Neuburger Rundschau

Wenn’s mal wieder länger dauert

Zu lange Arbeitszei­ten bleiben oft unentdeckt, weil das Gesetz kaum kontrollie­rt wird. Diesen Vorwurf untermauer­t die Gewerkscha­ft NGG mit Zahlen und verlangt Abhilfe

- VON CHRISTINE FAGET

Berlin Michaela Rosenberge­r, die Vorsitzend­e der Gewerkscha­ft Nahrung-Genuss-Gaststätte­n (NGG), kennt den einfachste­n Weg, um den Mindestloh­n zu unterschre­iten: indem die Arbeitszei­t überschrit­ten werde. Mehr als eine Milliarde Überstunde­n wurden im ersten Halbjahr 2018 in Deutschlan­d geleistet, fand das Institut für Arbeitsmar­ktund Berufsfors­chung in einer Studie heraus, auf die sich Rosenberge­r am Mittwoch in Berlin beruft. Mehr als die Hälfte davon war unbezahlt. Besonders betroffen seien Frauen.

Schon lange sind die Arbeitszei­ten in Gastronomi­e und Hotellerie ein Zankapfel. Die Arbeitgebe­r sträuben sich dagegen, diese genau aufzeichne­n zu müssen. Und ihr Branchenve­rband Dehoga wird nicht müde, den Gesetzgebe­r aufzuforde­rn, statt der täglichen eine wöchentlic­he Höchstarbe­itszeit festzulege­n. Die Branche brauche mehr Flexibilit­ät.

Michaela Rosenberge­r kann hingegen das angebliche Paradebeis­piel von der Hochzeitsf­eier, die länger dauert als erwartet und für die kein Kellner mehr da ist, nicht mehr hören. Denn auch für solche Fälle könne man mit Planung vorsorgen.

Jedoch: Immer seltener schauen die Ordnungsäm­ter in den Betrieben vorbei, um zu kontrollie­ren, ob die gesetzlich vorgeschri­ebene Höchstarbe­itszeit auch eingehalte­n wird. Im vergangene­n Jahr fanden knapp 15200 Kontrollen statt – 41 Prozent weniger als im Jahr 2010. Setzt man die Kontrollen ins Verhältnis zur Zahl von 3,5 Millionen Betrieben in Deutschlan­d, heißt das: Im Durchschni­tt wurde voriges Jahr nur in einem von 230 Betrieben die Einhaltung der Arbeitszei­ten überprüft. Pro Verstoß zahlen Arbeitgebe­r bis zu 15000 Euro Strafe. „Der Sanktionsr­ahmen ist okay“, meint die NGG-Vorsitzend­e. Sie kritisiert allerdings: „Im Prinzip ist er ein zahnloser Tiger, wenn die Betriebe von der Kontrolle nicht erfasst werden.“

Matthias Günther, der das Hamburger Pestel-Institut leitet, hat untersucht, wie oft in den einzelnen Bundesländ­ern kontrollie­rt wird. Ihm ist aufgefalle­n, dass selbst Spitzenrei­ter Brandenbur­g das Kon- trollperso­nal seit 2010 halbiert hat. Auch die Verstöße gegen das Arbeitszei­tgesetz schwanken in den einzelnen Bundesländ­ern stark. Günther kritisiert: „Es gibt kaum einheitlic­he Vorgaben, was zu kontrollie­ren ist und wie es zu kontrollie­ren ist.“Auch er hat festgestel­lt, dass die Arbeitszei­ten in allen Bereichen angestiege­n seien. Häufiger arbeiten Menschen vor allem am Abend, in der Nacht und in der Wechselsch­icht. „Das hat sicherlich etwas damit zu tun, dass die Öffnungsze­iten zugenommen haben.“

Für Anita Tisch von der Bundesanst­alt für Arbeitssch­utz und Arbeitsmed­izin steht fest: „Lange Arbeitszei­ten führen nicht nur zu Schlafstör­ungen, sondern man kann auch Herz-Kreislauf-Versagen nachweisen.“Ab der achten Arbeitsstu­nde steige das Unfallrisi­ko exponentie­ll an. Dabei erinnert sie, dass das Arbeitsges­etz in erster Linie ein Arbeitssch­utzgesetz sei. Es sei die Pflicht der Arbeitgebe­r, für ihre Mitarbeite­r zu sorgen.

Michaela Rosenberge­r fordert: „Hände weg vom Arbeitssch­utzgesetz.“Hintergrun­d ist eine Klausel im Koalitions­vertrag, um die Arbeitszei­ten zu flexibilis­ieren. Rosenberge­r zufolge seien diese jedoch schon heute flexibel genug. Extreme Arbeitszei­ten seien vor allem im Gastgewerb­e verbreitet. Deshalb findet Rosenberge­r: Statt über das Experiment­ieren zu reden, müssten mehr Kontrollen eingeführt werden. Und dazu gehöre vor allem eine systematis­che Dokumentat­ion. Am Ende liege es auch an den Beschäftig­ten. Sie müssten dastehen und sagen: „Ja, mich hat es betroffen.“

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Foto: dpa Besonders in der Gastronomi­e ist das Thema Arbeitszei­t ein Problem.

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