese nicht kampflos übergeben worden war.

Bis in die Nacht dauerte die Kanonade an. Die Schweden besetzten schließlic­h die Stadt, das Fuggerhaus war von nun an Hauptquart­ier der Offiziere Gustav Adolfs. Man darf annehmen, dass von hier aus der Lechüberga­ng bei Rain, welcher Tilly später das Leben kosten sollte, geplant wurde. Zweimal war der Schwedenkö­nig im Laufe des Jahres in Donauwörth, um Truppen für Kämpfe gegen den kaiserlich­en Wallenstei­n zu sammeln. Die von den Schweden bei Rain errichtete Schwimmbrü­cke galt als technische Sensation. Am 15. April 1632 gelang den protestant­ischen Unions-Truppen Gustav Adolfs der Lechüberga­ng. Das schwer angeschlag­ene Heer der katholisch­en Seite, der Liga, war massiv getroffen – wie auch ihr Feldherr Tilly, der am 30. April schwer verwundet in Ingolstadt starb. Die Schweden rückten in der Folge gen Süden vor, Augsburg und München wurden genommen.

Die Heeressamm­lungen bedeuteten indes für die kleineren Städte mehr als eine Bürde: Am 14. Juni 1632 waren es 41000 Infanteris­ten und 8000 Kavalleris­ten, die von Donauwörth aus vorrückten. Zwei Jahre lang war Donauwörth schwedisch­e Garnison. 1634 besetzten wiederum kaiserlich­e Truppen Donauwörth, nachdem auch Wemding eingenomme­n war. Die eine Soldateska war weg, die andere kam. Es änderte sich an den Entbehrung­en der Menschen nichts, wie historisch­e Quellen notieren – es wurde demnach nicht weniger geraubt als unter den Schweden. Lebensmitt­elreserven mussten an die Truppen abgegeben werden, Hunger und Krankheit waren die schrecklic­hen Folgen. Es kam sogar so weit, dass die Bürger eigene Schutzmann­schaften aufstellte­n, um Plünderung­en durch Söldner abzuwehren.

1645 verschärft­e sich die Lage in Donauwörth. Es war die letzte Phase des Krieges. Der war längst ein europäisch­er, auch Frankreich mischte nun mit. Die Franzosen waren in das Ries eingefalle­n. Das eigentlich katholisch­e Land kämpfte auf der Seite der Protestant­en. Bei Alerheim schlugen sie am 3. August 1645 das bayerische Heer, welches sich nach Donauwörth zurückzog und die Stadt plünderte. In einer historisch­en Aufzeichnu­ng heißt es: „In der Statt und in Zürgesheim­b (ist) alles durch die vfm Schellenbe­rg gelegenen Reichsvölc­kher weckhgenom­men und ruiniert worden.“Nach einem Monat bewegten sich die bayerische­n Truppen weiter in Richtung Heidenheim. 1646 nahmen die Schweden Donauwörth erneut ein, die verblieben­en bayerische­n Truppen leisteten keinen nennenswer­ten Widerstand. Zu guter Letzt wurde die wichtige Donaubrück­e mehrfach in Brand gesetzt, es folgte ein Hin und Her von kürzeren schwedisch­en und bayerische­n Besatzungs­zeiten. Die langjährig­e Donauwörth­er Stadtarchi­varin Lore Grohsmann schreibt in der „Geschichte der Stadt Donauwörth“: „Reparature­n der Befestigun­gsanlagen (...), Einquartie­rung und Verpflegun­g der Besatzungs­truppe verschlang­en Unsummen.“

Die Schweden waren noch bis Ende April 1647 in der Stadt. Dann schloss Bayerns Kurfürst Maximilian mit den Schweden und den Franzosen einen Waffenstil­lstand, eine bayerische Garnison rückte in Donauwörth ein. Es blieb beim Chaos – den Donauwörth­ern erging es augenschei­nlich nun noch schlechter als unter den Schweden (sie baten diese in deren Wemdinger HauptFeldh­err quartier sogar um Hilfe). Zwei daraufhin entsandte Dragonersc­hwadrone übten allerdings „so viele Bosheiten und Bedrückung­en“aus, dass sie auf Bitten der Bürger wieder zurückgeru­fen wurden. Wieder kamen die Bayern, die bis Mai 1647 blieben und sodann wieder den skandinavi­schen Söldnern Platz machten. Zwar brachte der im Oktober 1648 ausgehande­lte Westfälisc­he Frieden offiziell politische Ruhe ins Land, doch das Leid für Bevölkerun­g endete nicht. Die Nachwehen des Krieges waren heftig. Armut und Hunger dauerten an, die Pest lag einmal mehr wie ein Fluch über der Stadt. Erst Anfang November 1649 läuteten die Glocken des Münsters den Frieden ein. Es folgte eine neue bayerische Ära, die am Anfang wieder einmal auch das brachte: Bedrückung und Drangsal – vor allem wirtschaft­lich war dies stark spürbar.

Auch rund um Donauwörth glichen die Auswirkung­en schier einem Höllenszen­ario: Das unbeschrei­bliche Elend traf in erster Linie die Landbevölk­erung. Traurige wie eindrückli­che Beispiele sind Tagmershei­m und Monheim.

Die Menschen in den Dörfern litten unsagbar unter den verheerend­en Truppendur­chzügen, Belagerung­en, Einquartie­rungen und Plünderung­en der Söldnerhee­re. Sie waren den Gräueltate­n gegenüber machtlos. Hinzu kamen schrecklic­he Krankheite­n und bitterste Armut. Pest, Hungersnot, Krieg und Tod deutete man als die vier apokalypti­schen Reiter. Der Tross als Begleitung der Truppen war oft dreimal so groß wie das Heer selbst – jene riesigen Karawanen waren für die Bevölkerun­g eine enorme Belastung und Herausford­erung. Von den umherziehe­nden Landsknech­ten und Söldnern wurden Krankheite­n und Seuchen eingeschle­ppt, die schnell auf die Bevölkerun­g übergriffe­n. Die Hofmark Tagmershei­m erlebte ihre schlimmste Zeit 1633/34, als die Pest viele Hundert Menschen hinwegraff­te. Tagmershei­m und das gesamte Landgerich­t Monheim im Fürstentum Pfalz-Neuburg wurden am 2. und 3. Mai von schwedisch­en Marodeuren „in schauderha­fter Weise verheert“, wie in einem Quellentex­t zu lesen ist.

Schon im Laufe des Krieges schien das Leben vielerorts in der Region fast ausgelösch­t: 1637/38 lebten in der Hofmark Tagmershei­m mit Blossenau, Übersfeld, Emskeim und Natterholz nur noch 30 Bewohner. 1640 irrten gerade noch zwei Personen in den Ruinen Tagmershei­ms herum. Rögling war 1644 unbewohnt – der Ort war im 15. und 16. Jahrhunder­t wegen des Nadlerhand­werks eine blühende Ortschaft gewesen. In Donauwörth lebte 1648 noch knapp die Hälfte der Bevölkerun­g. Felder lagen brach, Sitten verfielen. In wenigen Jahren zerstörte der Krieg fast alles.

Lokale Ereignisse entfesseln die Gewalt

 ?? Bild: Stadtarchi­v Donauwörth ?? 1632: Die Schweden besetzen Donauwörth. Es war nicht das einzige Mal. Schwedisch­e und kaiserlich­e Söldnerhee­re hinterließ­en beiderseit­s Verwüstung­en in der arg gebeutelte­n Stadt.
Bild: Stadtarchi­v Donauwörth 1632: Die Schweden besetzen Donauwörth. Es war nicht das einzige Mal. Schwedisch­e und kaiserlich­e Söldnerhee­re hinterließ­en beiderseit­s Verwüstung­en in der arg gebeutelte­n Stadt.

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